Grassierende Jugendgewalt in Großbritannien Immer mehr Teenager in Großbritannien töten

Leeds · Zwei Teenager erstechen einen 15-Jährigen vor einer Schule. Und das ist tragischerweise kein Einzelfall: In Großbritannien häufen sich derartige Bluttaten unter Jugendlichen trotz drastischer Strafen.

Die Gewalt unter Jugendlichen in Großbritannien steigt. (Symbolbild)

Die Gewalt unter Jugendlichen in Großbritannien steigt. (Symbolbild)

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Renell war sich des tödlichen Risikos bewusst. Allein, es sollte ihm nicht helfen. „Da draußen sterben Leute“, sagte der Teenager aus London in einem Schulvideo über Messergewalt. „Unschuldige werden getötet.“ Wenige Monate später war Renell tot. Vor seiner Schule wurde der 16-Jährige angegriffen und mit einer Machete getötet. Tatverdächtig ist ebenfalls ein 16-Jähriger.

So schockierend der Fall ist, in Großbritannien ist eine solche Bluttat wie die am Vorabend der Krönung von König Charles III. längst trauriger Alltag. Teenager töten Teenager. Ähnliche Meldungen gibt es gefühlt jede Woche.

Am Donnerstag verurteilte ein Gericht zwei Jugendliche, die einem 15-Jährigen vor seiner Schule im nordenglischen Huddersfield aufgelauert und ihn getötet hatten, wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Beide müssen länger ins Gefängnis als sie alt sind: ein 15-Jähriger, der die Tat gestanden hatte, für mindestens 16 Jahre, sein 17 Jahre alter Komplize, der von einer Jury schuldig gesprochen wurde, für mindestens 18 Jahre.

Auf Mord steht in Großbritannien grundsätzlich lebenslange Haft. Das Gericht legt lediglich fest, wie viele Jahre die Täter mindestens hinter Gitter müssen. Eine Höchststrafe für Minderjährige gibt es nicht. Deutsche Experten erläutern, in Deutschland wäre in vergleichbaren Fällen das Urteil wegen Totschlags ergangen. Die britische Rechtsprechung ist in den Augen vieler Beobachter zudem eher eine Rachejustiz, als dass eine Rehabilitierung gerade jugendlicher Straftäter im Vordergrund stünde.

In England, Wales und Nordirland beginnt die Strafmündigkeit bereits bei 10 Jahren - so niedrig wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Selbst Kinder können in Großbritannien also zu lebenslanger Haft verurteilt werden. In Deutschland sind es wie von den Vereinten Nationen empfohlen 14 Jahre. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef attestierte dem britischen Justizsystem bereits 2020, es komme seiner Pflicht, die Menschenrechte von Kindern zu schützen und zu wahren, nicht nach.

Experten fordern bereits seit längerem, die Strafmündigkeit hochzusetzen - und das gesamte System zu reformieren. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Kontakt mit dem Strafjustizsystem ein wirksames Mittel zur Reduzierung der Kriminalität ist“, urteilte eine Studie der Local Government Association, des Verbandes der englischen und walisischen Kommunen, im Frühling 2022. Vielmehr sei das System kriminogen - es stifte zu Kriminalität an. Das Risiko einer erneuten Straftat steige. Das liegt auch daran, dass britische Gefängnisse überfüllt sind. Im Juni 2022 saßen fast 90.000 Menschen in Haft, in Deutschland mit einer größeren Bevölkerung war es etwa die Hälfte.

Der harte Kurs gegen Straftäter scheint gerade bei Jugendlichen wenig zu wirken. Zwar ging Messergewalt nach Angaben des britischen Statistikamts zuletzt um 9 Prozent zurück. Aber auch Premierminister Rishi Sunak hat eingeräumt, dass die Regierung handeln müsse.

Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien.

Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien.

Foto: dpa/Alastair Grant

Die Ursachen für Jugendgewalt, die oft mit Bandenkriegen und Drogenkriminalität einhergeht, sind lange bekannt: Armut, Ungleichheit, hohe Arbeitslosigkeit und zu wenig Jugenddienste. Auch die Pandemie hat die Gewalt angeheizt - so schaukelten sich Streitigkeiten im Internet hoch, und als die Kontrahenten sich erstmals wieder auf der Straße begegneten, zogen sie die Messer.

Die Abgeordnete Stella Creasy von der Oppositionspartei Labour sprach mit Blick auf die jüngsten Bluttaten von einer „Epidemie“. Nötig sei mehr als Vorsorge, mehr als präventive Polizeikontrollen von Jugendlichen. Vielmehr müsse sichergestellt werden, dass alle jungen Menschen die notwendige Unterstützung erhielten, die sie benötigen. „Wenn wir das nicht tun, könnten wir am Ende eine verlorene Generation junger Menschen haben, die glauben, ein Messer sei die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben“, sagte Creasy.

(glaw/dpa)
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