Gefängnissalltag in Phoenix Joe Arpaio ist Amerikas härtester Sheriff

Phoenix (RP). Zum Unkrautjäten schickt der Sheriff die mit Ketten gefesselten Insassen seines Gefängnisses in Phoenix an belebte Hauptstraßen. Die Häftlinge sind aber keine Schwerverbrecher, sondern haben eine Höchststrafe von einem Jahr abzusitzen. Arpaios Devise: Das Leben hinter Stacheldraht soll zur Qual werden und dadurch abschrecken.

 Sherriff Joe Arpaio in Phoenix hält sich selbst für den "härtesten Sheriff Amerikas".

Sherriff Joe Arpaio in Phoenix hält sich selbst für den "härtesten Sheriff Amerikas".

Foto: Frank Herrmann

Das Geräusch kommt immer näher. Ein Klirren, als rasselten Eisenketten. Es kann eigentlich nur eine Täuschung sein, das Estrella Jail ist zwar ein Gefängnis, aber keine Galeere. Schnellen Schritts führt Officer Daniel Hawkins durch schmale Gänge, das Klirren wird lauter. Noch links um eine Ecke, zu einer gekachelten Halle mit Tischen und Hockern, die fest geschraubt sind. Nun gibt es keinen Zweifel mehr, es sind Ketten.

Eine ist vielleicht zehn Meter lang, um vier Knöchel gewunden und mit vier Schlössern befestigt. Je vier Männer in schwarzweiß gestreifter Sträflingskleidung bilden das, was sie im Kittchen die Kettenbrigade nennen. Auf dem Rücken tragen sie den Schriftzug "Sheriff's Inmate", was bedeuten soll, dass sie des Sheriffs Häftlinge sind. "Vorwärts, Marsch!", befiehlt ein Wärter. "Singt ein Lied!"

Das Lied hört sich an wie eine Farce, als wäre es einstudiert für besuchende Reporter. "Here we go, same old chain gang, marching down the avenue ..." Schwere Stiefel knallen auf nackten Beton, ein Rotschopf mit kurzen Stoppeln muss grinsen. Was für ein Zirkus! Noch liegt draußen die Stadt Phoenix im Dunkeln. In einer Stunde, wenn die Sonne zu glühen beginnt, wird das Quecksilber schnell auf über 40 Grad klettern. Noch ist es erträglich, früh um halb sechs, wenn die Kettenbrigade ausrückt.

Um halb sechs rückt die Kettenbrigade aus

Es sind Insassen, die Zigaretten schmuggelten, dafür zu viert in einer Isolierzelle sitzen und sich bewähren sollen, bevor sie zurück ins Gemeinschaftszelt dürfen. Ein Kleinbus, eskortiert von Bewaffneten, bringt sie vor die Tore der Stadt, nach Peoria. Heile Vorstadtwelt, beige verputzte Häuser, in den Vorgärten Kakteen. Benjamin, ein 31-Jähriger, der seinen Nachnamen nicht gedruckt sehen will, lässt sich ein Bündel schwarzer Plastikbeutel in die Hand drücken.

Die anderen drei an seiner Kette schnappen sich Harke, Spaten und Rechen. Sie graben ein paar Disteln aus, klauben zwei weggeworfene Bierbüchsen auf und ziehen eine Plastiktüte aus dem Dornengestrüpp. "Ein Witz", knurrt Benjamin. "Ums Arbeiten geht's überhaupt nicht, das ist alles nur Show." Am Straßenrand haben die Wachen ein Schild aufgestellt. Achtung! Kettenbrigade am Werk! So will es Sheriff Joe.

Joe Arpaio sitzt in seinem klimatisierten Hochhausbüro und streicht liebevoll über seine Krawattennadel, eine goldene Pistole. Warum Ketten? "Welche Version wollen Sie hören, die offizielle oder die inoffizielle?", fragt er zurück. Offiziell sind die harten Jungs so gefährlich, dass man sie draußen fesseln muss. Inoffiziell soll allein ihr Anblick abschrecken.

Die Ketten sollen abschrecken

Genüsslich malt sich Arpaio aus, wie ein vorbeifahrender Vater seinem Sohn ins Ohr raunt: "Siehst du, Junge, die chain gang. Dort landest du auch, wenn du was Dummes anstellst." Aus Prinzip setzt er seine Brigaden nur an belebten Hauptstraßen ein. Was für Mythen sich um die Figur des Sheriffs ranken, das muss ihm keiner erzählen, dazu grinst der 77-Jährige nur wie ein zufriedener Kater.

Whiskey-Salons und Revolverhelden, polierter Stern und stahlharter Blick —vielleicht wollte Arpaio nur ausprobieren, ob sich die John-Wayne-Klischees noch mit der Realität vertragen, wie weit man heute noch gehen kann. Als Agent der Drogenbehörde war er Rauschgiftschmugglern auf den Fersen, in der Türkei, in Mexiko, zum Schluss in Arizona. 1982 quittierte er den Dienst, um im Reisebüro seiner Frau einzusteigen. 1992 beschloss er, im Glutofen des Valley of the Sun Sheriff zu werden. Es ist ein Posten, auf den man gewählt werden muss. Arpaio hat fünfmal in Folge gewonnen, 2008 zum letzten Mal.

Ohne Umschweife identifiziert er sich mit dem Sheriff von Nottingham. Er weiß, Robin Hood ist populärer. Es stört ihn nicht, im Gegenteil, an seiner Wandtafel prangt groß ein Superlativ. "Der härteste Sheriff Amerikas". "Ich lasse nur drei Fernsehsender zu", sagt Arpaio und zählt sie an drei Fingern ab. "Erstens den Wetter-, zweitens den Koch- und drittens den Parlamentskanal." Sein diabolisches Grinsen verrät, dass gleich eine bizarre Erklärung folgt.

Auf der Wetterkarte sollen die Gefangenen sehen, wie schön kühl es oben in Kanada ist und wie höllisch heiß in der Wüste von Arizona. Die Fernsehköche sollen ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Und wenn die Senatoren in Washington streiten, findet der Sheriff, dann ist das Zuschauen allein Strafe genug.

Mit großer Geste zieht er den Brief eines Ex-Insassen aus der Schublade. Er wolle nie wieder hinter Gittern landen, schrieb der Mann. Als Nächstes schiebt Arpaio eine Autogrammkarte über die Schreibtischplatte. Sie zeigt einen Hünen in rosa Unterwäsche. Davor, um einen Kopf kleiner, Sheriff Joe. Die Karte ist kein Witz. Arpaios Häftlinge tragen rosa darunter, seit vor Jahren ein Versuch aufflog, weiße Unterwäsche hinaus zu schmuggeln.

Unterwäsche in pink - weil Männer pink hassen

Auch Mike Tyson trug sie, dazu rosa Socken und rosa Handschellen. Der Boxer posierte für eine Publicity-Aktion, 24 Stunden in Tent City, dem Zeltknast des Sheriffs. Warum pink? "Weil Männer pink hassen. Warum sollte ich ihnen etwas geben, was sie mögen." Das ist das Grundprinzip. Das Leben hinter Stacheldraht soll zur Qual werden, keiner soll sich Wiederholungen wünschen.

In Tent City gibt es nur zwei Mahlzeiten: pappiges Weißbrot mit Keksen am Vormittag, Eintopf und Kartoffeln am Abend. Zigaretten und Kaffee sind tabu. Das Trinkwasser schmeckt so, dass Benjamin sein Gesicht vor Ekel verzieht -- "als hätte es vorher ein Hund geschlürft". Unter den Zeltbahnen herrscht im Sommer brütende Hitze, bis zu 60 Grad Celsius. "Na und", entgegnet Arpaio, "die Boys in Uniform, die im Irak im Wüstensand liegen, haben auch nichts zu lachen."

Tent City liegt neben einer Müllkippe, daher war das Land spottbillig zu haben. Statt feste Unterkünfte zu bauen, kaufte Arpaio der Army Zelte ab, Restbestände aus dem Koreakrieg. Das alles kostete magere 120.000 Dollar, weshalb Sheriff Gnadenlos in der Rolle des Sparkommissars prompt die Wählergunst gewann. Neonrot blinkt am Wachturm das Wort "Vacancy", wie bei einem Motel, in dem noch Zimmer frei sind. "Nie wird dort stehen, wegen Überfüllung geschlossen. Selbst wenn ich das Gelände verdreifachen müsste."

Was er nicht so gern erzählt, ist, dass seine Häftlinge keine Schwerverbrecher sind. Das Höchste, wozu sie verurteilt werden, ist ein Jahr Freiheitsentzug, sonst hätte man sie in ein festes Gebäude gesperrt. Benjamin, ehemals Erziehungsberater einer Schule, hat versucht, einem Geldboten Geld zu entwenden. Nach einer Scheidung war er in Phoenix gestrandet. Christopher Rodriguez muss fünf Monate absitzen, weil er in einer dunklen Seitengasse Marihuana verhökerte. Die Baufirma, bei der er malochte, hatte ihn in der Krise gefeuert.

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