66 Angeklagte und 45 Opfer Kinderschänderprozess von beispielloser Dimension

Angers (rpo). In Frankreich beginnt am Donnerstag ein Kinderschänderprozess von beispielloser Dimension. 66 Angeklagte, für die im Prozesssaal extra Käfige gebaut wurden, müssen sich vor Gericht dafür verantworten, sich teilweise an ihren eigenen Kindern vergangen zu haben. Wegen zu grausamer Details wird die Öffentlichkeit wohl von dem Verfahren augeschlossen, lediglich Journalisten zugelassen. Die Geschworenen werden psychologisch betreut.

 In diesem Gebäude in Angers spielten sich die grausamen Taten ab - und keiner hat etwas bemerkt.

In diesem Gebäude in Angers spielten sich die grausamen Taten ab - und keiner hat etwas bemerkt.

Foto: AFP, AFP

Ein außergewöhnlich schwerer Fall von Kindesmissbrauch wird vor dem Geschworenengericht der westfranzösischen Stadt Angers verhandelt: 66 Angeklagte, darunter 27 Frauen, müssen sich ab Dienstag wegen Vergewaltigung von Minderjährigen, Zuhälterei, Kindesmissbrauchs sowie Beihilfe dazu verantworten. Die Staatsanwaltschaft zählte 45 Opfer, das jüngste davon nur sechs Monate alt. Die Verbrechen trugen sich von Juni 1999 bis Februar 2002 zu.

"Meines Wissens gab es in Frankreich noch niemals einen Kriminalfall von diesem Ausmaß", sagte sogar einer der Verteidiger, Pascal Rouiller. Die Kinder wurden von ihren eigenen Eltern missbraucht oder Fremden gegen Zahlung eines kleinen Geldbetrags oder eines Lebensmittelpakets überlassen.

Von den 66 Angeklagten sind 39 wegen Vergewaltigung von Minderjährigen unter 15 Jahren und schwerer Zuhälterei angeklagt. Ihnen drohen 30 Jahre Haft. Die anderen stehen unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Mitwisserschaft vor Gericht. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft.

Fast alle Angeklagten kommen aus schlechten sozialen Verhältnissen und lebten von Sozialhilfe. "Meine Mandanten stammen aus einem sehr benachteiligten Milieu, die meisten können nicht lesen, und es ist sehr schwer, sie dazu zu bringen, auf ihre Akte zu reagieren", sagte Anwalt Rouiller.

Alle 66 Angeklagten und 45 Opfer wurden von Sozialdiensten betreut. Im Raum steht daher auch die Frage nach deren Versagen. Er verstehe nicht, wie es sein könne, dass keinem Mitarbeiter der medizinisch-sozialen Dienste etwas aufgefallen sei, sagte der Anwalt.

Ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen eine 16-Jährige, die im November 2000 den Freund ihrer Mutter und dessen Bruder wegen Vergewaltigung anzeigte. Beide Männer waren bereits einschlägig vorbestraft. Bei ihren Nachforschungen stießen die Ermittler auf ein umfangreiches Netz von Kinderprostitution und Pädophilie.

Für den auf vier Monate angelegten Prozess wurde im Justizpalast von Angers eigens ein 760 Quadratmeter großer Saal angebaut. Die sorgfältig ausgewählten neun Geschworenen und acht Ersatzgeschworenen werden während des Verfahrens psychologisch betreut.

Ob Öffentlichkeit und Presse ganz oder teilweise von dem Prozess ausgeschlossen werden, wollte das Gericht zu Beginn der Anhörungen entscheiden. Den Kindern bleibt ein Auftritt im Gerichtssaal erspart. Ihre Aussagen wurden im Zuge der Ermittlungen von der Polizei gefilmt, sie werden auf einem Bildschirm vorgeführt.

Einig sind sich Anklage und Verteidigung darin, dass der Prozess gut vorbereitet wurde. "Die Beweisaufnahme wurde gut durchgeführt", sagte Anwalt Rouiller. Das Verfahren habe nichts mit dem von Ermittlungspannen überschatteten Kinderschänderprozess von Outreau gemein, bei dem im Mai 2004 sieben Beschuldigte freigesprochen wurden.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung glauben allerdings, dass einige während der Tat maskierte Mittäter noch nicht gefasst wurden. So hätten Opfer von einer tätowierten Frau berichtet, die nicht unter den Angeklagten sei.

(ap)
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