Fährunglück der "Norman Atlantic" Passagiere berichten von Chaos und Todesangst

Athen/Rom · Die Situation an Bord der "Norman Atlantic" soll chaotisch gewesen sein. Gerettete erzählen von Panik an Bord und von überfordertem Personal. Warum hat die Rettung von der Fähre so lange gedauert? In Italien weckt das Unglück ungute Erinnerungen.

"Norman Atlantic": Adria-Fähre gerät in Brand
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Fähre gerät in der Adria in Brand

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Ein Mann im Schlafanzug und in eine Decke gewickelt humpelt Schritt für Schritt die Treppe des Containerschiffes hinunter. Die Anstrengungen der letzten Stunden stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Ein Junge klammert sich an einen Mann. Einige weinen vor Erleichterung. Zumindest für diese Geretteten hat der Alptraum auf der Adria-Fähre "Norman Atlantic" ein Ende, als sie von einem Containerschiff im Hafen von Bari gehen konnten. Dutzende andere saßen auch am Montag noch auf der Adria-Fähre vor der albanischen Küste fest. Acht Todesopfer wurden bestätigt. Per Hubschrauber wurden die Menschen in einem zähen Countdown aus der Hölle auf hoher See befreit. Details über die Zustände an Bord kommen ans Licht.

Passagiere erzählen von dem Chaos, nachdem am Sonntag vor der griechischen Insel Korfu ein Feuer ausgebrochen war. "Man hat uns keine Anweisung gegeben. Es gab nur einen einzigen Notausgang auf Deck 6 in Richtung Bug. Es herrschte dort absolute Panik wegen des Gedränges. Es gab keinerlei Koordination, niemand hat die Leute beruhigt", sagte die Passagierin Rania Fyreou im griechischen Fernsehen. "Das größte Rettungsboot für 150 Menschen war mit nur 60 Leuten besetzt. Das Personal war praktisch nicht vorhanden." Zudem sei das Schiff der griechischen Linie Anek Lines in letzter Minute ausgewechselt worden. "Wir hätten eigentlich mit einem anderen Schiff fahren sollen. Wir fühlten uns, als ob wir auf einem Schiff in der Dritten Welt reisen sollten."

Chronik der schweren Schiffsunglücke
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Foto: afp, STRINGER

Andere erzählen von ihrer Verzweiflung. "Mein Mann und ich sind mehr als vier Stunden im Wasser gewesen. Ich wollte ihn retten, habe es aber nicht geschafft. Er sagte "Wir sterben, wir sterben"", erzählte die Frau eines Todesopfers, Teodora Douli. Ein Elfjähriger liegt im Krankenhaus von Copertino in Süditalien und wartet auf Nachrichten von seinem Vater. "Geht es Papa gut? Wo ist er? Wann holt er mich ab", sagte Marco Journalisten.

Die meisten Probleme bereitete den Helfern das Wetter. Bei meterhohen Wellen kann kein anderes Schiff an die "Norman Atlantic" anlegen und die Menschen von Bord holen. Zu groß wäre das Risiko, dass beide Schiffe einen folgenschweren Schaden davontragen. Der griechische Schifffahrts-Experte Giorgos Margetis sagte im Fernsehen, bei dem Unfall seien mehrere unglückliche Umstände zusammengekommen. "Zunächst das Feuer, das sich ausgesprochen schnell ausgebreitet hat. Feuer ist das Schlimmste, was auf einem Schiff passieren kann. Dazu hatten wir extrem schlechtes Wetter, bis Windstärke zehn. Das passiert auf unseren Meeren vielleicht zwei, drei Mal im Jahr."

Schiffsunglücke in der Region
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Schiffsunglücke in der Region

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Für Hubschrauber ist das eine Riesenherausforderung. "Die Flammen zu überfliegen, ist keine leichte Sache", sagte der Ex-General der italienischen Luftwaffe, Vincenzo Camporini. "Zudem macht es die Sache noch komplizierter, wenn sich so viele Institutionen koordinieren müssen."

Medien spekulierten bereits über Abstimmungsprobleme zwischen den Ländern. So soll Griechenland zum Beispiel favorisiert haben, dass die "Norman Atlantic" ins nähere Albanien geschleppt werde. Doch dies sollen die Italiener, die das Kommando bei der Operation haben, nicht unterstützt haben. Bei der Abschleppaktion riss dann zu allem Überfluss noch ein Tau und hielt die Retter weiter auf.

Was an Bord wirklich geschehen ist, wird sich zeigen. Die Staatsanwaltschaften in Bari und Brindisi leiteten Ermittlungen ein.
Geprüft werden müssen auch Vorwürfe, wonach bei der "Norman Atlantic" Mängel festgestellt worden waren und dass das Autodeck überfüllt war.

In Italien wecken die Schilderungen ungute Erinnerungen an die Havarie der "Costa Concordia" im Januar vor drei Jahren. Damals fuhr der Kreuzer mit mehr als 4200 Menschen auf einen Felsen vor der Insel Giglio, 32 Menschen starben. Dem Kapitän Francesco Schettino wird derzeit der Prozess gemacht. "So etwas überwindet man nie", sagt Chiara Castello, Opfer der Concordia-Katastrophe, der Zeitung "La Repubblica". "Ich denke an die Armen auf dem Schiff...Diese Tragödie wird sie ein Leben lang begleiten."

(dpa)
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