Nach der Berliner Messer-Attacke Opfer des Amoklaufs: "Die Angst vor einer Aids-Ansteckung bleibt"

Berlin (rpo). Die Zahl der Opfer des Amoklaufs eines 16-Jährigen im Berliner Regierungsviertel hat sich nochmals erhöht und liegt nun bei 36 Betroffenen. Der Polizei zufolge wurden 31 Menschen mit dem Messer verletzt - sie alle müssen nun sechs Monate um ihr Leben bangen, weil eines der ersten Opfer der Messerstecherei HIV-infiziert ist. Die Polizei weist derweil die aufgekommene Kritik im Hinblick auf die Sicherheitsmaßnahmen der Weltmeisterschaft zurück.

"Es gibt bei Großveranstaltungen dieser Art keine absolute Sicherheit", sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch am Montag. Der Täter sei innerhalb von 16 Minuten unschädlich gemacht worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft stieg die Zahl der Verletzen auf 37. Über das Motiv gab es demnach auch drei Tage nach der Tat keine Erkenntnisse.

Nach Polizeiangaben haben sich mittlerweile fast 100 Zeugen des Vorfalls gemeldet, der sich am Freitagabend am Rande der Einweihungsfeier für den neuen Hauptbahnhof ereignet hatte. Die hohe Zahl der Zeugen und das fehlende Geständnis machten den Fall so kompliziert, dass es "mit Sicherheit nicht" zu einem beschleunigten Verfahren kommen werden, sagte Glietsch.

Knapp zwei Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland war der stark alkoholisierte Mike P. am späten Freitagabend nach der feierlichen Eröffnung des Hauptbahnhofs in Berlin Amok gelaufen. Er stach und schlug unweit des Reichstagsgebäudes wahllos auf Passanten ein, die sich auf dem Heimweg befanden. 31 Menschen haben Stichwunden, drei Personen hat der Täter laut einem Polizeisprecher niedergeschlagen, zwei sagten aus, dass ihre Kleidung durch die Angriffe beschädigt worden sei.

Da eines der ersten Opfer des Angriffs den Angaben zufolge HIV-positiv ist, müssen die anderen Niedergestochenen nun Angst vor einer Infektion mit dem tödlichen Aids-Virus haben. Alle Opfer und auch die Menschen, die den Verletzten erste Hilfe geleistet hatten, wurden daher aufgerufen, sich umgehend zur ärztlichen Untersuchung in die Charité oder in das Rudolf-Virchow-Klinikum zu begeben. Bis Sonntagabend meldeten sich 55 Opfer und Ersthelfer.

"Die Angst bleibt"

Eines der Opfer des brutalen Überfalls von Mike P. ist der "Bild"-Zeitung zufolge der 24-jährige Ulf K. Ihn erwischte der jugendliche Attentäter mit seinem Messer an der rechten Schulter und fügte ihm eine 1,5 Zentimeter tiefe Stichwunde zu. Ulf K. liegt nun in der Berliner Charité-Klinik. Den Amoklauf hat er überlebt - doch ihm stehen Monate der Unsicherheit und Angst bevor, bevor klar ist, ob er sich mit dem Aidsvirus infiziert hat. "Ich habe erst von Reportern von dem HIV-Verdacht erfahren", erzählt Ulf K. der "Bild". "Zehn Minuten später stand der Arzt bei mir im Zimmer. Er erklärte mir, daß sie bereits zwei Blut-Tests gemacht hätten und sie negativ waren. Aber Gewissheit habe ich deswegen nicht. Die Angst bleibt."

Auch die Ärzte wissen nicht genau, wie hoch das Risiko der Ansteckung ist. Es gebe bisher keine Erfahrungen zu HIV-Übertragungen durch Messerstiche, sagte der Direktor der Medizinischen Kliniken für Infektiologie der Charité, Norbert Suttorp. Die Opfer würden jetzt schnell mit Medikamenten behandelt, die einer HIV-Infektion vorbeugen sollen. Im Laufe des Sonntags wurde bekannt, dass das infizierte Opfer eine "sehr niedrige Viruslast" trägt. Dadurch sinke die Wahrscheinlichkeit einer Infektion für die Gestochenen, hieß es.

Trotzdem wird Ulf K. ebenso wie die anderen Opfer der Messer-Attacke mit den Medikamenten behandelt. In "Bild" berichtet er: "Ich nehme jetzt acht Tabletten pro Tag für die nächsten vier Wochen. Zudem wurde ich gegen Hepatitis B und C geimpft und bekomme Infusionen."

Hoffnung und Todesangst

Ulf K. und die anderen Patienten müssen mit Nebenwirkungen der Tabletten wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und später möglicherweise auch mit Blutarmut rechnen. Endgültige Sicherheit darüber, ob eine Aids-Infektion vorliegt oder nicht, gebe es erst mehrere Monate nach Ende der Prophylaxe, sagte Suttorp. Dann zeigt sich, ob der Aids-Test positiv oder negativ ausfällt. Für Ulf K. und die anderen Opfer bedeuten diese Monate ein ständiges Hin und Her zwischen Hoffnung und Todesangst.

Unterdessen sitzt der 16-jährige Amokläufer in Untersuchungshaft. Er hatte am Samstagabend Haftbefehl wegen 24-fachen Mordversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erhalten, leugnet die Tat aber, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte.

(afp2)
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