Überblick zur Anschlagsserie in Paris Was wir über die Terrorserie wissen — und was nicht

Düsseldorf · Selbstmordattentate, Maschinenpistolen-Massaker, Anschläge in Serie – eine neue Qualität des Terrors im Herzen Europas erschüttert die Welt.

 Zwei Pariser umarmen sich vor dem Cafe 'La Belle Equipe' auf der Rue de Charonne. Auch hier wütete vor wenigen Stunden der Terrot.

Zwei Pariser umarmen sich vor dem Cafe 'La Belle Equipe' auf der Rue de Charonne. Auch hier wütete vor wenigen Stunden der Terrot.

Foto: afp, vel

Selbstmordattentate, Maschinenpistolen-Massaker, Anschläge in Serie — eine neue Qualität des Terrors im Herzen Europas erschüttert die Welt.

Die Terrorserie von Paris hat bislang mindestens 132 Opfer gefordert. Immer mehr Details der Bluttaten werden bekannt, und doch bleiben viele Fragen offen.

Was wir wissen: Mindestens 132 Menschen, darunter auch ein ein Deutscher, sind bei der beispiellosen Anschlagsserie in Paris getötet worden, mindestens 352 weitere wurden verletzt. Knapp 90 Menschen starben, als Attentäter im Konzertsaal Bataclan um sich schossen, darunter ein britisches Crew-Mitglied der Band. Weitere Menschen kamen an fünf anderen Orten in der französischen Hauptstadt ums Leben, als die Attentäter nahezu zeitgleich mit Sturmgewehren und Bomben belebte Restaurants und Bars angriffen. Sieben Angreifer starben. Ein Terrorist wurde von der Polizei erschossen, die anderen sprengten sich selbst in die Luft — drei von ihnen vor dem Nationalstadion, in dem Präsident Francois Hollande und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das Fußball-Länderspiel Frankreich gegen Deutschland verfolgten. Bei dem deutschen Opfer handelt es sich laut Kriseninterventionsteam um einen 28-jährigen Architekten aus Oberbayern, der seit längerem in Paris lebte.

Was wir nicht wissen: Die genaue Zahl der Todesopfer wie auch der Verletzten steht immer noch nicht fest. In den Krankenhäusern von Paris ringen weiter Schwerverletzte mit dem Tod.

Was wir wissen: Der französische Sport-Staatssekretär Thierry Braillard bestätigte inzwischen, dass zwei der drei Täter ins Stadion eindringen wollten. Um 21.17 Uhr war im Stadion der erste schwere Knall zu hören, in diesem Moment hatte sich der erste der drei Attentäter in die Luft gesprengt. Kurz danach kracht es erneut laut, selbst Spieler auf dem Platz schauten irritiert. Beide Explosionen ereigneten sich in unmittelbarer Nähe des Stadions, praktisch vor den Eingangstoren entlang der Gegentribüne.

Was wir nicht wissen: Es gibt unterschiedliche Berichte darüber, ob die Täter gültige Tickets hatten oder nicht. Unklar ist auch, warum das Eindringen ins Stadion misslang.

Paris: Bilder vom Morgen nach den Anschlägen
22 Bilder

Anschläge in Paris – der Tag danach

22 Bilder

Was wir wissen: Die meisten Toten sind im "Bataclan" zu beklagen. Die beliebte Konzerthalle mit etwa 1500 Plätzen ist für ein Konzert der US-Band "Eagles of Death Metal" ausverkauft. Mindestens vier schwer bewaffnete, unmaskierte Männer stürmten während des Konzerts in das Gebäude und eröffneten das Feuer. Eine Viertelstunde lang schießen sie mit Maschinenpistolen wahllos in die Menge. Dabei sollen sie "Allah Akbar" (Gott ist groß) geschrien haben, berichten Zeugen. Als die Polizei den Konzertsaal kurz vor 0.30 Uhr stürmt, sprengen sich die Attentäter selbst in die Luft.

Was wir wissen: Die Anschläge wurden von einer Gruppe bestens vernetzter Attentäter nahezu zeitgleich an verschiedenen Orten der Stadt begangen. Die minutiöse Vorbereitung, die maximale Verbreitung von Schrecken, Chaos und Tod lassen darauf schließen, dass es sich bei den Tätern um gut ausgebildete Terroristen handelte. Zumindest einer der Attentäter ist den Ermittlern bekannt: Es handelt sich um den 29-jährigen Kleinkriminellen Omar Ismail Mostefai aus Chartres nahe Paris, der zwischen 2004 und 2010 mehrmals verurteilt wurde. Wie 5000 andere Franzosen hatte er einen Sicherheitsvermerk S wegen Radikalisierung. Auch ein syrischer Ausweis wurde im Bataclan gefunden. Zwei weitere Täter konnten die Ermittler inzwischen ebenfalls identifizieren. Es handelt sich bei ihnen um einen 20-jährigen und einen 31-jährigen Franzosen, die zuletzt jedoch in Belgien gelebt haben.

Bereits rund zwölf Stunden nach der Anschlagsserie hatten sich Vermutungen verdichtet, dass sie einen islamistischen Hintergrund hat: Am Samstag bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat zu den Anschlägen. "Eine treue Gruppe der Armee des Kalifats griff die Hauptstadt der Unzucht und Laster an", heißt es in einer im Internet kursierenden Botschaft im Namen des IS. In einer Video-Aufzeichnung ist ein bärtiger, arabisch sprechender Mann zu sehen, der französische Muslime auffordert, Anschläge zu verüben. Das Video wurde vom Sprachrohr der Islamisten, dem Al-Hayat-Medien-Zentrum, veröffentlicht. Die Aufzeichnung selbst ist nicht datiert. "Der Kalifatstaat hat das Heim des Kreuzes getroffen", hieß es in einem weiteren Tweet.

Was wir nicht wissen: Noch sind die Botschaften der vermeintlichen Bekenner nicht mit 100-prozentiger Sicherheit verifiziert. Außerdem ist unklar, ob einige Attentäter entkommen konnten und auf der Flucht sind. Seit die Polizei ein zweites Fluchtauto, einen schwarzen Seat, gefunden hat, halten die Ermittler das für gut möglich. Die belgische Justiz schrieb den 26-jährigen Salah Abdeslam international zur Fahndung aus, noch ist allerdings nicht klar, welche Rolle er bei den Attentaten gespielt hat. Es handelt sich Ermittlern zufolge um den Bruder eines der Selbstmordattentäter. Medienberichten zufolge war Salah am Samstag von der Polizei im nordfranzösischen Cambrai nur Stunden nach den Anschlägen überprüft worden. Nach der Personenkontrolle aber ließ man ihn laufen.

Entsprechend groß die Unsicherheit, ob es zu weiteren Anschlägen in der französischen Hauptstadt oder anderen Teilen des Landes kommen könnte. Gerätselt wird auch, ob die Attentäter aus dem Ausland nach Frankreich einreisten oder ob sie dort bereits lebten. Standen sie womöglich bereits unter Beobachtung der französischen Sicherheitsbehörden? Auch Gerüchte, die Täter seien als Flüchtlinge getarnt ist Land gekommen, wurden bislang nicht offiziell bestätigt.

Was wir wissen: Der französische Geheimdienst geht von bis zu 5000 islamistischen Gefährdern im Land aus. Zum Vergleich: Die Zahl der islamistischen Gefährder in Deutschland liegt nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) bei rund 330. Zeit und Ziel des Blutbads waren offensichtlich bewusst gewählt: Frankreich bombardiert seit Ende September Stellungen des IS in Syrien. Erst in der vergangenen Woche hat Paris den Flugzeugträger "Charles de Gaulle" in die Golfregion geschickt, um die Luftangriffe verstärken zu können. Die Welle der Gewalt in Paris erfolgte nur Tage nach den Anschlägen in einem Schiitenviertel der libanesischen Hauptstadt Beirut, zu denen sich der IS bekannte. Paris ist derzeit ohnehin im Alarmzustand, weil dort noch in diesem Monat die Weltklimakonferenz mit zahlreichen hochrangigen Gästen stattfinden soll. Am 7. Januar hatten islamistisch motivierte Morde an elf Redaktionsmitgliedern der Pariser Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" Frankreich erschüttert, wenig später tötete ein IS-Anhänger eine Polizistin sowie vier jüdische Bürger in Paris.

Was wir nicht wissen: Steht auch der Absturz eines Flugzeugs mit russischen Urlaubern über der ägyptischen Sinai-Halbinsel vor wenigen Wochen, den der IS ebenfalls verursacht haben will, im Zusammenhang mit dem Blutbad von Paris? Und ist dies womöglich der Auftakt zu einer Terrorserie, die weitere Länder treffen könnte? New York hat die Sicherheitsvorkehrungen an beliebten Touristen-Zielen der Millionen-Metropole bereits verschärft.

Was wir wissen: Fahnder der bayerischen Polizei haben bereits vor Tagen einen mutmaßlichen Komplizen der Attentäter von Paris verhaftet. "Wir haben eine Verhaftung im Wege der Schleierfahndung, wo es die begründete Annahme gibt, dass es möglicherweise mit der Sache zusammenhängt", bestätigte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Laut Bayerischem Landeskriminalamt ist vergangene Woche ein 51-jähriger Mann aus Montenegro auf der Autobahn festgenommen worden. In seinem VW-Golf seien acht Maschinenpistolen, ein Revolver und zwei weitere Pistolen gefunden worden. Der Bayerische Rundfunk berichtete zudem von Munition und einigen Kilogramm TNT-Sprengstoff, die im Fahrzeug versteckt gewesen seien. Unter Berufung auf Ermittlerkreise meldet der BR weiter, aus den sichergestellten Unterlagen hätten sich "erhebliche Anzeichen" dafür ergeben, dass der Mann auf dem Weg nach Paris gewesen sei. Unmittelbar nach der Festnahme habe das LKA mit den französischen Behörden Kontakt aufgenommen und sie über Details informiert.

Was wir nicht wissen: Gab es im Vorfeld der Pariser Attentate weitere mögliche Hinweise auf eine drohende Terrorgefahr? Wurden sie womöglich nicht erkannt? Oder wurden sie etwa nicht beachtet?

Was wir wissen: Die Attentate von Paris verschärfen den Ton in der Flüchtlingsdebatte. Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen fordert neue Grenzregelungen: "Frankreich und die Franzosen sind nicht mehr in Sicherheit", so die Chefin der Partei Front National (FN). CSU-Mann Markus Söder verlangt auf Twitter Konsequenzen für die Flüchtlingspolitik in Deutschland: "#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen." Es könne nicht sein, "dass wir nicht wissen, wer nach Deutschland kommt und was diese Menschen hier machen", warnt er. "Diesen Zustand müssen wir mit allen Mitteln beenden." Die neue polnische Regierung wird sich wegen der Anschläge von Paris nicht mehr an der Verteilung von Flüchtlingen nach EU-Quoten beteiligen. Sein Land könne die eingegangenen Verpflichtungen nicht einhalten, schreibt der designierte Europaminister Konrad Szymanski in dem rechtsgerichteten Internet-Nachrichtenportal wPolityce.pl. Frankreichs Präsident François Hollande sprach von einem "Kriegsakt" des IS. Frankreich und die USA wollen nun im Kampf gegen den IS stärker zusammenarbeiten. Nach Pentagon-Angaben verständigten sich US-Verteidigungsminister Ashton Carter und sein Amtskollege Jean-Yves Le Drian auf "konkrete Maßnahmen", die das Militär beider Seiten "zur Intensivierung der engen Kooperation ergreifen sollte". Die Top-Wirtschaftsmächte (G20) berieten auf ihrem Gipfel in der Türkei ein schärferes Vorgehen gegen den Terrorismus. In Deutschland schickt die Bundespolizei verstärkt Einsatzkräfte an die Grenze zu Frankreich, intensiviert Streifen an Flughäfen und Bahnhöfen.

Was wir nicht wissen: Zu welchen Verwerfungen wird der steigende Druck auf die in der Flüchtlingsfrage gespaltene Union führen? Und wie geht es in Europa weiter, das die Trauer für einen Moment eint, das aber bald schon wieder erbittert über die Lösung der Flüchtlingskrise streiten wird? Welche Folgen wird der Anschlag für den Kampf gegen den IS haben?

(bew)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort