Schon elf Tote Plünderungen erschüttern Argentinien

Buenos Aires · Argentinien erlebt eine Woche, die an das Chaos vor der großen Krise 2001 erinnert. Streikende Polizisten, Plünderungen und Schusswechsel mit mehreren Todesopfern sowie zahlreichen Verletzten hielten das Land in Atem.

Tote bei Plünderungen in Argentinien
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Tote bei Plünderungen in Argentinien

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Nur wenige Provinzen und die Bundeshauptstadt Buenos Aires blieben bislang von dem Konflikt verschont. Ausgerechnet eine Streik-Entscheidung von Polizisten stand am Anfang der Geschichte. Eine Staatskrise wie vor einem Jahrzehnt steht zwar nicht zu befürchten. Aber die Spannung in dem Land mit seinen fast 30 Prozent Jahresinflation und breiten Bevölkerungsgruppen, die am äußersten sozialen Rand leben müssen, hält an. Auch jetzt, nachdem die streikenden Polizeikräfte ihre Arbeit wieder aufgenommen haben.

In einer Woche wurden in 14 Provinzen insgesamt knapp 1900 Geschäfte geplündert, wie die argentinische Handelskammer ermittelte. Die Schäden werden auf 568 Millionen Pesos (rund 66 Mio. Euro) geschätzt. Die Polizisten, die Gehaltserhöhungen forderten, ließen den Plünderern freie Bahn - die Regierung sprach von Erpressung.

Unter den elf bestätigten Toten sind laut Medienberichten Plünderer, Händler, ein Polizist und Passanten. Der chinesische Eigentümer eines kleinen Supermarkts in Glew, einem Vorort von Buenos Aires war das erste Opfer. Lin Zhang Xian erstickte, als rund 50 Plünderer sein Geschäft in Brand steckten, nachdem er versucht hatte, sie mit einer Schusswaffe zu vertreiben.

Tausend Kilometer weiter nördlich, in Resistencia, der Hauptstadt der verarmten Provinz Chaco, weigerte sich am Montag der Unterkommissar Christian Vera, beim Streik der lokalen Polizei mitzumachen. "Wir können nicht hier sitzen bleiben, während sich die Menschen draußen töten", soll er seinen Kameraden gesagt haben. Mit drei weiteren Polizisten versuchte er am Abend, die Plünderung des Supermarkts "El Gigante" zu verhindern. Ein Schuss traf den 35-jährigen Polizeioffizier, die Kugel drang durch die Schutzweste - er verblutete.

Tote durch Messer und Kugeln

Ein 17-Jähriger starb laut einem Bericht in der Provinz Jujuy, anscheinend versehentlich von einem Freund erstochen. Die beiden Männer hatten versucht, ein Kleidungsgeschäft 1500 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires zu plündern. Der tödliche Messerstich soll eigentlich dem Angestellten an der Kasse gegolten haben. In Tucumán verunglückte ein Jugendlicher tödlich, als er auf dem Motorrad eines Komplizen mit einem gestohlenen Fernseher flüchtete.

Nicht nur Lebensmittel, sondern auch Elektrowaren, Kleidung und Kassengeld wurden von den Plünderern mitgenommen. Im Fernsehen konnte man live miterleben, wie eine Gruppe in Tucumán eine Tiefkühltruhe aus einem Lebensmittelladen auf einen Pferdekarren lud. Dann flüchteten die Plünderer in raschem Trab.

In der Provinz Córdoba, wo der Konflikt vor einer Woche begann, nahm die Polizei nach einer Gehaltserhöhung die Arbeit schließlich wieder auf. Hier wurden 120 Menschen festgenommen, als sie versuchten, über das Internet oder direkt auf der Straße geplünderte Eisschränke, Klimaanlagen und Fernsehgeräte zu verkaufen.

Auch andere Provinzregierungen gaben nach und verkündeten Gehaltsanpassungen von rund 35 Prozent für ihre Polizisten, was dem Inflationsausgleich entspricht. Die rund 200.000 Provinzpolizisten im Land bekommen jetzt ein Nettogehalt ab umgerechnet 1000 Euro. Die Finanzierung aus den mageren Kassen der Gouverneure ist aber weiter ungewiss. Am Mittwochmorgen waren die Gehaltsstreitigkeiten mit den Sicherheitskräften in fast allen Provinzen gelöst, wie der Kabinettschef der Bundesregierung, Jorge Capitanich, erklärte.

Die Polizei geht jetzt wieder gegen Ausschreitungen auf den Straßen vor, zum Teil mit Übereifer. In San Miguel de Tucumán wurden am Dienstagabend mehrere Demonstranten durch Gummigeschosse verletzt, als sie vor dem lokalen Regierungsgebäude gegen das Chaos der vergangenen Tage protestierten. Die von der Bundesregierung entsandten Grenzschutztruppen mussten zwischen Provinzpolizei und Demonstranten eine Barriere bilden.

Allgemein blieb die Lage in mehreren Provinzen gespannt. Die Händler verstärken die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz ihrer Lokale und verschanzen sich zum Teil bewaffnet gegen einen befürchteten Ansturm von Plünderern. Die Kammer der knapp 9000 chinesischen Supermärkte, die vor allem in ärmeren Stadtteilen präsent sind, warnte am Mittwoch, man werde vom 20. Dezember bis zum Jahresende die Läden im ganzen Land schließen, wenn die Ordnung nicht wiederhergestellt werde.

(dpa)
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