NS-Kriegsverbrecherprozess Haftverschonung für John Demjanjuk

München (RPO). Nach der Verurteilung des NS-Kriegsverbrechers John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft hat das Münchner Landgericht II angekündigt, den Haftbefehl gegen den 91-Jährigen aufzuheben. Das Gericht begründete die Entscheidung am Donnerstag mit dem hohen Alter des Angeklagten und der Tatsache, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei.

 John Demjanjuk wurde am Donnerstag im Rollstuhl und mit Sonnenbrille vor den Richter geschoben.

John Demjanjuk wurde am Donnerstag im Rollstuhl und mit Sonnenbrille vor den Richter geschoben.

Foto: dapd, dapd

Im NS-Kriegsverbrecherprozess gegen John Demjanjuk hatte das Landgericht den gebürtigen Ukrainer am Donnerstag wegen Beihilfe zum Mord in tausenden Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Demjanjuk war 1943 im Vernichtungslager Sobibor KZ-Wächter und war an 16 Massentötungen beteiligt, urteilte das Gericht nach eineinhalb Jahren Prozess.

Der Prozess galt als historisch, weil mit Demjanjuk erstmals ein als KZ-Wärter von der SS zwangsverpflichteter Osteuropäer - ein sogenannter Trawniki - vor ein deutsches Gericht gestellt wurde.

Demjanjuk war laut Urteil 1943 ein halbes Jahr in Sobibor an der massenhaften Judenvernichtung im Zuge der Aktion Reinhardt beteiligt. Während der Einsatzzeit Demjanjuks kamen in Sobibor 27.900 Juden ums Leben. "Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie", sagte der Vorsitzende Richter Ralph Alt in seiner Urteilsbegründung. Jeder Trawniki habe gewusst, "dass er Teil eines eingespielten Apparates war".

"Keine Geschichte aufarbeiten"

Das Gericht habe in dem Prozess nicht die Aufgabe gehabt, moralische oder politische Erwägungen über die jahrelange Strafverfolgung Demjanjuks anzustellen, sagte der Vorsitzende Richter weiter. "Das Gericht hat nicht deutsche oder europäische Geschichte aufzuarbeiten, es hatte aufgrund einer Anklageschrift ein Schwurgerichtsverfahren zu führen." Obwohl keine Augenzeugen Demjanjuk identifizieren konnten, zeigte sich Alt aufgrund von Akten und Gutachten von dessen Schuld überzeugt.

Das Landgericht blieb mit dem Strafmaß leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die für Demjanjuk sechs Jahre Haft beantragt hatte. Dagegen hatte die Verteidigung einen Freispruch gefordert. Verteidiger Ulrich Busch kündigte an, Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) einzulegen.

"Der Bundesgerichtshof wird das Urteil aufheben, da bin ich mir ziemlich sicher", sagte Busch am Rande des Verfahrens. Wegen des hohen Alters seines Mandanten und weil die Revision mutmaßlich eineinhalb Jahre dauern werde, sei aber unsicher, ob der 91-Jährige noch die Neuauflage eines Prozesses erleben werde.

Mögliche Fluchtgefahr

Nach der Einschätzung des Verteidigers könnte Demjanjuk dennoch noch vor Jahresende freikommen. Wegen des hohen Alters seines Mandanten könne die Haftzeit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf die Hälfte reduziert werden. Dieser Zeitpunkt wäre Mitte November erreicht.

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Barbara Stockinger, verwies am Rande des Prozesses allerdings darauf, dass die darüber entscheidende Kammer auch Faktoren wie etwa eine mögliche Fluchtgefahr berücksichtigen müsse.

Diese könnte bei Demjanjuk gegeben sein, da er 2009 aus den USA überstellt wurde und dort seine Familie lebt. Laut Busch unternimmt die Familie alle Anstrengungen, damit Demjanjuk nach einer Freilassung zurückkehren könne.

Der Prozess hatte Ende November 2009 begonnen. Beim Urteil waren - wie wiederholt in dem Verfahren - einige Nebenklägern anwesend, die in Sobibor ihre Angehörigen verloren hatten. Sie äußerten sich am Rande enttäuscht darüber, dass der Angeklagte während der gesamten Verhandlungsdauer kein Zeichen der Reue gezeigt hatte. Am Donnerstag verzichtete Demjanjuk auch auf ein Schlusswort.

(AFP/csi)
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