Religion Jom Kippur steht für Versöhnung und Vergebung

Düsseldorf · Die Juden begehen ihren höchsten Feiertag besonders feierlich – mit Fasten und langen Gebeten. In Israel kommt das öffentliche Leben zum Erliegen.

 Orthodoxe Juden führen das Taschlich-Ritual am Strand beim Mittelmeer kurz vor dem Versöhnungstag Jom Kippur durch.

Orthodoxe Juden führen das Taschlich-Ritual am Strand beim Mittelmeer kurz vor dem Versöhnungstag Jom Kippur durch.

Foto: dpa/Gil Cohen Magen

Ruhe und Innerlichkeit bestimmen eigentlich den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Doch diese strenge Ruhe, die vielen Juden so heilig ist, wurde schon einmal brutal gebrochen. Beim Angriff einer syrisch-ägyptischen Allianz ausgerechnet am Jom-Kippur-Tag wären die israelischen Verteidigungslinien beinahe überrannt worden. Erst in der zweiten Woche gewannen die Streitkräfte des Judenstaats wieder Terrain zurück und erreichten einen Waffenstillstand.

Die Täter von Halle wählten offenbar ebenfalls bewusst den Feiertag für ihre Bluttaten. Es ist fast zynisch in diesem Zusammenhang, dass es bei Jom Kippur um Reue, Vergebung und Versöhnung geht. Das Fest geht zurück auf das dritte Buch Moses. Dort steht: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“

Die Zeit bezieht sich auf den jüdischen Monat Tischri und schwankt im christlichen Kalender zwischen September und Oktober. Jom Kippur ist der Höhepunkt eines Zyklus von zehn Tagen, der der Buße und Läuterung dient. Am zehnten, am Festtag gilt über 24 Stunden ein striktes Arbeits-, Essens-, Wasch- und Sexverbot, das gläubige Juden einhalten.

Den Tag davor nutzen viele zur Vorbereitung des Fests. Wer Jom Kippur intensiv begeht, trifft sich mit Gleichgesinnten am Vorabend an der Synagoge. Dort wird das Kol-Nidre-Gebet gesprochen, in dem alle Eide, Zusagen, Gelübde und Versprechungen gegenüber Gott für ungültig erklärt werden. Das ist die Voraussetzung für die Vergebung der Sünden am eigentlichen Feiertag.

In den Gebeten während des Jom-Kippur-Tags sollen sich die Menschen darüber im Klaren werden, wo sie gefehlt haben, wie sie leben wollen und welche Mitmenschen sie um Vergebung bitten wollen. Es sind Stunden der Selbstbesinnung und Kontemplation. Im Zentrum steht die Versöhnung der Menschen untereinander. Erst wenn die erreicht ist, vergibt auch Gott die Verfehlungen. Jom Kippur gibt gläubigen Juden die Möglichkeit, ihre moralische Schuld zu tilgen. Die Sünden werden dann im Buch des Lebens gestrichen, über das am Ende der Zeiten geurteilt wird. Die Ähnlichkeit zu Vergebungsreligionen wie dem Christentum oder dem Islam ist schon auffällig. Gut möglich, dass sich das die beiden späteren Religionen beim Judentum abgeschaut haben. Der Tag schließt mit dem Gebet Nei’la, in dem die Barmherzigkeit Gottes angerufen wird – auch das findet sich bei Christen und Muslimen.

Faszinierend ist hingegen die Auswirkung von Jom Kippur auf das öffentliche Leben in Stadtteilen, die vorwiegend von Juden bewohnt werden, oder auch in Israel. Selbst in einer so vibrierenden und rastlosen Metropole wie Tel Aviv herrscht völlige Ruhe. Es fahren keine Autos oder öffentliche Verkehrsmittel, alle Geschäfte sind geschlossen, und am Flughafen bleiben alle Maschinen am Boden.

Das genießen auch nichtgläubige Juden. Sie nutzen die autolose Zeit für einen Ausflug mit dem Fahrrad oder schlendern zum Strand, um Steinchen in die Wellen zu werfen. Auch das geht auf einen jüdischen Brauch an Jom Kippur zurück.

Ist der höchste Feiertag vorbei, wartet schon der nächste. Denn unmittelbar nach Jom Kippur beginnen die Vorbereitungen auf das achttägige Laubhüttenfest, hebräisch Sukkot genannt.

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