Terrorprozess nach Anschlägen in Paris Angeklagter rechtfertigt bei Gericht Bataclan-Blutbad mit 130 Toten

Paris · Sieben Jahre nachdem in Paris IS-Anhänger im Bataclan-Konzertsaal sowie in Cafés und Restaurants 130 Menschen erschossen haben, sagt der einzige Überlebende des Terrorkommandos vor Gericht aus.

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Der schmale Mann mit weißem Hemd und weißer Maske begann seine Aussage mit einem Statement in eigener Sache. „Ich habe niemanden getötet und niemanden verletzt“, sagte Salah Abdeslam, der einzige überlebende Attentäter der Pariser Anschläge des 13. November 2015 mit mehr als 130 Toten. „Man kann nicht sagen, dass ich den Lebensweg eines Terrorkämpfers habe.“ Mehr als fünf Jahre lang hatte der 32-Jährige geschwiegen, sodass seine ersten Worte in der gläsernen Box der Angeklagten am Mittwoch besonderes Gewicht bekamen. Doch der Franko-Marokkaner nutzte seinen Auftritt von allem für Propaganda für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die sich zu den Angriffen bekannt hatte. Gleichzeitig achtete Abdeslamsorgsam darauf, weder Komplizen noch Hintermänner der Angriffe zu belasten.

Abdeslam gehörte zu einer Gruppe von Männern, die 2015 im Brüsseler Stadtteil Molenbeek eine islamistische Zelle bildeten. Zentrum ihrer Aktivitäten war das Café Beguine von Brahim Abdeslam, der dort laut Zeugenaussagen Videos des IS zeigte. „Mein großer Bruder ist fünf Jahre älter und ich habe viel Respekt für ihn“, bekannte der Angeklagte. Dass Brahim sich 2015 in Syrien aufhielt, habe er erst Monate später erfahren. „Sie haben ihm dort gesagt, dass er nach Belgien zurückkehren und dort auf eine Mission warten soll.

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Foto: afp, sd

Dabei handelte es sich offensichtlich um die schwerste Anschlagserie, die Frankreich je erschütterte. Brahim Abdeslam gehörte zu dem Terrorkommando, das sich am Abend des 13. November 2015 vor dem Stade de France, mehreren Cafés und im Konzertsaal Bataclan in die Luft sprengte. Der ältere Bruder starb vor dem Restaurant Comptoir Voltaire. Salah Abdeslam warf dagegen seinen Sprengstoffgürtel weg und kehrte noch in der Terrornacht mit zwei Fluchthelfern im Auto nach Belgien zurück, wo er im März 2016 festgenommen wurde.

Das Verfahren gegen ihn und 19 weitere Angeklagte, darunter sechs Abwesende, begann unter großem Aufwand im September im alten Pariser Justizpalast. Damals hatte Abdeslam Aufsehen erregt, als er auf die Frage nach seinen Personalien sagte: „Ich habe jedem Beruf entsagt, um Kämpfer des Islamischen Staates zu werden.“ Abdelhamid Abaaoud, den getöteten Drahtzieher der Pariser Anschläge, kannte er seit mehr als zehn Jahren. Mit dem „netten Kerl“ verübte Abdeslam vor gut zehn Jahren seinen ersten Überfall, der ihn auch ins Gefängnis brachte. Danach verlor er seine Arbeit und schlug sich mit illegalen Jobs durch.

François Hollande für Anschläge verantwortlich gemacht

„Abdelhamid Abaaoud ist mein Bruder. Das ist jemand, den ich sehr liebte“, bekannte Abdeslam, der alle Fragen der Richter höflich beantwortete. Abaaoud hatte sich in Syrien in einem Video inszeniert, auf dem er lachend zu sehen ist, wie er Leichen im Auto hinter sich herzieht. Auf die Frage des Richters Jean-Louis Périès, ob er IS-Praktiken wie Enthauptungen gut heiße, antwortete Abdeslam: „Ich kann dazu weder Ja noch Nein sagen. In Frankreich gab es auch Enthauptungen, bevor die Todesstrafe abgeschafft wurde.“ Périès wies ihn umgehend darauf hin, dass in Frankreich ein Todesurteil nicht ohne Gerichtsverfahren vollstreckt worden sei.

Völlig zugeknöpft gab sich der Angeklagte bei Fragen zur Vorbereitung der Anschläge. Eine Reise nach Griechenland mit einem mutmaßlichen Komplizen im Sommer 2015 sei lediglich ein „Roadtrip“ gewesen. Bei seinem ersten Verhör in Belgien 2016 hatte Abdeslam zugegeben, für die Attentäter Hotelzimmer gemietet und Autos besorgt zu haben. Der 32-Jährige machte erneut Frankreich für die Anschläge verantwortlich, die eine Reaktion auf Luftangriffe auf Zivilisten in Syrien gewesen seien. „Wegen ihm sind wir jetzt hier“, sagte er an die Adresse von Ex-Präsident François Hollande gewandt, der im September 2015 französische Luftangriffe in Syrien angeordnet hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die Planung der Angriffe allerdings bereits in vollem Gange gewesen.

Überlebende der Attentate zeigten sich erleichtert, dass Abdeslam so bereitwillig Auskunft gab. „Er wurde offensichtlich gut von seinen Anwälten vorbereitet“, sagte der Lehrer Christophe Naudin, der am Abend des 13. November stundenlang im Konzertsaal Bataclan ausgeharrt hatte. Angst mache ihm der Angeklagte nicht. „Er erinnert mich eher an die kleinen Gauner, die bei meiner Mutter im Haus unten wohnen.“

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