Türkei Grubenunglück: Justiz ermittelt wegen Fahrlässigkeit

Istanbul · Die türkische Justiz vermutet Fahrlässigkeit des Betreibers hinter dem katastrophalen Grubenunglück von Soma mit 301 Toten. Am Sonntagabend beschuldigte die Staatsanwaltschaft offiziell drei mutmaßliche Verantwortliche, unter anderen den Betriebsleiter des Bergwerks.

Türkei: Mehr als 200 Tote bei Grubenunglück
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Mehr als 300 Tote bei Grubenunglück in der Türkei

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Insgesamt wurden 25 Verdächtige festgenommen, sechs von ihnen kamen aber nach einigen Stunden wieder frei, wie Staatsanwalt Bekir Sahiner mitteilte.

Die Delikte, die die Staatsanwaltschaft anführt - Fahrlässigkeit und eine Mitschuld am Tod von Personen - können in der Türkei zu Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Jahren führen. Der nun verhaftete Betriebsleiter Akin Celik hatte nach dem Unglück betont, es sei alles für die Sicherheit der Arbeiter getan worden. Unter den Festgenommenen war auch der Generaldirektor des Bergwerks, Ramazan Dogru, wie die türkische Nachrichtenagentur Dogan meldete.

Am Samstag waren die Rettungsarbeiten beendet worden. Bergungskräfte hatten die Leichen der nach Angaben von Energieminister Taner Yildiz letzten beiden vermissten Bergleute gefunden. Damit stieg die Zahl der Opfer auf 301. 485 Bergleute konnten Yildiz zufolge nach dem Unglück aus der Mine fliehen oder wurden gerettet. Das Grubenunglück ist das schwerste in der Geschichte der Türkei.

Am Dienstag war in der Mine in Soma ersten Angaben zufolge ein Stromverteiler explodiert, danach brach ein verheerendes Feuer aus, das Kohle entzündete und giftige Gase freisetzte. Viele Kumpel starben an Kohlenmonoxidvergiftung.

Einer der Bergarbeiter, der 24-jährige Erdal Bicak, sagte der AP, er gehe davon aus, dass das Unglück auf Fahrlässigkeit des Betreibers zurückzuführen sei. "Das Unternehmen ist schuld", sagte er. Die Manager hätten Geräte gehabt, die die Methangaskonzentration in der Luft gemessen hätten. "Die neuen Gaskonzentrationen sind zu hoch gestiegen, und sie haben es uns nicht gesagt."

Und auch die Sicherheitsinspektionen seien reine Augenwischerei gewesen, sagt der Bergmann. Die Inspekteure seien nie in die tiefer gelegenen Stollen der Soma-Mine gekommen und hätten keine Vorstellung davon gehabt, unter welch schlechten Bedingungen die Menschen dort gearbeitet hätten.

Ein vorläufiger Untersuchungsbericht, aus dem die Zeitung "Milliyet" zitierte, geht davon aus, dass schwelende Kohle die Decke eines Stollens zum Einsturz brachte. Dem Bericht zufolge seien die Stützpfeiler lediglich aus Holz und nicht aus Metall gewesen, und es habe nicht genug Kohlenmonoxidsensoren gegeben. Yildiz sagte, es sei noch zu früh zu sagen, wie es zu der Explosion habe kommen können.

Die Wut in der Bevölkerung auf Regierung und Betreiber ist groß. Die Polizei setzte am Freitag in Soma Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, die Steine warfen und lautstark den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderten. In Istanbul gingen die Sicherheitskräfte gegen eine Menge vor, die Kerzen zum Gedenken an die Opfer anzündete.

Die Republikanische Volkspartei bekräftigte ihre Forderung nach Einführung internationaler Sicherheitsstandards. Ihr Abgeordneter Faik Öztrak sagte:"Wenn dies unterzeichnet worden wäre, hätte das Unternehmen in Soma vielleicht nicht die Kosten reduziert."

Der internationale Gewerkschaftsfunktionär Joe Drexler erklärte, er habe die Türkei zwischen 2008 und 2010 mehrmals besucht, um Behörden- und Regierungsvertreter zur Ratifizierung der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation zur Bergwerkssicherheit zu bewegen. "Ich habe keinen Zweifel, dass diese Katastrophe verhindert worden wäre, wenn diese Konvention akzeptiert worden wäre", sagte Drexler der Nachrichtenagentur AP.

(ap)
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