Tornado-Katastrophe in Kentucky Kaum noch Hoffnung auf Überlebende - vermutlich mehr als 100 Todesopfer

Update | Mayfield · Kentuckys Gouverneur Beshear hat Mühe, das Ausmaß der Zerstörung in Worte zu fassen - so gigantisch ist die Verwüstung nach den Tornados in den USA. Noch jemanden lebend zu retten, wäre aber ein Wunder, sagt er. In seinem Bundesstaat dürfte die Zahl der Toten am Ende bei mehr als 100 liegen.

Dutzende Tote nach verheerenden Tornados in den USA befürchtet
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Dutzende Tote nach verheerenden Tornados in den USA befürchtet

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Foto: AFP/Brett Carlsen

Nach einem verheerenden Tornado im Mittleren Westen der USA sind allein im Bundesstaat Kentucky vermutlich mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 80 Todesopfer seien gemeldet worden, die Zahl werde aber noch steigen, sagte Gouverneur Andy Beshear am Sonntagmorgen (Ortszeit). Unter anderem machte der Sturm in der Nacht zum Samstag eine Kerzenfabrik dem Erdboden gleich, die voller Arbeiter war. „Es wäre ein Wunder, wenn wir da noch jemanden rausziehen“, sagte Beshear dem Nachrichtensender CNN. 4,5 Meter Stahl und kaputte Autos lägen jetzt dort, wo einmal das Dach gewesen sei.

Der Tornado hatte eine mehr als 320 Kilometer lange Schneise der Verwüstung durch Teile Kentuckys gezogen. In der Kerzenfabrik in Mayfield, einer Stadt mit etwa 10.000 Einwohnern im Westen Kentuckys, hätten die Nachtschichtarbeiter noch versucht, sich in einem vermeintlich stabileren Teil des Gebäudes zu verschanzen. Doch die Kraft des Tornados sei einfach zu gewaltig gewesen, sagte Beshear. Retter hätten teils über Tote hinwegsteigen müssen, um zu Überlebenden vorzudringen, erklärte der Feuerwehrchef der Stadt, Jeremy Creason.

In Arkansas seien ganze Städte wie vom Erdboden verschwunden, sagte Gouverneur Beshear. In Mayfield säumten zerstörte Autos und umgeknickte Strommasten die behelfsmäßig freigeräumten Straßen. Bei vielen der Häuser, die noch standen, fehlten Dächer und Fenster.

Aus der dortigen Kerzenfabrik wurden am Samstag 40 der 110 Menschen gerettet, die zum Zeitpunkt des Einsturzes dort gearbeitet hatten. Für den Rest gab es so gut wie keine Überlebenschancen. Zu den Vermissten gehörte eine 50-jährige vierfache Mutter, deren Angehörige am Samstag Nachtwache hielten. Sie habe dort Kerzen hergestellt, die zu Weihnachten als Geschenke dienen, sagte ihr Bruder Darryl Williams. Deshalb habe sie vermutlich ihr Leben verloren.

Allein in Kentucky hinterließen die Tornados über 200 Meilen (320 Kilometer) hinweg eine Schneise der Verwüstung. „Alles in ihrem Pfad ist weg. Häuser, Geschäfte, Regierungsgebäude - einfach weg. Teile von Industrieanlagen, Dächer sind in Bäumen. Es ist schwer vorstellbar, dass das überhaupt möglich ist“, sagte Beshear. „Die Verwüstung ist mit nichts zu vergleichen, was ich in meinem Leben gesehen habe, und ich habe Mühe, es in Worte zu fassen.“

Auf Fotos vom Samstag war zu sehen, wie Menschen bei der Bergung von Gegenständen aus einem zerstörten Haus in Mayfield halfen. Auf anderen waren Straßenzüge der Kleinstadt zu erkennen - die Häuser wirkten wie wegrasiert.

Beshear schwor die Menschen im Katastrophengebiet angesichts von Tiefsttemperaturen um den Gefrierpunkt und großflächigen Stromausfällen auf schwierige Stunden ein. „Es wird eine harte Nacht für viele Menschen in Kentucky werden“, sagte er. Dem Gouverneur drohte zwischenzeitlich die Stimme zu versagen - etwa, als er von dem Heimatort seines Vaters namens Dawson Springs erzählte. „Einen Block von dem Haus meiner Großeltern steht kein Haus mehr“, sagte Beshear. „Und wir wissen nicht, wo all diese Menschen sind.“

In Illinois stürzte das Dach eines Verteilzentrums des Online-Händlers Amazon teilweise ein. Dort starben sechs Menschen, 45 Personen wurden nach Angaben der Feuerwehr aus den Trümmern gerettet. Amazon-Gründer Jeff Bezos äußerte sich bestürzt über die „tragischen Berichte“ aus Edwardsville. „Wir sind untröstlich über den Verlust unserer Teammitglieder“, twitterte er in der Nacht zum Sonntag.

Das Sturmsystem ist die jüngste einer ganzen Reihe von Naturkatastrophen in den USA. Die Vereinigten Staaten litten in diesem Jahr unter verheerenden Stürmen, schweren Überflutungen und großflächigen Waldbränden. US-Präsident Joe Biden sieht in der Häufung und Heftigkeit der Katastrophen eine Folge des Klimawandels, dessen Bekämpfung er zu einer seiner Top-Prioritäten gemacht hat.

Nach den Worten des Meteorologen Marco Manitta vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach sind die Tornados in Kentucky im Zusammenhang mit einer langlebigen Superzelle - einer großen Gewitterwolke - entstanden. In den USA gebe es für die Entstehung solcher Gewitterwolken gelegentlich günstige Bedingungen. Die aktuellen Tornados hätten eine Stärke von F4 auf der sogenannten Fujita-Skala erreicht, die die Schadensklasse angibt. Das entspreche der zweithöchsten Stufe. Bei solchen Tornados könnten auch feste Gebäude einstürzen oder stark beschädigt werden, sagte Manitta.

Gerade in den USA, wo viele Gebäude aus Holz gebaut seien, könnten die Zerstörungen umso heftiger ausfallen. Hinzu komme, dass die Tornados über teils dicht besiedeltes Gebiet gezogen seien. Dadurch nähmen die Stürme auch mehr Trümmer auf, die dann zusätzliche Zerstörungskraft entfalten können. Tornados der Stärke F4 könnten ohne weiteres auch Autos durch die Luft wirbeln, sagte Manitta. Ein starker Unterdruck könne dafür sorgen, dass Häuser regelrecht explosionsartig zerstört werden.

Biden sagte den von den Tornados betroffenen Bundesstaaten am Samstag Hilfe zu. „Ich verspreche Ihnen, was auch immer benötigt wird, die Bundesregierung wird einen Weg finden, es zu liefern“, sagte der Präsident bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt in Wilmington (Delaware). Er stimmte am Samstag einer Notstandserklärung für den Bundesstaat Kentucky zu, der am schlimmsten von den Tornados heimgesucht wurde. Damit wird Hilfe des Bundes beschleunigt. Der Gouverneur hatte zuvor bereits den Notstand in Kentucky verhängt und die Nationalgarde aktiviert.

Biden stellte auch einen Besuch im Katastrophengebiet in Kentucky in Aussicht. Er sagte aber, er wolle damit warten, bis er die Rettungsoperationen nicht behindere. Gemeinsam mit First Lady Jill Biden bete er für die Opfer und deren Angehörigen.

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin drückte seine Anteilnahme aus. „Seien Sie meines aufrichtigen Mitgefühls im Zusammenhang mit den tragischen Folgen des Tornados versichert, der Kentucky und eine Reihe weiterer US-Staaten verwüstet hat“, hieß in dem am Sonntag vom Kreml veröffentlichten Telegramm an den US-Präsidenten.

(lha/th/dpa)
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