Briefe an Beichtvater veröffentlicht Mutter Teresa hatte den Glauben verloren

Frankfurt/Main (RPO). Zum zehnten Todestag von Mutter Teresa erscheint ein Buch, in dem Briefe der Nonne an einen Beichtvater gesammelt sind. Der Briefwechsel könnte das Bild von Mutter Teresa revidieren: Offenbar hatte sie in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens starke Glaubenszweifel, fühlte sich allein und von Gott verlassen.

 Mutter Teresa hatte offenbar nur in den ersten Jahrzehnten ihres Lebens einen festen Glauben.

Mutter Teresa hatte offenbar nur in den ersten Jahrzehnten ihres Lebens einen festen Glauben.

Foto: AP, ASSOCIATED PRESS

"Tief in meinem Innern ist nur Leere und Dunkelheit. Ich habe keinen Glauben - ich wage es nicht, die Worte und Gedanken auszusprechen, die mich so unbeschreiblich leiden lassen", schrieb Mutter Teresa in einem Brief an den Beichtvater.

Dieser Briefwechsel von Mutter Teresa erscheint am 4. September weltweit unter dem Titel "Komm, sei mein Licht" (Pattloch-Verlag). Gesammelt hat sie der kanadische Priester Brian Kolodiejchuk, der Mutter Teresa gut kannte. Ihr Orden gab das Material frei - gegen den ursprünglichen Willen der Verstorbenen, die wollte, dass alle Briefe verbrannt werden.

Die Briefe zeigen zum ersten Mal der Öffentlichkeit die Glaubensprobleme der Ordensfrau - und werden nach Einschätzung von Theologen das Bild von Mutter Teresa völlig erneuern. Auch andere Heilige hätten Schwierigkeiten mit dem Glauben gehabt, sagte der Priester James Martin dem US-Magazin "Time". "Es wird alle Menschen ansprechen, die selbst zweifeln - Atheisten, Suchende und Gläubige."

Mutter Teresa berichtet in ihren Briefen von "Dunkelheit" und "Qual", vergleicht ihren Zustand mit der Hölle. Herausgeber Kolodiejchuk erklärt, dass Teresa als Mystikerin in ihren jungen Jahren Visionen von Jesus hatte. Später habe sie diese Verbindung offenbar verloren. Sie war sich bewusst, dass sie in der Öffentlichkeit ganz anders über ihren Glauben sprach. "Das Lächeln", schreibt sie, ist "eine Maske" oder "ein Tuch, das alles bedeckt."

Zugfahrt in Indien als Wendepunkt

Die junge Albanerin Agnes Gonxha Bojaxhiu wollte schon früh Missionarin werden. Die Tochter eines wohlhabenden albanischen Bauunternehmers und einer streng katholischen Mutter wurde am 27. August 1910 in Skopje geboren.

Im Alter von 18 Jahren schloss sie sich dem irischen Loreto-Orden an und ging nach Indien. Sie nahm den Namen Teresa in Erinnerung an die heilige Thérèse de Liseux an. Zusammen mit den Schwestern unterrichtete sie 17 Jahre lang in Kalkutta an der Missions High School St. Mary Geografie und Katechismus.

Als Wendepunkt in ihrem Ordensleben gilt eine Zugfahrt nach Darjeeling am 10. September 1946. Die 36-Jährige wurde von dem Orden in die Berge geschickt um auszuspannen. Da habe sie die Stimme Jesu gehört. "Komm, sei mein Licht", hörte sie ihn sagen, wie sie später berichtete. Er habe sie aufgefordert, in den Slums zu arbeiten, mit den Ärmsten der Armen, den Straßenkindern, Bettlern, Kranken und Sterbenden. "Es war ein Auftrag."

Daraufhin bat Teresa den Erzbischof Périer von Kalkutta eindringlich, sie freizustellen. Der war skeptisch - aber sie blieb hartnäckig. Erst zwei Jahre später, 1948, erlaubte ihr der Erzbischof, ihre Ordenskleidung abzulegen. Sie trug fortan einen bengalischen Baumwoll-Sari mit blauer Borte. Mehr als ihre Kleidung wollte sie nicht besitzen. So wollte sie sich ganz den Armen hingeben, auf ihrer Stufe stehen. Sie nahm auch die indische Staatsbürgerschaft an.

"Er war so seltsam dankbar"

In einem der Briefe beschreibt sie den ersten Tag ihrer neuen Arbeit: "Ich gab einem alten sterbenden Mann, der auf der Straße lag, zu trinken - er war so seltsam dankbar." Wenige Wochen später hatte Mutter Teresa schon eine kleinen Kreis von Anhängern und Helfern.

Mit zwölf Schwestern gründete sie den Orden der "Missionarinnen der Nächstenliebe", der 1950 vom Vatikan anerkannt wurde. 1952 stellte die Stadt Kalkutta ein Haus zur Verfügung, das zum Sterbehaus Nirmal Hriday (Reines Herz) wurde. Es befand sich in dem alten Hindu-Tempel Kalighat, wohin sich Bettler, Lepra-Kranke und Hungernde schleppten, um letzte Kraft zu schöpfen.

Bald folgten weitere Häuser: 1955 das Waisenhaus "Shishu Bhawan", 1964 eine Lepra-Kolonie in der Nähe von Kalkutta. Später kamen eine Tuberkuloseklinik, eine Entbindungsklinik und Schulen hinzu. 1965 gründete Mutter Teresa das erste Haus außerhalb Indiens in Venezuela.

Ihr Netzwerk der Barmherzigkeit wuchs immer weiter. 1995 unterhielt der Orden 534 Häuser in 115 Ländern, darunter eines in der South Bronx in New York, in London, Paris und Rom. Heute gehören etwa 4.500 Nonnen den "Missionarinnen der Nächstenliebe" an.

Botschafterin des Friedens

Im Westen wurde der "Engel der Armen" als Verkörperung der selbstlosen Nächstenliebe und Botschafterin des Friedens gefeiert. Sie erhielt zahlreiche Preise und Ehrendoktortitel. 1979 wurde ihr der Friedensnobelpreis zuerkannt.

Mutter Teresa reiste in ihrem Baumwoll-Sari und einem löchrigen Pullover nach Oslo, die Füße steckten in Sandalen, trotz Minustemperaturen. Bald drängelten sich Politiker und Prominente förmlich darum, mit Mutter Teresa fotografiert zu werden. Ronald Reagan überreichte ihr die amerikanische Freiheitsmedaille.

Der Ruhm blieb aber nicht ohne Kritik. Anlass war die Weigerung des Ordens, seine Finanzen offenzulegen. Es wurde gemutmaßt, dass sie einen Teil der Spenden von schätzungsweise 100 Millionen Dollar pro Jahr dem Vatikan zur Verfügung stellte.

Zu ihren größten Kritikern zählte der britische Journalist Christopher Hitchens. In dem Buch "The Missionary Position" (1995) bezeichnete er sie als "Gründerin eines Kults, der sich auf Tod und Leiden stützt". Selbst den heilbar Kranken werde kaum medizinische Hilfe zuteil. Die Zustände in den Heimen seien katastrophal.

Mutter Teresa sagte dazu, dass sie und ihre Helfer keine Ärzte und keine Sozialarbeiter seien. "Was wir tun, tun wir für Jesus." Ihre Kritiker hielten ihr vor, nichts gegen die Ursachen von Armut und Leid zu tun. Trotz des hohen Bevölkerungswachstums in Indien trete sie strikt für die katholische Lehre zur Empfängnisverhütung ein. In ihrer Dankesrede für den Nobelpreis in Oslo verurteilte sie die Abtreibung als "größte Bedrohung für den Weltfrieden".

Am 5. September 1997 starb Mutter Teresa im Alter von 87 Jahren an Herzstillstand. Zur Trauerfeier im Netaji-Stadion in Kalkutta kamen 12.000 Menschen, darunter auch Hillary Clinton und Norbert Blüm. "Teresa hätte über das Begräbnis geschimpft", sollen ihre Ordensschwestern gesagt haben. "Aber sie hatte auch Humor und hätte vielleicht darüber gelacht."

Am 19. Oktober 2003 wurde Mutter Teresa von Papst Johannes Paul selig gesprochen. Nun wird erwartet, dass sie auch zur Heiligen erklärt wird - ihre Glaubenszweifel sollten dafür kein Hindernis sein.

(ap)
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