Wahrzeichen in Flammen Notre-Dame ist das Herz Frankreichs

Paris · Wenige Gebäude sind so symbolbeladen, sind aber auch so sehr zum Klischee geworden wie die Kathedrale von Paris. Dann kam das Feuer.

Wer auf der Place du Parvis Notre-Dame steht, also direkt vor der ebenso schlichten wie grandiosen Westfassade, der steht im Mittelpunkt Frankreichs. Hier ist der „Point Zéro“, der Ausgangs- und Endpunkt der großen französischen Straßen. Alle Wege führen nach Rom? „Alle Wege führen nach Paris“ stimmt viel eher. Und sie führen am Ende alle zu Notre-Dame.

Architekturhistorisch gilt vielen Touristen das Gebäude als Inbegriff der Gotik schlechthin, dabei steht es ziemlich an ihrem Anfang. In der Ile-de-France, der Gegend um Paris, nimmt dieser Baustil seinen Anfang, zu dessen Kennzeichen die Spitzbogengewölbe, die riesigen Fensterflächen und überhaupt das kompromisslose Streben nach Höhe gehören. 35 Meter messen die Gewölbe des Hauptschiffs von Notre-Dame vom Boden bis zum Scheitelpunkt – für das späte 12. Jahrhundert, als die Kirche entstand, ein geradezu unfassbares Maß.

Bilder von Feuer in Notre-Dame: Flammen schlagen aus Kathedrale in Paris
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Flammen schlagen aus der Kathedrale Notre-Dame in Paris

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Foto: AP/Francois Mori

Wer die Kirche zum ersten Mal betritt, mag enttäuscht sein vom schummrigen Halbdunkel. Das Wunder geschieht erst auf den zweiten Blick, wenn sich das Auge an die Lichtverhältnisse gewöhnt hat und die Fenster wahrnehmen kann. Typisch Gotik. Allein das Rosenfenster im nördlichen Querschiff, nahe am Ursprungspunkt des Brandes, hat einen Durchmesser von 13 Metern.

Notre-Dame ist nicht nur nach wie vor der symbolische Mittelpunkt eines ganzen Landes, nicht nur eine der meistbesuchten und meistfotografierten Touristenattraktionen Europas – es ist auch eine Kirche, Sitz des Erzbischofs von Paris, das traditionelle geistliche Zentrum der Hauptstadt. Schon im 6. Jahrhundert stand hier ein Gotteshaus, ein halbes Jahrtausend bevor man mit dem Bau des heutigen Bauwerks begann. Über die fünf Jahrhunderte nach 1300, als die Kirche weitgehend fertig war, ist am Bau selbst relativ wenig verändert worden, lediglich ein paar barocke Details fügten die französischen Könige hinzu. Notre-Dame stand zwar im Mittelpunkt des Königreichs – Krönungskirche der französischen Könige aber war stets die Kathedrale von Reims in Nordosten des Landes. Napoleon allerdings, der wurde 1804 hier gekrönt. Von sich selbst.

Wäre es nach den radikalsten Revolutionären gegangen, dann stünde Notre-Dame heute gar nicht mehr. Maximilien de Robespierre ließ sie dann 1793 zum „Tempel der Vernunft“ und dem Kult des „höchsten Wesens“ weihen. Vorher hatten die Fanatiker einen großen Teil der gotischen Skulpturen zerschlagen: Sie galten ihnen als Götzen, Inbegriff des Alten, das zerstört werden musste.

Und dann ist da noch der Glöckner, natürlich. Gut möglich, dass Millionen Menschen weltweit Notre-Dame nur wegen des Romans von Victor Hugo, aus seinen Verfilmungen und aus seiner Musical-Verarbeitung kennen. Es ist die spätmittelalterlich-pralle, tragische Geschichte des buckligen Glöckners Quasimodo und der Zigeunerin Esmeralda, die sich seiner erbarmt, deren Hinrichtung er aber nicht verhindern kann.

Das Buch hat Notre-Dame aber nicht nur einen Platz in der Literaturgeschichte verschafft, es hat womöglich auch das Gebäude selbst gerettet: Die Kirche war im 19. Jahrhundert weitgehend verfallen; die historische Begeisterung für das Mittelalter und den Roman übertrug sich auf den Stil der Gotik und auf die Kirche. Es folgte eine große Restaurierungskampagne. Sie gab unter anderem dem kleineren Vierungsturm, der die flachen Türme der Westfassade überragte, seine bekannte schlanke Gestalt.

Das Wappen der Stadt Paris zeigt unter den königlichen Lilien ein Schiff. Darunter ist der Wahlspruch zu lesen: „Fluctuat nec mergitur“ - „es schwankt, aber es geht nicht unter“. Notre-Dame de Paris hat achteinhalb Jahrhunderte überstanden, ohne unterzugehen. Dann kam das Feuer.

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