Der Fall der toten 16-jährigen Kader Schicksal minderjähriger Bräute bewegt die Türkei

Istanbul · In der Türkei werden jedes Jahr Zehntausende Mädchen in religiösen Zeremonien verheiratet. Die Praxis ist illegal, allerdings kommen Recht und Gesetz gegen Traditionen oft nicht an. Die Geschichte des Mädchens Kader wühlt das Land auf.

 Viele türkische Zeitungen berichten derzeit über den Fall Kader.

Viele türkische Zeitungen berichten derzeit über den Fall Kader.

Foto: dpa, Carsten Hoffmann

Der gewaltsame Tod einer Kinderbraut und Mutter rüttelt die Türkei auf. Seit das an einer Schussverletzung gestorbene Mädchen im Südosten des Landes gefunden wurde, diskutieren Politiker und Medien, was unternommen werden muss, um Kinder besser zu schützen. "Was für ein Schicksal. Mit 12 verheiratet, mit 13 Mutter, mit 14 tot", schreibt die türkische Tageszeitung "Hürriyet".

Etwa 130.000 Mädchen sollen in den vergangenen drei Jahren in der Türkei verheiratet worden sein, bevor sie volljährig wurden. Wobei ein Verbot im türkischen Familienrecht unterlaufen wird, indem es nur eine religiöse Zeremonie gibt. Etwa ein Drittel der Frauen in der Türkei heirate minderjährig, erklären türkische Menschenrechtsaktivisten. Im gesellschaftlich rückständigen Südosten des Landes soll der Anteil regional noch höher sein.

Familie des Mannes: Nach Fehlgeburt selbst getötet

Die Leiche des Mädchens Kader ("Schicksal"), dessen Geschichte die Türkei nun bewegt, wurde in der vergangenen Woche gefunden. Nach einer Fehlgeburt bei ihrer zweiten Schwangerschaft habe sich die junge Frau mit einer Jagdflinte umgebracht, hat die Familie ihres Mannes der Polizei gesagt. Der Ehemann wurde kürzlich zum Wehrdienst eingezogen, ist also selbst noch jung.

Der Vater der Braut zweifelt an der Version einer Selbsttötung. Zudem sagte er, seine Tochter sei inzwischen 16 Jahre alt gewesen und im Alter von 13 als Teil eines Brauttausches ("Berdel") verheiratet worden. Dabei gehen Söhne und Töchter wechselseitig die Ehe ein, wobei die Eltern sich Hochzeitskosten wie den Brautpreis sparen. "Meine Tochter mochte den Jungen. Und wir haben eine Braut von dort bekommen", sagte der Vater der Toten vor Journalisten.

Die Verheiratung von Minderjährigen sei sexuelle Nötigung, warnte die neue türkische Familienministerin Aysenur Islam. Sie forderte einen Dialog über falsche Traditionen. "Das kann nicht nur mit Recht und Gesetz gelöst werden", sagte sie. Allerdings sind in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von Kinderbräuten bekannt geworden, ohne dass der islamisch-konservativen Regierung eine Abkehr von archaischen Praktiken gelungen ist.

In mehr als 50 Staaten Verheiratung Minderjähriger legal

Nach dem türkischen Recht ist das vollendete 17. Lebensjahr frühester Zeitpunkt einer Eheschließung. Nur in besonderen Fällen kann ein Richter die Ehe bereits mit 16 Jahren zulassen. Rechtlich ist die Situation damit ähnlich wie in Deutschland, wo die Ehemündigkeit mit 18 Jahren erreicht ist. Minderjährige können vom 16. Lebensjahr an nur in besonderen Fällen heiraten, wenn dafür auch die Zustimmung eines Familiengerichtes vorliegt.

"Obwohl die Vereinten Nationen 1994 allen Staaten empfohlen haben, das Heiratsalter auf 18 anzuheben, ist in mehr als 50 Staaten die Verheiratung von Mädchen unter 18 Jahren legal", erklärte das UN-Kinderhilfswerk Unicef 2012. Auch von den 113 Staaten, die 18 als Mindestalter vorschreiben, sind laut Unicef in 57 Staaten Kinderehen trotzdem weit verbreitet.

"Schickt die Mädchen in die Schule, nicht in die Ehe", heißt es in einem Aufruf von Aktivisten der Frauenorganisation "Ucan süpürge (Fliegender Besen). Das Schicksal der Mädchen in den erzwungenen Ehen, aber auch die Rolle der jungen oder älteren Männer, haben immer wieder auch türkische Künstler und Intellektuelle beschäftigt. Der 2012 erschienene Film "Lal Gece" ("Stumme Nacht") des Regisseurs Reis Celik wurde 2012 auf der Berlinale sowie in Brüssel und Tokio gezeigt und ausgezeichnet.

(dpa)
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