Entführung der "Artic Sea" Haben die Piraten das falsche Schiff gekapert?

Stockholm (RP). Der seit Ende Juli verschollene Frachter "Arctic Sea” ist in der Hand von Piraten –­ zumindest geht die finnische Reederei davon aus. Die russische Marine will das Schiff vor Gibraltar gesichtet haben. Experten rätseln, warum das Schiff überfallen wurde. Seine Ladung ist eigentlich nicht attraktiv genug.

2009: Deutsche Schiffe im Visier der Piraten
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Foto: AFP

Stockholm (RP). Der seit Ende Juli verschollene Frachter "Arctic Sea” ist in der Hand von Piraten —­ zumindest geht die finnische Reederei davon aus. Die russische Marine will das Schiff vor Gibraltar gesichtet haben. Experten rätseln, warum das Schiff überfallen wurde. Seine Ladung ist eigentlich nicht attraktiv genug.

Der 4000-Tonnen-Frachter taucht auf und verschwindet wie der "Fliegende Holländer”. Gestern meldete eine russische Fregatte, sie habe ein Schiff, das der "Arctic Sea” ähnlich sehe, in der Meerenge von Gibraltar gesichtet. Der Frachter sei Ende Juli in schwedischen Hoheitsgewässern nach Angaben der finnischen Reederei entführt worden. Weil die 15-köpfige Besatzung ausschließlich aus Russen besteht, sucht die russische Flotte auf Anweisung von Präsident Dmitri Medwedew nach dem verschollenen Schiff.

Piraten verkleideten sich als Polizisten

Es wäre seit langem der erste Fall von Piraterie in europäischen Gewässern. Die Seeräuber sollen das Schiff bereits am 24. Juli gekapert haben. Die "Arctic Sea” soll Bauholz vom finnischen Jakobstad (Pietarsaari) ins algerische Bejaia transportieren. Die schwer bewaffneten Piraten hatten sich mit einem Schnellboot, an dessen Bordwände das schwedische Wort "Polis” ("Polizei”) gesprüht war, dem Frachter genähert und waren unter dem Vorwand, nach Drogen zu suchen, an Bord gegangen.

Die Sorge wächst jeden Tag

Sie hätten die "Arctic Sea” nach zwölf Stunden ohne Beute wieder verlassen, berichtete Viktor Matwejew von der Rederei Solchart, der im Funkkontakt mit der Besatzung stand. Das scheint jedoch eine Falschmeldung gewesen zu sein. Offenbar haben die Piraten das Schiff noch immer in ihrer Gewalt. Spätestens am Dienstag, als der Frachter nicht wie geplant mit seiner 1,3 Millionen Euro teuren Ladung in Algerien ankam, wurde die Reederei misstrauisch. "Wir haben keine Informationen über die Besatzung”, sagte Reeder Matwejew. Die Sorge wachse mit jedem Tag.

Letztes Funksignal am 28. Juli

Das letzte Funksignal hatte die "Arctic Sea” am 28. Juli beim Einfahren in den Ärmelkanal abgesetzt. Kurz darauf wurde ein elektronischer Signalgeber, der den Standort von Schiffen anzeigt, abgeschaltet. Das letzte Radarbild stammt vom 30. Juli, aufgenommen im Ärmelkanal. "Wer hätte gedacht, dass ein gekapertes Schiff durch eines der polizeilich bestüberwachten und dichtest befahrenen Gewässer der Welt entkommen kann?”, wundert sich Mark Clark von der britischen Küstenwache.

In Dunkelheit das falsche Schiff gekapert?

Alle Schiffe, die den Ärmelkanal passieren, müssen mit der britischen Küstenwache Kontakt halten. "Die Besatzung kann aber bedroht worden sein, als sie im Funkkontakt mit uns stand”, meint Clarks Kollege Fred Gill. Über die Hintergründe des Schiffsraubs wird spekuliert. So könnten die Piraten in der Dunkelheit das falsche Schiff gekapert haben. Denn die Ladung ist eigentlich nicht attraktiv genug für ein solch riskantes Vorgehen. Ein britischer Piraterie-Experte wiederum vermutete einen Konflikt zwischen Privatunternehmern, bei dem eine der Parteien die Sache "in die eigenen Hände genommen hat”.

Mysteriöse Güter an Bord

Schließlich könnte das Schiff andere Güter transportiert haben außer denen, die auf den Frachtpapieren aufgelistet sind. Auch Michail Bojtenko, Chefredakteur der russischem Fachzeitschrift "Sowfracht”, vermutet eine geheime Fracht an Bord des verschollenen Schiffes: "Ich glaube nicht, dass Piraten den Frachter entführt haben. Das riecht nach irgendeiner staatlichen Beteiligung. Das ist ein richtiges Mantel-und-Degen-Stück wie in einem Roman von John le Carre.” In die Ermittlung hat sich inzwischen auch der russische Inlandsgeheimdienst FSB eingeschaltet. Medienberichten zufolge sind FSB-Agenten in Büros der "Solchart Archangelsk” tätig, die Eigentümerin der "Arctic Sea” ist.

(tim/nhec)
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