Auf einem Tierfriedhof in Italien Hier ruht Mussolinis Huhn

Rom · Luigi Molon führt den ältesten Tierfriedhof Italiens. Sein Vater bestattete das Federvieh des faschistischen Diktators. Später trauerten hier auch Staatspräsidenten und Hollywoodgrößen um ihre treuesten Begleiter.

 Auf dem Tierfriedhof  Casa Rosa besuchen Menschen ihre toten Haustiere.  Fotos: Max Intrisano

Auf dem Tierfriedhof Casa Rosa besuchen Menschen ihre toten Haustiere. Fotos: Max Intrisano

Foto: Max Intrisano

Man klingelt, das Gartentor ist offen. Luigi Molon grüßt schroff vom Balkon des Wohnhauses im Inneren des Grundstücks und sagt, er komme gleich herunter. Auf eine Krücke gestützt, schlurft der 73-Jährige nach unten. „Ich bin vor zwei Wochen aus dem Krankenhaus gekommen, Herzinfarkt“, sagt er missmutig. Dann beginnt er von diesem erstaunlichen Flecken Erde im Südosten der italienischen Hauptstadt zu erzählen.

Alles begann um das Jahr 1922 mit dem Huhn Mussolinis. Im Folgenden wird man vom Tierfriedhofsbetreiber Molon auf einen Ausflug in die jüngere italienische Geschichte und in das Seelenleben von Tieren und Menschen mitgenommen. Bei Nachfragen zu der Zeit, in der Molon selbst noch nicht am Leben war und zu der er keine Informationen aus erster Hand geben kann, wird er stets die Gegenfrage stellen: „War ich denn dabei?“ Jedenfalls wird überliefert, dass der faschistische Diktator nach seiner Machtergreifung nicht nur mit Politik, sondern auch mit sehr persönlichen Angelegenheiten beschäftigt war.

 Luigi Molon betreibt die Ruhestätte, die sein Vater einst gegründet hat.

Luigi Molon betreibt die Ruhestätte, die sein Vater einst gegründet hat.

Foto: Max Intrisano

Mussolinis Kinder hatten auf einem Jahrmarkt drei Küken gewonnen, von denen zwei gleich starben. Das dritte Huhn liebten die Kinder des Diktators deshalb besonders innig. Als es starb, kümmerte sich Mussolini persönlich um die Bestattung und suchte Antonio Molon, Luigis Vater, am Stadtrand auf. Molon war Veterinär, betrieb eine Hundepension, der er den Namen seiner Frau Rosa gegeben hatte, und kümmerte sich auch um die Doggen des Diktators. Ob er nicht dieses Huhn bestatten könne, das seinen Kindern so am Herzen liege, fragte der Diktator. Molon willigte ein. Die Sache mit dem Huhn des Diktators sprach sich herum. Und so wurde die Casa Rosa über die Jahre zum römischen Tierfriedhof und Mekka des Großbürgertums, des Showbusiness sowie der Politik.

Damit man nicht auf schiefe Gedanken kommt, will Luigi Molon, der sich in seinem zugigen Büro zwischen an der Wand aufgehängten, vergilbten Zeitungsartikeln und verstauten Pferdesätteln niedergelassen hat, nun aber festhalten, dass sein Vater zwar das Huhn Mussolinis begrub und sich um dessen Hunde kümmerte. Das habe er aber weniger als überzeugter Anhänger getan, sondern angeblich nur aus Tierliebe. „Ich betone, dass Mussolini meinen Vater aufgesucht hat und nicht umgekehrt“, sagt Molon. Antonio stammte aus Vicenza und musste fliehen, weil er nicht Mitglied der faschistischen Partei werden wollte. So lautet das Familien-Narrativ.

Alle haben sie seither in jener versteckten Ecke des Portuense-Viertels ihre Haustiere begraben: das Königshaus Savoyen etwa seine Hunde und Katzen, die Staatspräsidenten Sandro Pertini, Giovanni Leone und Giuseppe Saragat ihre Hunde. Die Schauspielerin Anna Magnani ließ hier Katzen begraben, Regisseur Federico Fellini soll hier ebenfalls ein Haustier bestattet haben. Brigitte Bardots Dackel Michel fand in der Casa Rosa seine letzte Ruhestätte – die Schauspielerin drehte im Jahr 1950 in der Stadt. Über 1000 Tiere wurden über die Jahre bestattet, ihre Kadaver ruhen in der Erde auf den von einer Mauer umfassten 500 Quadratmetern. Pinien, Zypressen und Palmen wachsen hier.

 Manche „Angehörigen“ geben viel Geld aus für die letzte Ruhestätte.

Manche „Angehörigen“ geben viel Geld aus für die letzte Ruhestätte.

Foto: Max Intrisano

Am Friedhofseingang wacht eine Hundestatue stellvertretend „für alle Tiere ohne Herrchen“. Neben Hunden und Katzen liegen hier Kanarienvögel, Tauben, Hasen, Hamster, Enten, Schildkröten, Fische, Schimpansen, eine Boa constrictor, ein Tiger namens Sade und das 1988 verstorbene Löwenbaby Greta. Einfache Schilder, aber auch Holzkonstrukte mit Foto oder sogar massive Grabsteine erinnern an Pluto, Sissi, Rufus, Peggy oder Trudy. Neben Blumen zieren Kerzen oder Tierspielzeug die Grabstätten, ein Hundebesitzer hat sogar seine Leine hinterlassen. Bunte Windräder drehen sich im Wind, die Grillen zirpen. „Deine liebevolle Begleitung wird mir immer fehlen“, haben die Halter der 1980 verstorbenen Katze Meris auf den Grabstein gravieren lassen.

 Viele Gräber sind mit kleinen Windrädern geschmückt.

Viele Gräber sind mit kleinen Windrädern geschmückt.

Foto: Max Intrisano

Luigi Molon, der nach eigener Darstellung früher Polospieler in der italienischen Nationalmannschaft, Turmspringer bei den Olympischen Spielen 1972 in München sowie später dann Cowboy in Capalbio in der toskanischen Maremma war, kann in Sekundenschnelle vom Profanen zur Tiefgründigkeit überwechseln. Er behauptet vielleicht nicht ganz zu Unrecht, dass die Liebe zu den Tieren den Zivilisationsgrad eines Volkes spiegele, dass Tierfreunde vor Abgründen aber auch nicht gefeit seien.

Dass manche Halter auf den Gräbern ihrer geliebten Begleiter als „Mama“ oder „Papa“ Abschied nehmen, hält er für, milde gesagt, grenzwertig. Einmal wurde er, Veterinär wie der Vater, ins Stadtviertel San Lorenzo gerufen, weil jemand dort ein Pferd auf dem Dach hielt. Molon sollte das Tier betäuben. Dann hievte die Feuerwehr das kranke Pferd mit einem Kran vom Dach, Fellini hätte die Szene nicht besser inszenieren können. Manchmal versteckt sich hinter der Liebe zu den Tieren schlicht Egoismus. Aber Molon weiß auch, wie es ist, ein geliebtes Tier zu verlieren. Als 1989 seine Stute Genziana starb, die ebenfalls in der Casa Rosa ihre letzte Ruhestätte gefunden hat, war er eine Woche krank.

„Manche Leute sprechen lieber mit ihrem Hund als mit ihrem Nachbarn, denn der Hund antwortet nicht“, weiß Molon. Dann fügt er hinzu, dass es wohl so auch besser sei: „Wie viele ,vaffanculo‘ (deutsch etwa: ‚Leck mich!‘, Anm. d. Red.) würden die Tiere ihren Herrchen entgegenschleudern, wenn sie könnten!“ Manchmal rufen die Tierhalter nachts um drei Uhr verzweifelt bei ihm an, weil gerade Mimmo oder Johnny gestorben ist. „Was soll ich um diese Uhrzeit machen?“, echauffiert sich Molon. „Ich sage ihnen, sie sollen sich am nächsten Morgen wieder melden.“

Dann steht der kleine gelbe Schaufelbagger bereit, den ein Angestellter bedient. Das Loch wird gegraben, das Tier bestattet. Wenn die Besitzer ein Holzkreuz oder ein Windrädchen wollen, kümmert sich Molon darum. Grabsteine, teils für Tausende Euro, müssen beim Steinmetzen bestellt werden. Für fünf Jahre werden die Gräber verpachtet, dann muss erneuert werden, oder das Grab wird für ein neues Tier frei. Offenbar suchen immer mehr Menschen eine letzte Ruhestätte für ihre Tiere und wollen keine „Kadaverbeseitigung“, sondern einen würdevollen Platz. Bislang ist die Casa Rosa der einzige römische Tierfriedhof mit Lizenz. Die Region Latium will nun neue Tierfriedhöfe erlauben.

Etwa fünf bis zehn Besucher kommen am Tag vorbei, es sind über die Jahre weniger geworden. Gerade hat ein Pärchen seinem toten Hund einen Besuch abgestattet. Gleich beim Grabstein des Löwenbabys Greta sprießt ein großer Olivenbaum aus einem Grab. Die Dalmatiner-Hündin Maia ist hier seit 2004 begraben. Ihr in die Jahre gekommenes Frauchen ist gerade da, ordnet das Grab und ist in ein Zwiegespräch mit der damals von einem Auto erfassten und ums Leben gekommenen Hündin verwickelt. Den Grabstein zieren ein Foto von Maia sowie ein zehnzeiliges Abschiedsgedicht, unten firmieren die Angehörigen als „deine Familie“. Irgendwann unterbricht die Hundebesitzerin ihren Monolog. Sie kratzt die Mückenstiche an ihrem Bein, dann bekreuzigt sie sich. Bevor sie geht, sagt sie noch leise: „Ciao, Maia, mach‘s gut!“

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