Berühmtester Räuber Englands begnadigt Ronnie Biggs stirbt als freier Mann

London (RP). Ronnie Biggs wird nie wieder über den schönen Strand der Copacabana in Rio gehen können. "Sie dürfen das Königreich nicht verlassen oder ohne Erlaubnis arbeiten", steht im Entlassungsbrief des berühmtesten Räubers in der Geschichte Großbritanniens, der gestern erstmals seit 1964 als freier Mann einschlafen konnte.

Legendärer Posträuber Biggs begnadigt
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Am Freitag wurden die drei Wachen aus dem Einzelzimmer des Universitätskrankenhauses im ostenglischen Norwich abgezogen. Die uniformierten Männer nahmen ihren Metalldetektor mit und ließen einen abgemagerten, fast unbeweglichen Mann mit wenigen Haaren zurück, der durch einen Plastikschlauch ernährt werden muss. "Ihre Begnadigung erlischt am 2. Juli 2019", kann der gebrechliche Posträuber im Brief des Justizministers Jack Straw nachlesen.

Höchstens noch ein paar Monate Zeit

Es muss ihm wie ein Hohn vorkommen. Die Ärzte geben dem an einer schweren Lungenentzündung erkrankten Biggs höchstens ein paar Monate Zeit, ehe sein Herz zu schlagen aufhört. "Mein letzter Wunsch ist es, in einem Pub in Margate ein Bier trinken zu können", hatte er 2001 in einem Interview gesagt. Dieser Traum wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Zumindest kann sich Biggs aber damit trösten, seinen 80. Geburtstag im Kreis der Familie ohne die Gefängnisaufseher feiern zu können. Er hatte zuletzt nicht mehr damit gerechnet. "Ich bin überglücklich", buchstabierte mühsam seinen Sohn Michael der Mann, dessen tolldreistes Verbrechen in vielen Filmen, Büchern und Songs verewigt worden ist.

Jedes Kind kennt die Geschichte der Posträuber

In England kennt jedes Kind die Geschichte vom "Great Train Robbery" (Großer Zugraub) und dem anschließenden Katz-und-Maus-Spiel der Polizei mit Biggs, der seinen Verfolgern immer wieder mit Köpfchen und Glück entkommen konnte. Sie beginnt um drei Uhr nachts am 8. August 1963, als eine 15-köpfige Bande eine Eisenbahn-Signalanlage von Grün auf Rot schaltet. Nachdem der königliche Postzug Glasgow-London stehen bleibt, haben die Verbrecher ein leichtes Spiel.

120 Geldsäcke mit 2,6 Millionen Pfund

Sie schlagen den tapferen Zugführer Jack Mills mit einer Eisenstange bewusstlos und machen sich mit 120 Geldsäcken davon. 2,6 Millionen Pfund — heute wäre ihre Beute umgerechnet 46 Millionen Euro wert. Mills kann nach dem Uberfall nie wieder arbeiten; er stirbt sieben Jahre später. 15 Monate nach seiner Ergreifung und Verurteilung zu 30 Jahren Haft schafft es Biggs, mit einer selbst gebastelten Strickleiter aus dem Gefängnis auszubrechen. In Paris ändert er sein Aussehen, mit den erbeuteten Millionen will der Brite ein schönes Leben in Australien führen.

Ein Leben in Saus und Braus

Als ihm die Polizei auf die Spur kommt, flieht er nach Brasilien, das keine Kriminellen nach Großbritannien ausliefert. Dort lebt Biggs 20 Jahre lang in Saus und Braus, wobei er es immer wieder schafft, die Londoner Detektive zum Narren zu halten. Drei Verhaftungen scheitern, weil der Räuber als Vater eines gemeinsamen Kindes mit einer Brasilianerin unter Schutz seiner Wahlheimat steht. Einmal wird er von britischen Söldnern nach Barbados entführt, doch er schafft es, sich von den dortigen Behörden zurück nach Rio schicken zu lassen. "Ich bereue mein Verbrechen nicht, ganz im Gegenteil. Dadurch habe ich mir einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert": Sätze wie diese machen Biggs zum Liebling der britischen Boulevardpresse.

Verarmt und krank ergeben

2001 schafft es die "Sun", den 70 Jahre alten Posträuber in einem Pritvatflugzeug nach Hause zurückzubringen. Der kranke und verarmte Biggs gibt seine Flucht vor dem Gesetz auf, weil er befürchtet, ohne die kostenlose medizinische Behandlung in Großbritannien sterben zu müssen. Der Mann, der drei Schlaganfälle erlitten hat, schickt aus dem Gefängnis mehrere Gesuche um Begnadigung, die allesamt abgelehnt werden. "Zu wenig Reue" zeige der Verbrecher, befand erst im Juli der Jack Straw. Aus "humanitären Gründen" hat jedoch der Justizminister diese Woche seine Meinung geändert.

(RP)
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