Atomkatastrophe in Fukushima Japan nimmt deutsches Hilfsangebot nicht an

Tokio (RPO). Der Betreiber des havarierten AKW Fukushima, Tepco, bestätigte am Samstag einen zwanzig Zentimeter langen Riss, aus dem große Mengen radioaktiv verseuchtes Wasser austreten. Ein Atomtechnikexperte äußerte sich kritisch zu den Rettungsarbeiten. Deutsche Hilfsangebote seien ignoriert worden.

Regierungschef besucht Katastrophengebiet
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Deutschland habe Tepco mehrere Roboter zur Unterstützung der Arbeiten angeboten, die aber bisher noch nicht angefordert worden seien. Das sagte Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie dem Magazin "Focus". "Eigentlich hätte das alles schon vor zwei Wochen passieren müssen", monierte er.

Drei Wochen nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe reiste Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) am
Samstag zu einem Kurzbesuch nach Japan. Damit wollte die Bundesregierung nach Worten des Ministers "die Solidarität zum Ausdruck bringen, die Deutschland mit Japan empfindet" und zeigen, dass das Land in dieser Zeit Freunde in Europa habe.

"Wir haben Hilfe angeboten, wir werden sie aber nicht aufdrängen", sagte Westerwelle. Er äußerte seinen Respekt dafür, dass Japan bei der Bewältigung der Naturkatastrophe und der Atomkrise Wert auf die eigene Kraft lege.

Während seines vierstündigen Aufenthalts im Land traf Westerwelle den japanischen Außenminister Takeaki Matsumoto und sprach mit ihm unter anderem über Energiepolitik. Die Bundesregierung sei überzeugt, dass eine Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien gebaut werden müsse, "die möglichst fest und tragfähig" sei.

Matsumoto betonte, dass Reaktorsicherheit in der internationalen Gemeinschaft künftig eine noch größere Rolle spielen müsse. Japan werde in diesem Bereich tatkräftig mit anderen Ländern zusammenarbeiten, seine Analysen und Erkenntnisse weitergeben sowie für Transparenz sorgen.

Die US-Niederlassung des deutschen Maschinenbauers Putzmeister kündigte an, zwei der weltweit größten Betonpumpen nach Japan zu schicken. Sie sollten in der kommenden Woche mit einem Transportflugzeug nach Fukushima gebracht werden, sagte eine Sprecherin. Betonpumpen der schwäbischen Firma waren bereits nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Einsatz gewesen. In Fukushima werden bereits Wasserpumpen des Unternehmens für Kühlarbeiten eingesetzt.

Strahlung auf Schiffen gemessen

Nach Angaben chinesischer Behörden wurden auf Schiffen und in einem Flugzeug aus Japan erhöhte Werte radioaktiver Strahlung festgestellt. Seit Mittwoch seien im Schiffsverkehr sechs entsprechende Fälle registriert worden, hieß es. Zudem sei am Freitag erhöhte Strahlung in einem aus Tokio kommenden Flugzeug festgestellt worden.

Zur Ausbreitung der Strahlung in Japan teilte der Deutsche Wetterdienst mit, die Konzentration der Radioaktivität sei in der Millionenstadt Tokio "deutlich verdünnt". Die Metropole sei "aber von der Ausbreitung der Partikel betroffen".

Verseuchtes Wasser fließt in Pazifik

Am Samstag wurde bekannt, dass aus einem zwanzig Zentimeter langen Riss des schwer beschädigten japanischen Atomkraftwerks Fukushima-Daiichi hoch radioaktives Wasser in den Pazifik sickert. In der Luft über dem Leck seien Strahlungswerte von 1000 Millisievert pro Stunde gemessen worden, teilte die Atomsicherheitsbehörde am Samstag mit. Der AKW-Betreiber Tepco bestätigte die Angaben.

Der Riss "könnte eine der Quellen für die Kontaminierung des Meerwassers sein", erklärte der Sprecher der Atomsicherheitsbehörde, Hidehiko Nishiyama. Zugleich räumte er ein, dass es in dem Gebiet noch weitere, ähnliche Risse geben könne. Diese gelte es so schnell wie möglich zu finden. Die Strahlenwerte im Wasser in der Nähe des Reaktors und in einem Umkreis von 15 Kilometern würden ständig überprüft, betonte Nishiyama.

Tepco-Sprecher Osamu Yokokura sagte, der Riss gehe wahrscheinlich auf das schwere Erdbeben vom 11. März zurück. Möglicherweise trete schon seit dem Unglück vor drei Wochen Wasser aus. Experten zufolge wird das verstrahlte Wasser in den Weiten des Pazifiks rasch verdünnt, sodass auch größere Mengen kaum Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Radioaktives Jod 131 in Konzentrationen deutlich über dem Grenzwert war im Meer nahe dem Atomkraftwerk schon vor mehr als einer Woche entdeckt worden. Am Samstag veröffentlichte Messergebnisse zeigten, dass sich die Radioaktivität im Meer bis zu 40 Kilometer in südlicher Richtung ausbreitete. Die Jod-Konzentration dort war doppelt so hoch wie zulässig. Die Behörden betonten jedoch, trotzdem bestehe keine Gefahr für die menschliche Gesundheit.

Fukushima-Arbeiter schilderte schwierige Arbeitsbedingungen

Ein Mitarbeiter des Kraftwerks schilderte in einem am Samstag veröffentlichten Interview die schwierigen Bedingungen im Inneren der Anlage. So gebe es nicht genügend Schutzstiefel, die Arbeiter dort über ihre Schuhe ziehen, sagte der Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen wollte, der Zeitung "Mainichi". Stattdessen würden sie nun Plastiktüten nehmen und mit Klebeband sichern. Auf dem gesamten Gelände lägen tote Fische, die der Tsunami mitgerissen habe.

Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan besuchte unterdessen erstmals das Katastrophengebiet im Nordosten des Landes und versprach den Opfern Hilfe. Seine erste Station war die 20.000 Einwohner zählende Stadt Rikuzentakata, die von der Flutwelle vor drei Wochen verwüstet wurde. Vor dem schwer beschädigten Rathaus legte Kan eine Schweigeminute ein. Er sprach mit dem Bürgermeister, dessen Frau von den Wassermassen mitgerissen wurde und seitdem vermisst wird.

Tsunami-Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit der Regierung

"Es wird ein langer Weg sein, aber die Regierung ist bei euch", sagte der Regierungschef laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Kyodo zu Feuerwehrleuten und Behördenvertretern. "Wir sollten uns alle nicht unterkriegen lassen." Kan besuchte auch eine Schule, die inzwischen als Notunterkunft dient. "Die Regierung unterstützt euch umfassend bis zum Schluss", sagte er vor 250 Evakuierten.

Mehrere Opfer kritisierten, Kan widme den Opfern nicht genug Aufmerksamkeit. "Die Regierung konzentriert sich zu sehr auf das Fukushima-Kraftwerk und weniger auf die Tsunami-Opfer", erklärte die 35 Jahre alte Megumi Shimanuki, die mit ihrer Familie in einer Notunterkunft lebt. Sowohl die Atomkatastrophe als auch das Schicksal der Tsunami-Überlebenden verdiene Aufmerksamkeit. Kan kehrte am Nachmittag nach Tokio zurück. Mehr als 165.000 Menschen sind noch immer in Notunterkünften untergebracht.

Bei dem Erdbeben der Stärke 9,0 und dem anschließenden Tsunami am 11. März kamen Befürchtungen zufolge bis zu 25.000 Menschen ums Leben. Mehr als 16.000 Menschen werden noch vermisst.

(dapd/RTR/AFP/sdr)
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