Nach Mord an Menschenrechtlerin Estemirowa Russland kündigt "notwendige Maßnahmen" an

Grosny (RPO). Die Ermordung der international anerkannten Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa hat in Russland und der internationalen Gemeinschaft für Empörung gesorgt. Präsident Dmitri Medwedew kondolierte der Familie der 50-Jährigen am Donnerstag und wies den ranghöchsten russischen Ermittler an, "die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen".

 Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa wurde entführt und erschossen.

Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa wurde entführt und erschossen.

Foto: MEMORIAL, AFP

Die Entführung und Erschießung der Aktivistin am Mittwoch löste heftige internationale Kritik aus wie bei der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja vor drei Jahren.

Die USA seien "tief betrübt" wegen des Todes der Menschenrechtsaktivistin. Außenamtssprecher Ian Kelly forderte die russische Regierung in einer Erklärung auf, die Verantwortlichen zu finden. Estemirowa sei eine "angesehene" Aktivistin gewesen, die sich ganz der Aufgabe verschrieben habe, Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen. Estemirowa war am Mittwoch aus ihrem Büro in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny verschleppt und wenig später in Inguschetien erschossen aufgefunden worden.

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft verurteilte in Straßburg die "brutale Tat". Der neue Präsident des EU-Parlaments, Jerzy Buzek, reagierte im Namen der Europaabgeordneten mit "großer Trauer" auf den "tragischen Tod" der 50-Jährigen. Er forderte die Behörden in Moskau auf, eine Untersuchung einzuleiten und alles zu tun, um die Täter vor Gericht zu bringen. Das EU-Parlament gedachte mit einer Schweigeminute der getöteten Aktivistin.

Amnesty International verurteilte den Mord als "schreckliche Tragödie". Er sei der "Versuch, die Zivilgesellschaft in Russland mundtot zu machen", erklärte ai am Donnerstag. Die Organisation Reporter ohne Grenzen würdigte den "außergewöhnlichen Mut" der Aktivistin und forderte die russischen Behörden auf, den Mord "öffentlich zu verurteilen".

Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte, Estemirowa sei eine der "wenigen verbliebenen Stimmen" gewesen, die über Verbrechen in Tschetschenien berichtet habe. Sie forderte Russlands Präsident Dmitri Medwedew auf, seiner Ankündigung, die russische Justiz zu verbessern, "Taten folgen zu lassen". Auch Medwedew hatte die Tat verurteilt. Es wurde erwartet, dass der Mord auch bei seinen Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erörtert wird. Merkel und Medwedew trafen sich am Donnerstag in der Nähe von München zu den deutsch-russischen Regierungskonsultationen

Die russischen Behörden verfolgen in dem Fall "vier Spuren". Wie die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Innenministerium berichtete, werden Verbindungen zu ihren "beruflichen" und "öffentlichen Aktivitäten" sowie eine "Provokation" seitens "bewaffneter Bandenchefs" untersucht.

Estemirowa war wie Politkowskaja seit dem zweiten Tschetschenienkrieg 1999 Menschenrechtsverletzungen in der russischen Kaukasusregion nachgegangen - was im Kreml nicht gerne gesehen wurde. Nach dem Mord an Politkowskaja reagierte der damalige Präsident Wladimir Putin erst nach drei Tagen und räumte dann ein, ihre Ermordung habe "den russischen und tschetschenischen Behörden mehr geschadet als ihre Publikationen".

An dem Versuch einer offiziellen Schadensbegrenzung beteiligte sich am Donnerstag auch der Kreml-treue tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, der von Estemirowas Kollegen bei der Menschenrechtsorganisation Memorial eher im Umkreis der Täter und Drahtzieher gesehen wird. Kadyrow kündigte an, er werde die Ermittlungen persönlich leiten. Er werde die Verantwortlichen für diese "zynische und provokative" Tat ihrer gerechten Strafe zuführen. Memorial erklärte dagegen, Kadyrow habe Estemirowa als "persönliche Feindin" betrachtet.

Die 50-Jährige wurde am Mittwoch in Grosny von vier Männern in ein Auto gezerrt und entführt. Neun Stunden später wurde ihre Leiche in der Nachbarrepublik Inguschetien in einem Straßengraben aufgefunden. Sie wies Schusswunden am Kopf auf.

Der tschetschenische Präsident war von der russischen Opposition bereits beschuldigt worden, 2006 in den Mord an Politkowskaja verwickelt gewesen zu sein. Kadyrow entgegnete solchen Vorwürfen mit den Worten: "Ich bringe keine Frauen um."

Steinmeier fordert rasche Aufklärung

Kurz vor Estemirowas Tod legten Kollegen auf einer Pressekonferenz in Moskau einen Bericht über fast tausend gewaltsame Todesfälle von Zivilpersonen während der tschetschenischen Kriege vor. Vor der Veröffentlichung dieser Dokumentation gab nach Angaben von Menschenrechtlern zumindest indirekte Drohungen. Mindestens ein Teilnehmer der Pressekonferenz wurde laut einem Rundfunkbericht später festgenommen.

Eine Sprecherin Medwedews, Natalja Timakowa, räumte ein, dass offenkundig eine Verbindung zwischen Estemirowas Ermordung und ihrer Menschenrechtsarbeit gebe. "Die Bestrafung der Täter sollte deshalb härter sein", sagte sie.

Mehrere Dutzend Anhänger Estemirowas versammelten sich am Donnerstag vor dem tschetschenischen Regionalbüro von Memorial, um ihre Trauer zu bekunden - darunter auch ihre 16-jährige Tochter Lana. Die Beisetzung der Aktivistin war im Laufe des späteren Nachmittags geplant.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte eine rasche Aufklärung des Verbrechens. "Ich bin bestürzt über die Ermordung von Natalja Estemirowa und verurteile diese feige Tat auf das Schärfste", erklärte er in Berlin. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Irene Khan, sagte, Estemirowas sei eine Folge der Straflosigkeit, der sich die Täter sicher sein könnten. "Menschenrechtsverletzungen in Russland, vor allem im Nordkaukasus, können nicht länger ignoriert werden", betonte Khan. "Und die, die für Menschenrechte eintreten, brauchen Schutz."

(AP)
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