Eine US-Stadt verfällt Im einst reichen Camden regiert Anarchie

Düsseldorf · Campbell-Suppen und Plattenlabels machten Camden einst zu einem blühenden Ort. Heute ist Camden Sinnbild für den Niedergang amerikanischer Städte. Das Leben - ein einziger Kampf gegen Armut und Gewalt.

In der US-Stadt Camden regiert Anarchie
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Morgens ab neun wird Camden zur Krisenzone. Wenn die Drogen-Dealer ausgeschlafen haben, übernehmen sie das Regiment in der Stadt. "Dann setzt nur noch einen Fuß vor die Tür, wer kein Auto hat", sagt Reverend Hayward Wiggins.

"Die Leute haben Angst." Der Pfarrer weiß, die Menschen übertreiben nicht. Einst eine blühende Kleinstadt in New Jersey, ist der Ort am Delaware-Fluss zum Alptraum geworden. Camden zählt nach Angaben der US-Bundespolizei FBI zu den kriminellsten und ärmsten Städten des Landes. Sie markiert einen Trend.

"Willkommen im Armenhaus Amerikas" sagt Wiggins. Der Pfarrer im Kirchenverband, Camden Churches Organized for People (CCOP), steht vor seinem Gotteshaus in der Hölle. "Gleich", prophezeit er, "geht es los." Im Viertel wimmelt es dann von dunklen Gestalten, die ihre Gesichter unter Kapuzen verbergen. Vor einer Fassade aus Ruinen und mit Brettern vernagelten Häusern warten die Dealer zwischen Prostituieren auf Kundschaft.

Straßenlampen ohne Birnen

Die Straßenlampen haben keine Birnen mehr. Aus ausgehöhlten Telefonhäuschen hängen blanke Kabel. Jedes zweite Wohnhaus steht leer. "Koks, Heroin, Sex - hier ist alles zu haben", weiß Wiggins und kickt eine gebrauchte Spritze vom Kirchen-Eingang in die Stille.

"Alles, nur keine Jobs." Mit einer Arbeitslosenquote von annähernd 17 Prozent zählt Camden zu den Spitzenreitern des Landes. Mehr als die Hälfte der 80.000 Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Die Schlangen vor dem Sozialamt werden länger, hinter den Schaltern wird es dünner. Fast 40 Prozent der Bewohner aus dem Großraum Camden beziehen regelmäßig Lebensmittelhilfe, erklärt ein Mitarbeiter des Amts. "Wir haben seit fünf Jahren Tausende neuer Bewerber", stöhnt er. "Doch gleichzeitig haben wir immer weniger Kollegen, um die Anträge zu bearbeiten."

"Jetzt ist unsere Zeit"

Wegen leerer Kassen setzte Bürgermeisterin Dana Redd sogar die Hälfte der Polizisten sowie ein Drittel der Feuerwehrmänner auf die Straße. "An dem Tag trugen die Dealer T-Shirts mit der Aufschrift:"Jetzt ist unsere Zeit"", sagt Mary, eine junge Frau vor einem Geschäft. "Sie sind in der Mehrheit - und sie haben Waffen."

49 Schussopfer waren es 2011. Eines der ersten dieses Frühjahrs war die 20-jährige Anjana Williams. Eine Gang überfiel den Imbiss, in dem sie gerade ihr Mittagessen holen wollte. Eine Kugel landete in ihrem Bauch. "Die Menschen, die ich beerdige, werden immer jünger", erklärt Wiggins traurig. Doch der 54-Jährige, der in Camden aufwuchs, gibt die Stadt nicht auf. Ihn nährt die Hoffnung, dass sie eines Tages wieder der blühende Ort wird, den er aus seiner Kindheit kennt. "Wir spielten angstfrei in grünen Parks, Arm und Reich lebte nebeneinander."

Die Suppenfirma Campbell war damals Top-Arbeitgeber in der Stadt vis-a-vis von Philadelphia. Die rot-weiße Dose aus Camden wurde zur US-Ikone weltweit. Dann verlegte die Firma ihre Abfüllanlagen nach Texas. Auch die Plattenfirma RCA Victor, Reedereien und Hafenanlagen, die Camden zu einem Hort des Mittelstands gemacht hatten, verschwanden. Den Rest besorgten Rassenunruhen, Drogen und schließlich die Rezession. Läden schlossen. Häuser verfielen oder wurden billig verschleudert. "Das Bild der Bewohner änderte sich", so Wiggins. "Die Stadt kippte."

Kampf gegen den Verfall der Stadt

Mit Häuser- und Jugendprojekten kämpfen Kirchenorganisationen wie die CCOP gegen den Verfall der Stadt an. "Doch es ist schwer, jungen Leuten Hoffnung auf eine Zukunft zu machen", so Wiggins. Weniger als die Hälfte beenden die Schule. "Viele wollen mit Drogen schnelles Geld machen, um der Trostlosigkeit zu entfliehen."

Camden, so warnen Soziologen, ist Paradebeispiel für einen US-Trend. Mit der Kluft zwischen Arm und Reich wachse die Ghettoisierung Amerikas, so eine Studie der Universität Stanford.

"Mit der wachsenden Einkommensschere in den letzten vier Jahrzehnten, gibt es auch immer weniger Nebeneinander von Gut- und Niedrigverdienern", so der Bericht. Immer mehr Menschen aus der Mittelschicht rutschen in Elendsviertel ab.

Zeltstädte in den USA boomen

Viele Städte haben sich nicht von der Wirtschaftskrise erholt. Eine Untersuchung des US-Städtetags zu Hunger und Obdachlosigkeit im Jahr 2011 ergab, dass in fast allen 29 untersuchten Metropolen seit September 2010 die Nachfrage nach Lebensmittel-Beihilfen stieg. Auch ein Dach über dem Kopf fehlt immer mehr US-Bürgern. In zahlreichen Metropolen boomen bereits Zeltstädte.

"Es gibt Elendsviertel in vielen amerikanischen Großstädten", so Reverend Wiggins. Aber in Camden balle sich alles Elend auf knapp 25 Quadratkilometern. Der Geistliche gibt nicht auf. "Wir versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten", sagt er. "Aber das ist ein Kraftakt - etwa so, als wolle einer einen Ozean in eine andere Richtung lenken."

(dpa)
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