Karnevalswagen fährt in Zuschauer Schwerer Unfall bei Samba-Show überschattet Karneval in Rio

Rio de Janeiro · Ein Karnevalswagen ist beim Finale der Samba-Schulen in Rio de Janeiro in den Zuschauer gefahren. 20 Menschen wurden verletzt. Die Show ging dennoch weiter.

 Krankenwagen und Feuerwehr stehen auf dem Boulevard in Rio de Janeiro, auf dem das Defilee der Sambaschulen traditionell stattfindet. Gleich zu Beginn des Finales der besten Sambaschulen geriet der festlich geschmückte Wagen der Schule Paraíso do Tuiuti im Sambodrom außer Kontrolle und fuhr in die Menschenmenge.

Krankenwagen und Feuerwehr stehen auf dem Boulevard in Rio de Janeiro, auf dem das Defilee der Sambaschulen traditionell stattfindet. Gleich zu Beginn des Finales der besten Sambaschulen geriet der festlich geschmückte Wagen der Schule Paraíso do Tuiuti im Sambodrom außer Kontrolle und fuhr in die Menschenmenge.

Foto: dpa, axs

Majestätisch sieht er aus der Wagen, oben thront eine Frau, die einen prall gefüllten Obstkorb auf dem Kopf trägt, ein Konfettiregen geht immer wieder auf die Zuschauer nieder. Aber die Tänzerin vor dem riesigen Wagen der Sambaschule "Paraíso do Tuiuti" sieht das Unheil in ihrem Rücken kommen. Plötzlich läuft sie nach vorne, Panik im Blick. Der mehrere Tonnen schwere Wagen mit vielen Tänzerinnen an Bord wird schneller, bricht aus, fährt rechts in die Menge, quetscht mehrere Leute an ein Absperrgitter. Schock auf den Tribünen.

Krankenwagen rasen zur Unglücksstelle, rund 20 Verletzte werden gezählt, darunter zwei Schwerverletzte. Als hätte Rio de Janeiro nach den Olympischen Spielen nicht schon genug Sorgen mit leeren Kassen, vergammelnden Stadien und Dauerprotesten wegen des harten Sparkurses.

Keine Stunde läuft zu diesem Zeitpunkt das Finale der zwölf besten Sambaschulen im von Oscar Niemeyer entworfenen Sambódromo. Die 1952 gegründete Schule, die noch nie den Titel gewann und letztes Jahr den Aufstieg in den erlauchten Kreis der zwölf Besten schaffte, hat ein Jahr lang auf diesen Tag hingearbeitet. Ein anderer Wagen wird von einem bunten Drachen gekrönt, Tukane, Papageien, eine Hommage an die Vielfalt Brasiliens. 3100 Frauen und Männer tanzen, Freude pur.

Doch kaum sind die Krankenwagen um Mitternacht abgefahren, die Spuren des Unfalls bei strömendem Regen weggewischt, kommt die Ansage: Wir machen weiter! Die 72.000 Menschen auf den Tribünen jubeln. Das kann man befremdlich finden, die folgende Schule "Gres Acadêmicos" legt eine kurze Pause ein, bittet um Solidarität mit den Verletzten. Dann geht die Show weiter, die auch ein TV-Spektakel ist. Auf der Straße hinter dem Sambódromo warten ungeduldig die nächsten Schulen auf den 75 Minuten dauernden Durchmarsch durch das 700 Meter lange Stadion.

Einer fehlt auch bei diesem Spektakel: Marcelo Crivella. Seit diesem Jahr ist er der neue Bürgermeister der feierwütigen Metropole am Zuckerhut, ein früherer Sektenbischof von der "Universalkirche des Königreiches Gottes". Schwarzen warf er schonmal vor, vor allem Cachaça-Schnaps zu mögen, Homosexuelle sieht er als "Opfer eines schrecklichen Übels". Zur Schlüsselübergabe ließ er die Narren stundenlang warten, dann erschien nur die Kulturbeauftragte zur Übergabe des Stadtschlüssels an König Momo. Seine Frau habe eine Grippe, ließ er ausrichten.

Die Sambaschulen kontern den Boykott auf ihre Weise, mit Huldigungen der afro-brasilianischen Religionskulte, wie der Candomblé. Einer der Favoriten, die Schule Imperatriz, liefert eine Kampfansage an das Agrobusiness, sie würdigt das durch Sojaanbau, Regenwaldabholzung und Rohstoffförderung bedrohte indigene Volk der Xingu im Amazonasgebiet.

Wegen der Krise ist alles ein bisschen kleiner als sonst, früher tanzten und sangen bis zu 5000 Mitglieder pro Schule. Die Zahl der Umzüge in Rio wurde von über 500 auf 452 reduziert, es fehlt vielen Gruppen das Geld — viele Kostüme und Wagen fallen weniger üppig aus.

Zu merken ist das kaum. Geruchsmäßig schlägt allerdings der Mangel an Chemie-Toiletten zu Buche. Wahre Helden sind die tausenden orangefarben gekleideten Männer und Frauen von Rios Entsorger Comlurb, die den Müll sofort wegkehren. In Brasilien sind im Zuge einer tiefen Rezession rund 12,5 Millionen Menschen arbeitslos.

Der Karneval ist da Ablenkung für die einen, wichtige Einnahmequelle für die anderen. Allein in Rio wurde mit über einer Million Touristen gerechnet. In jedem der Umzüge, Blocos genannt, marschiert eine Armada von Bierverkäufern mit, das Bier eisgekühlt in Boxen auf Transportfahrrädern oder Sackkarren verstaut.

Bei den Kostümen ist alles dabei, bis zur blutrünstigen Henkersfrau, die den konservativen Präsidenten Michel Temer zum Teufel jagen will oder einem Mann, der mit Einschusslöchern übersät ist. Es gibt sogar einen Umzug mit kostümierten Hunden, zudem den Umzug "Sarganto Pimenta", der als Hommage an das Album "Sgt. Pepper's" Beatles-Songs spielt. Der Feministinnen-Umzug "Mulheres Rodadas" ist ein Protest gegen den Machismo.

Und für alle, die sich nicht mit dem Evangelikalen Crivella anfreunden wollen, ist auch was dabei. Ein Bloco für Marcelo Freixo von der "Partei für Sozialismus und Freiheit", der Crivella unterlag.
Das Motto: "Küsst mich, ich habe für Freixo gestimmt".

(rent/dpa)
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