Seligsprechung am Sonntag Johannes Paul II. — der Selige

(RP). Kein Papst des 20. Jahrhunderts war wirkmächtiger als Johannes Paul II. Kein Mensch ist je so vielen Menschen begegnet, kein Pontifex hat je so viele Reisen unternommen. Als er 2005 starb, war die globale Anteilnahme überwältigend. Jetzt spricht ihn sein Nachfolger, Benedikt XVI., selig.

Das bewegte Leben von Papst Johannes Paul II.
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Das bewegte Leben von Papst Johannes Paul II.

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Viele Zeitgenossen blicken an diesem Wochenende mit leichtem Amüsement nach Rom, auf die dort zelebrierte Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) samt dem wundersam anmutenden Testat der plötzlichen Krankenheilung einer frommen Frau aus Frankreich.

Dieselben Zeitgenossen haben vergleichsweise wenig Probleme mit William Shakespeare, nach dessen Aussage es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt. Merkwürdig: hier die mokant hoch gezogene Augenbraue über die vermeintlich irrationale Papstkirche, dort stilles Staunen vor der tiefen Weltweisheit des großen englischen Dichters.

Der Mensch, der sich für aufgeklärt hält, schafft den intellektuellen Spagat, "er kriegt das auf die Reihe", wie man so sagt, denn letztlich bleibt auch der moderne Homo sapiens der "alte Adam". Dessen Vorurteile — in diesem Fall gelten sie Kirche, Seligsprechung, Wunderglauben — lassen sich laut Einstein schwerer spalten als ein Atom.

Wundersame Genesung wider alle Schulweisheit

Worum geht es am Sonntag auf dem Petersplatz? Die römische Weltkirche erhebt einen der Ihren zur Ehre der Altäre. Der am 2. April 2005 unter bis dato nie da gewesener Anteilnahme verstorbene Johannes Paul II. wird von seinem Nachfolger Benedikt XVI. selig gesprochen. In einem komplizierten, wenngleich für vatikanische Maßstäbe ungewöhnlich kurzen kirchenrechtlichen Verfahren, wurden dem Polen auf dem Stuhl Petri ein besonders tugendhaftes Leben sowie herausragendes Wirken für den Glauben attestiert.

Von einem Wunder, das als Voraussetzung zur Seligsprechung außerdem nötig ist, berichtete die französischen Ordensfrau Marie Simon-Pierre — die bei den Feierlichkeiten in der Ewigen Stadt zugegen sein wird. Madame Simon-Pierre, damals 49 Jahre alt, litt bis vor sechs Jahren an einer schweren Form der Parkinson-Krankheit, die auch Johannes Paul II. im Alter massiv behindert hatte. In der Nacht nach dessen Tod flehte die Ordensfrau im Gebet den Heimgegangenen um Fürsprache bei Christus an, sie möge geheilt werden. Und siehe: Die Schüttellähmung wich, die Frau war frei von den Symptomen der Krankheit.

Fromme Erzählungen zur Mehrung des Ruhms eines Seligen-Kandidaten? So könnte man denken, wenn da nicht Ärztekommissionen gewesen wären, die sich mit der wundersamen Genesung wider alle medizinische Schulweisheit befasst haben.

Vor sechs Jahren starb ein besonderer Mensch

Auch wenn ein Rest Wunder-Skepsis bleibt, ist doch aber gewiss: Vor sechs Jahren starb ein ganz besonderer Mensch, ein Charismatiker, ein Papst, den seine polnischen Landsleute als Heiligen verehren und in dem auch die nicht katholisch-gläubige Welt längst eine geistig und politisch ungewöhnlich wirkmächtige Instanz ihrer Zeit erkannt haben.

Zwei Aussagen über Johannes Paul II., der zu den großen Päpsten in der zweitausendjährigen Geschichte des Papsttums zählt, künden von dem Respekt ihm gegenüber. Michail Gorbatschow, früherer Kreml-Chef, sagte nach einer Audienz im Vatikan: "Wir stehen vor einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Ich möchte nicht übertreiben, aber ich habe einen besonderen Eindruck, als ob von diesem Mann eine Energie ausgehe, dank der man ein tiefes Gefühl des Vertrauens ihm gegenüber empfindet." Und Peter Gauweiler, bayerischer Politiker, Anwalt und Protestant, urteilte nach einer Begegnung mit Johannes Paul II.: "Ich habe den Bedeutendsten unter den Lebenden gesehen."

Das überstrapazierte Wort "Unbeirrbarkeit" — auf Johannes Paul II. traf es zu. Niemand stritt in päpstlichen Lehrschreiben, in Tausenden von Ansprachen so authentisch, so konsequent gegen das, was er "die Kultur des Todes" nannte: Er zählte dazu die Tötung menschlichen Lebens, ob am Anfang im Mutterleib oder am Ende auf der Krankenstation, den Krieg, die Todesstrafe. Bis zuletzt hat er versucht, 2003 den Irak-Feldzug zu verhindern. Durch sein Pontifikat zog sich wie ein roter Faden die Warnung vor einer Abkehr von Gott, vor geistlosem Materialismus, kommunistischer Despotie und kapitalistischen Auswüchsen.

Gottloser Kommunismus

Der große Pole, dem nicht nur Tschechiens ehemaliger Präsident Vaclav Havel attestiert, die siegreichen Freiheitsbewegungen in Mittel-/Osteuropa inspiriert und beflügelt zu haben, sah im gottlosen Kommunismus einen Verderber der Menschheit; seine Warnungen zielten nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Diktaturen genauso gegen menschengefährdende Exzesse des Kapitalismus. Auch hier wird man Johannes Paul II. — siehe die Weltfinanzkrise 2008/09 — einen Seher nennen dürfen.

Die einfachen Menschen rund um den Globus mögen frei nach Tucholsky nicht viel wissen, sie spüren dafür umso mehr. Keinem Irdischen wurde bei mehr als hundert Auslandsreisen so viel menschliche Anteilnahme zuteil; in Manila auf den Philippinen kamen einmal vier Millionen Menschen zu einer Messe mit dem Gast aus Rom.

Die Tage nach dem Tod Johannes Pauls II. waren in der Ewigen Stadt und unter Christen und Andersgläubigen weltweit vom Gedenken an einen außergewöhnlichen Menschen erfüllt. Johannes Paul II. war kein windschnittiger religiöser Pop-Star; er verband moralische Strenge, ja Unerbittlichkeit mit einem Mix aus Liebenswürdigkeit und Intellektualität: ein Menschenfischer, der in einer großen Vergebungs-Geste selbst Ali Agca, der ihm im Mai 1981 nach dem Leben getrachtet hatte, auf seine Seite zu ziehen verstand.

(RP)
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