Chaos in München Eine Stadt im Ausnahmezustand

München · Der Anschlag eines 18-Jährigen hat am Freitagabend in München für Angst und Chaos gesorgt. Unser Autor hält sich derzeit in der Stadt auf. Hier beschreibt er, wie er die Abendstunden erlebt hat.

Terror in München: Polizei sperrt öffentliche Plätze
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Polizei sperrt Plätze in München

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Am Abend, als die Sonne schon langsam untergeht, ist die Lage vor dem Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München weiterhin von grellem Licht, tosendem Lärm und Hektik geprägt. Die Blaulichter der Polizeifahrzeuge blinken überall, die Sirenen jaulen. Noch immer sollen sich, so berichtet ein Reporter des Bayerischen Rundfunks (BR), Menschen in der großen Shopping-Mall im Norden der Stadt aufhalten, die in Sicherheit gebracht werden müssen. Sie hätten sich im Lager eines Bekleidungsgeschäftes versteckt, die Luft werde stickig und dünn.

Der Anschlag, das Attentat, der Amoklauf — wie immer man es zu diesem weiterhin unklaren Zeitpunkt bezeichnen mag - ist da schon seit drei Stunden vorüber. Vor einem McDonalds-Restaurant gegenüber des OEZ wurde gegen 18 Uhr plötzlich geschossen, verlautete es zunächst vage. Später präzisierte es sich: Ein 18-Jähriger hatte um sich geschossen und neun Menschen getötet.

Lage lange unklar

Schüsse in München: Amokalarm am Olympia-Einkaufszentrum OEZ
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Amok-Alarm in München

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Die Lage wird von der Polizei den ganzen Abend und in der Nacht als "unklar" bezeichnet — und als gefährlich. Schlagartig wird dies dann klar, als der gesamte öffentliche Verkehr im Münchner Raum eingestellt wird. Es fahren keine U- und S-Bahnen, keine Busse und keine Trambahnen mehr. An den Haltestellen stehen noch Menschen, die bisher nicht informiert sind, und warten. Die Busse fahren leer an ihre Standorte, als Fahrtziel ist nur "Rückfahrt" angegeben.

München wird binnen sehr kurzer Zeit abgeriegelt, quasi bewegungsunfähig gemacht. Denn die Täter - zu diesem Zeitpunkt geht man noch von drei Personen aus - scheinen auf der Flucht zu sein. Sie sollen nicht weit kommen, so ist das Kalkül der Polizei, sollen nicht fliehen und vor allem — wo auch immer in der Stadt oder anderswo — eine weitere Gefahr darstellen, womöglich weitere Menschen töten. Auch der Hauptbahnhof wird gesperrt und evakuiert. Kein Zug fährt mehr, der gesamte Schienenverkehr wird auf Bahnhöfe in der Region umgeleitet.

München unter Schock

Die Menschen sollen große Plätze meiden, warnt die Polizei. Sie sollten am besten gar nicht raus gehen, sondern daheim bleiben. Es gibt wilde Berichte über weitere Schießereien im Zentrum, am Stachus und am Isartor, die aber dementiert werden. Der Marienplatz, wo sich normalerweise an einem Freitagabend hunderte, wenn nicht tausende Menschen aufhalten, ist fast leer, so wird berichtet. München steht still, München ist unter Schock, in München herrscht Alarmzustand.

Wie viele Polizisten und Krankenwagen von allen Hilfsorganisationen im Einsatz sind, vermag niemand zu sagen. Aus Bonn ist das Sondereinsatzkommando der Bundespolizei (SEK) auf dem Weg. Autofahrer werden gehalten, die Autobahnen vor München freizuhalten. Viele Ausfallstraßen sind abgeriegelt. Die Krankenhäuser rufen Ärzte und Pflegepersonal an ihre Arbeitsstätten — falls es weitere Opfer zu behandeln gibt. Die Polizei spricht von einer "Amoklage", einem "Sonderfall", einer "akuten Terrorlage". Nicht nur über dem OEZ, auch über der Innenstadt kreisen Polizeihubschrauber. Und das nach dem verheerenden Anschlag am Strand von Nizza mit 84 Toten und dem Attentat im Zug bei Würzburg, der gerade vier Tage her ist.

Anteilnahme in Berlin

Im Klinikum rechts der Isar sei ein weiteres Opfer seinen Verletzungen erlegen, berichtet die Polizei um 21.40 Uhr. Im Internet, in den sozialen Netzwerken, machen wildeste Spekulationen die Runde. Die Polizei ruft dazu auf, das bleiben zu lassen, weil es die Arbeit noch weiter erschwert.

In Berlin spricht die Bundesregierung ihre Anteilnahme aus. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ist von seinem Wohnort Ingolstadt in die Staatskanzlei gekommen zu einem Krisentreffen unter anderem mit dem Innenminister Horst Seehofer (CSU). Manche Menschen haben Probleme, aus der Stadt nach Hause zu kommen, deshalb werden auf Twitter "offene Türen" gemeldet — wo Leute, die gestrandet sind, übernachten können. Das Hotel "Vier Jahreszeiten" macht ebenso mit wie die Staatskanzlei.

Und auch in der Nacht wird noch nach den Tätern gesucht, von tausenden Polizisten. Erst um weit nach Mitternacht kann die Polizei Entwarnung geben. Zur Ruhe kommt die Stadt in dieser Nacht trotzdem nicht mehr.

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