Nach Museumsbrand in Brasilien Tausende protestieren gegen Sparzwang in Rio

Rio de Janeiro · Für viele Brasilianer ist das Feuer ein Symptom eines größeren Übels. Öffentliche Einrichtungen sind chronisch unterfinanziert, Steuergelder verschwinden oft in dunklen Kanälen. Auch im Nationalmuseum wurde wohl beim Brandschutz gespart.

 Studenten und Mitarbeiter des brasilianischen Nationalmuseums protestieren nachdem ein Großrand weite Teile der Einrichtung zerstört hat.

Studenten und Mitarbeiter des brasilianischen Nationalmuseums protestieren nachdem ein Großrand weite Teile der Einrichtung zerstört hat.

Foto: dpa/Silvia Izquierdo

Márcia Valeria Morosini ist außer sich. „Wir, alle Brasilianer, müssen jetzt hier sein“, sagt die Mitarbeiterin des biowissenschaftlichen Forschungsinstituts Fiocruz in Rio de Janeiro. „Was wir verloren haben, ist das Gedächtnis der Welt. Wir waren Hüter eines Teils der Erinnerung der Menschheit.“

Zahlreiche Studenten und Wissenschaftler haben nach dem verheerenden Großbrand im Nationalmuseum von Brasilien gegen Sparzwang und Schlamperei bei der Erhaltung öffentlicher Einrichtungen protestiert. „Was wir heute verloren haben, steht symbolisch für die aufgelaufenen Verluste der Wissenschaft in Brasilien“, sagt Morosini.

Für viele der Demonstranten im Stadtpark Quinta da Boa Vista ist das Feuer in dem ältesten Museum Brasiliens nur ein Symptom eines größeren Übels: Die Politiker des größten südamerikanischen Landes sind seit Jahren mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den drängenden Problemen des Landes. Steuergelder gelangen oft über dunkle Kanäle in die Taschen von Funktionären anstatt in Universitäten, Krankenhäuser oder Schulen investiert zu werden.

„Ich bin gekommen, um mich sowohl für die Universität als auch für alle anderen öffentlichen Räume der Kultur und Bildung starkzumachen“, sagt die 18-jährige Studentin Vitória Barbosa. Der mangelhafte Brandschutz des Hauses stand schon seit längerem in der Kritik. „Für die Instandhaltung von historischen Gebäuden sind finanzielle Mittel nötig, und in Brasilien werden diese nicht zur Verfügung gestellt“, kritisierte Museumsdirektor Alexander Kellner.

Schnell geht es ums große Ganze: Die Demonstranten werfen der Regierung von Präsident Michel Temer vor, beim Brandschutz geschlampt und damit das historische Vermächtnis des Landes leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu haben. „Weg mit Temer, weg mit Temer“, skandieren sie vor der Ruine des ausgebrannten Gebäudes. Die Polizei geht mit Pfefferspray gegen die protestierenden Menschen vor.

Das Feuer im Nationalmuseum war am Sonntagabend ausgebrochen und hatte große Teile des früheren Kaiserpalasts zerstört. Nach einem ersten Rundgang geht die Museumsverwaltung davon aus, dass etwa 90 Prozent der rund 20 Millionen Ausstellungsstücke vernichtet wurden.

Das wertvollste archäologische Ausstellungsstück war der Schädel von „Luzia“. Mit rund 13 000 Jahren gilt es als eines der ältesten Fossile eines Homo sapiens in Amerika. Für die Demonstranten war das Skelett in der Höhle nördlich von Belo Horizonte, wo es 1975 entdeckt wurde, besser aufgehoben als im Museum. „Luzia hat 13 000 Jahre in der Natur überlebt, aber kein halbes Jahrhundert in den Händen der Regierung“, war auf einem Plakat zu lesen.

Die Museumsverwaltung glaubt allerdings, dass es noch einen Funken Hoffnung gibt. „Luzia“ befinde sich in einer Stahlkiste und könnte den Brand möglicherweise überstanden haben, sagte die stellvertretende Museumsdirektorin Cristiana Serejo.

Das Museum galt mit seiner geologischen, botanischen, paläontologischen und archäologischen Sammlung als eines der wichtigsten Ausstellungshäuser Südamerikas. Neben Exponaten aus der Region verfügte es auch über ägyptische Mumien, griechische Statuen und etruskische Artefakte.

Eine weitere Attraktion war die Dinosauriersammlung mit mehr als
56 000 Ausstellungsstücken. Die Replik eines Maxakalisaurus, eines mächtigen Pflanzenfressers von 13 Metern Länge und neun Tonnen Gewicht, nahm einen ganzen Saal ein und begeisterte vor allem Kinder.

Einige wenige Ausstellungsstücke können nach Einschätzung von Vize-Direktorin Serejo noch gerettet werden. Dazu zählen der fünf Tonnen schwere Meteorit Bendegó, Teile der zoologischen Sammlung, die Bibliothek, Teile der Mineralien-Sammlung und einige Keramiken. Soldaten umstellten die Ruine, um Plünderungen zu verhindern.

Fußballstar Pelé versuchte, seinen Landsleuten nach dem Brand etwas Hoffnung zu machen. „Es gibt nichts Fruchtbareres als Asche“, schrieb er am Dienstag auf Twitter. „Auf den Überresten des Nationalmuseums müssen wir mit neuen Ideen und frischer Energie etwas Neues errichten.“

(ubg/dpa/afp)
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