Moderne Nomadin Mit einer Wüstentochter aus Wuppertal durch die Sahara

Djanet · Sahara-Gruppenreisen scheinen nur noch etwas für Senioren zu sein, die in den 70er Jahren noch als Selbstfahrer dort unterwegs sein konnten. Doch sie haben eine Zukunft: Jasmin Touhami, Tuaregfrau mit deutschen Wurzeln, setzt das Werk ihres Vaters, der Wüstenlegende Abdelkader Touhami, fort.

Jasmin Touhami - Mit der Wüstentochter aus Wuppertal durch die Sahara​
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Jasmin Touhami - Mit der Wüstentochter aus Wuppertal durch die Sahara

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Foto: Gundhild Tillmanns

In Europa ist die 26-jährige Jasmin Touhami die algerische Schönheit mit dunkler Haut, eine Fremde. Dort, wo sie aufgewaschen ist, in Südalgerien bei der Tuaregfamilie ihres Vaters, war sie bei ihren Mitschülern immer die Weiße. Diese beiden Welten zu vereinen, Brückenbauerin zwischen den Kulturen zu sein, ist die junge Frau jetzt angetreten. Erstmalig führte sie deutsche Reisegruppen durch ihre Heimat, die algerische Sahara. Damit tritt sie in die großen Fußstapfen ihres Vaters Abdelkader Touhami. Der Tuareg aus Tamanrasset ist eine regelrechte Wüstenlegende. Vor 25 Jahren hat er Desert Reisen gegründet, Wissenschaftler beraten, an Filmen mitgewirkt, die Tuaregkultur den Europäern und die Liebe zur Wüste nahe gebracht. Zwar legt sich Jasmin Touhami noch nicht fest, ob sie das Werk ihres Vaters, das Wüstenreisen-Unternehmen, eines Tages fortführen möchte. Eines ist aber gewiss: Sie erlebt die ganz besondere Biographie ihres Vaters aufs Neue.

Abdelkader Touhami durchzog bis zu seinem achten Lebensjahr mit seiner Familie die Sahara. Eine große Dürre, bei der die Kamele starben, zwang die Familie, sich in Tamanrasset niederzulassen. Abdel, der bis dahin nur Tamaschek sprach, die Sprache der Tuareg, fühlte sich in der Schule zunächst fehl am Platze, wo nur Arabisch gesprochen wurde. Genauso hart war der Start viele Jahre später für seine Tochter Jasmin, die übrigens in dieselbe Schule und im selben Klassenraum wie ihr Vater ebenfalls ohne ein Wort Arabisch ihr schweres Debüt nahm.

Jasmin und ihr Vater Abdelkader Touhami  .

Jasmin und ihr Vater Abdelkader Touhami .

Foto: nn/n.n.

In Wuppertal geboren, hatte Jasmin mit ihrer deutschen Mutter und ihrem algerischen Vater bis zur Trennung des Paares in Deutschland gelebt. Ihre Mutter, die als Reisebegleiterin in der Sahara gearbeitet hatte, zog mit Jasmin zu deren väterlicher Familie nach Tamanrasset. „Zuerst war es hart für mich in der Schule, die anderen haben mich gehänselt. Ich war die Weiße, die kein Arabisch konnte“, erinnert sich die 26-Jährige. Doch eine besonders engagierte Lehrerin setzte sich mit ihr nach dem Unterricht zusammen und paukte mit ihr Arabisch. Tamaschek lernte Jasmin „auf der Straße“ beim Spielen mit den Nachbarskindern.

Deutsch sprach sie weiterhin mit ihrer Mutter, Französisch und Englisch kamen als Fremdsprachen auf dem Gymnasium hinzu: Ein Schatz an Sprachen, auf dem sie jetzt auch in Europa ihren weiteren Lebens- und Berufsweg aufbaut. Und auch da wieder die Parallele zu ihrem Vater, der ohne Probleme zwischen genau diesen Sprachen nicht nur wechseln, sondern sich auch in die unterschiedlichen Kulturwelten begeben kann.

Diese Chance, bei allen Schwierigkeiten eine Heimat oder eine kulturelle Identität für sich zu definieren, versteht auch Jasmin Touhami bereits zu nutzen. Mit den deutschen Touristen spricht sie Deutsch, mit den Begleitern Arabisch oder Tamaschek, in Paris, wo sie derzeit lebt, perfekt Französisch mit den Franzosen. Wie ihr Vater hat sie verstanden: „Jede Sprache steht auch für ihre jeweilige Kultur.“ Dieses tiefe, innere Verständnis des vermeintlich und tatsächlich Fremden versteht Abdelkader Touhami „seinen“ Reisenden zu vermitteln. Und auch seine Tochter Jasmin ist bereits eine solche Kulturvermittlerin.

Als Zwölfjährige musste sie bereits erleben, dass ihre Mutter schwer erkrankte. Fünf Jahre später verstarb sie. Jasmin wurde dadurch sehr selbstständig, versorgte neben der Schule den Haushalt und die Tiere, und schaffte das Abitur mit Bestnoten: „Ich musste früh erwachsen werden“, sagt sie im Rückblick. Dazu gehörte es auch immer wieder, für die Mutter ins Arabische zu übersetzen. Gemeinsam mit ihr war Jasmin auch zum Islam übergetreten. Sie lebte wie ein braves muslimisches Mädchen, trug das Kopftuch Hijab zur Schuluniform, und wurde mit 17 Jahren verlobt: „Ich habe zugestimmt, aber mein Vater hat verlangt, dass ich die Schule fertig mache“, sagt sie. Der Kontakt zu ihrem Vater, der ihr großes Vorbild ist, blieb über all‘ die Jahre erhalten. Der ist in zweiter Ehe wieder mit einer Deutschen verbunden und kam regelmäßig zu Familienbesuchen und Reisebegleitungen nach Südalgerien.

„Nach dem Abitur stand ich vor der Entscheidung, zu bleiben und zu heiraten, oder nach Deutschland zu meinem Vater zu ziehen“, erklärt sie ihre schwere Entscheidung. „Meine Heimat musste ich aufgeben, aber die Sehnsucht nach meinem Vater war größer.“

Doch auch in Deutschland war Jasmin zunächst wieder die Fremde, auch wegen ihres Glaubens: „Du bist keine von uns“, hörte sie immer wieder, wenn Jasmin etwa aus Glaubensgründen keinen Alkohol trank und in der Anfangszeit auch noch fastete. Doch nach einem freiwilligen sozialen Jahr in einem Altenheim wurde sie im Vorbereitungskolleg für ausländische Studenten aufgenommen: „Da bin ich zum ersten Mal mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen gekommen. Asiaten hatte ich überhaupt noch nie gesehen, und ich hatte anfangs sogar Angst“, gibt sie zu.

Das „Wüstenkind“ musste auch zunächst die deutsche Grammatik und Rechtschreibung erlernen; zuvor hatte sie die Sprache ihrer Mutter nur durchs Hören beherrscht. Doch Jasmin biss sich durch, studierte bis zum Bachelorabschluss die Fächer Religionswissenschaften und Politik. Und heute hat sie sich auf den Weg gemacht, ihre deutsche Familie in Frankfurt sowie die Verwandten in Wuppertal, ihren neuen Wohnsitz in Paris und ihre bleibende Sehnsucht nach der Heimat, der Wüste, in den Einklang ihres jungen und spannenden Lebens zu bringen.

„Ich entwickele mich“, sagt sie und blickt damit auf ihren Vater, der die Gratwanderung bewältigt hat, ein echter Tuareg geblieben und zugleich ein Weltbürger geworden zu sein.

Als Abdelkader Touhami merkte, wie sehr seiner Tochter trotz aller Integration in Deutschland die Sahara fehlte, fasste er einen klugen Plan und schickte sie für einige Monate „nach Hause“, nicht nur zum Urlaubmachen, sondern auch, um ihre ersten drei Reisegruppen zu führen. Ihr Debüt hat sie bestanden. Auf sich gestellt war sie dabei nicht: Die Begleitmannschaft bestand aus Tuareg, die teilweise sogar zur Verwandtschaft gehören und Jasmin schon von klein auf kennen. Einer der Männer erzählt: „Als sie noch ganz klein war, habe ich Jasmin auf dem Kamel festgebunden, damit sie nicht herunterfällt. Und jetzt ist sie eine erwachsene Frau und führt mit uns die Deutschen durch die Sahara.“

Tatsächlich erholt sich der Wüstentourismus in der algerischen Sahara nach der Corona-Pandemie wieder. Nachdem es neuerdings auch einen Direktflug von Paris in die Oasenstadt Djanet gibt, sind dort auch viele Franzosen und sonstige Europäer anzutreffen. Doch im Gegensatz zu den naturschonenden und -respektierenden Saharatouren, wie etwa bei Desert Reisen ausdrücklich apostrophiert, gibt es auch schon wieder laute, störende Motorrad- und Geländewagen-Rallyes, die den Naturraum Sahara ganz erheblich schädigen.

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