Ehemaliger Serbenführer Karadzic bleibt seinem Prozess fern

Den Haag/Düsseldorf (RP). Als bosnischer Serbenchef träumte der Psychiater von einem Groß-Serbien, das er mit brutaler Gewalt und der Vertreibung nicht-serbischer Volksgruppen durchsetzen wollte. Heute begann sein Prozess. Doch Radovan Karadzic, der sich selbst verteidigt, blieb der Verhandlung aus Protest fern. Kurz darauf wurde der Prozess vertagt.

Karadzic ohne Bart
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Er hatte einen Traum, und der wurde zu einem Alptraum für Millionen von Menschen. Mord und Totschlag waren Anfang der 90er Jahre auf dem Balkan an der Tagesordnung. Vertreibungen und Vergewaltigungen wurden teuflische Werkzeuge in einer Reihe von Kriegen, von denen niemand geglaubt hatte, dass sie nach den fürchterlichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges in Europa noch einmal würden aufbrechen können.

Einer der wesentlichen Protagonisten der gewalttätigen Neuordnung des Balkans war Radovan Karadzic (64), der alle von Serben besiedelten Teile im zerfallenden Vielvölkerstaat Jugoslawien zu einem Groß-Serbien vereinen wollte. Karadzic, der gelernte Psychiater mit dem Hang zur Poesie, war Serbenführer in Bosnien-Herzegowina. Nachdem sich dieser Teil Jugoslawiens im März 1992 für unabhängig erklärt hatte, hatten die dort lebenden muslimischen Bosniaken und die Kroaten nur die Wahl zu gehen oder zu sterben. Karadzic prägte damals den Begriff der "ethnischen Säuberung".

Bis heute werden immer noch Opfer aus Massengräbern exhumiert und die Überrestemit Hilfe von DNA-Analysen identifiziert, den Angehörigen zur Bestattung übergeben. Die wollen einen persönlichen Ort der Trauer. Sie wollen, dass Radovan Karadzic und sein Militärkommandeur Ratko Mladic abgeurteilt werden. Heute wird der Prozess gegen Karadzic in Den Haag eröffnet, Mladic ist weiter flüchtig.

Karadzic hatte bereits angekündigt, dem Auftakt des Prozesses fernzubleiben. Er habe nicht genügend Zeit zur Vorbereitung gehabt, schrieb er dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Möglicherweise sucht er eine Möglichkeit, den Prozess platzen lassen. Der Gerichtshof wurde im Mai 1993 als Ad-hoc-Strafgerichtshof vom Weltsicherheitsrat geschaffen. Er ist zuständig für die Verbrechen, die während der Kriege in Jugoslawien (1991 bis 1995) begangen wurden.

Am 28. August 2003 hatte der Sicherheitsrat bestimmt, dass alle Verfahren bis 2010 abgeschlossen sein müssen. Dann läuft das Mandat aus. Doch bis dahin ist der Karadzic-Prozess nicht zu bewältigen. Ob das Mandat verlängert wird, ist offen. Russland hat im Sicherheitsrat ein Vetorecht. Während der Balkan-Kriege stand Moskau traditionell auf der Seite der Serben. Sollte das Mandat nicht verlängert werden, könnte das Verfahren auf eine serbische Kriegsverbrecherkammer übertragen werden.

Radovan Karadzic stammt nicht aus Bosnien-Herzegowina. Er wurde am 19. Juni 1945 in Petnjica in einem Dorf in Montenegro geboren. Seine Eltern waren Nationalisten. Als Jugendlicher ging er nach Sarajevo. Er studierte Medizin, wurde Psychiater in einem Krankenhaus. Kollegen sprachen von Anzeichen eines sich entwickelnden Großserbien-Wahns. So weigerte er sich, Formulare in lateinischer Schrift auszufüllen und bestand auf dem Kyrillischen. Er schrieb Gedichte und verherrlichte den Kriegs-und Kampfgeist der Serben.

Gänzlich gescheitert mit seinen politischen Plänen ist Karadzic aber nicht. Der Friedensvertrag von Dayton 1995 bestätigt die von ihm betriebene gewaltsame Teilung Bosniens. Damit wurde auch gleichsam der Bestand der Republika Srpska festgeschrieben. Eigentlicher Drahtzieher der Balkan-Tragödie war Serbiens Präsident Milosevic, der in Den Haag ebenfalls angeklagt war und 2006 in der Haft verstarb. Er ließ Karadzic fallen, als er erkannte, dass Großserbien ein Traum bleiben würde. Karadzic tauchte unter.

(RP)
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