Grubenunglück in der Türkei Die Stunden vergehen, die Hoffnung schwindet

Istanbul · Es ist das wohl schwerste Grubenunglück in der Geschichte der Türkei: Mehr als 235 Minenarbeiter sind in dem Kohlebergwerk in Soma, rund 120 Kilometer von Izmir entfernt, ums Leben gekommen. Und es könnten noch mehr sein. 120 Kumpel sind noch unter Tage. Für die Angehörigen sind es schwere Stunden des Wartens und Bangens. Doch die Hoffnung schwindet mit jeder Stunde, die vergeht.

Hoffen und Bangen nach Grubenunglück in der Türkei
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Hoffen und Bangen nach Grubenunglück in der Türkei

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Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Mittwoch nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu bei einem Besuch am Ort der Katastrophe die Zahl der Todesopfer auf 238 angehoben. Seinen Ausführungen zufolge werden noch 120 Arbeiter in dem Bergwerk eingeschlossen. Seine Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.

Am Mittwochmorgen gab es immerhin eine gute Nachricht: Sechs Minenarbeiter konnten nach 18 Stunden unter Tage gerettet werden. Doch für viele Verschüttete kam die Hilfe zu spät. Mehr als 200 Tote wurden inzwischen geborgen. Da sich nach Angaben des Energieminister zur Zeit des Unglücks 787 Arbeiter in der Grube aufgehalten haben könnten, könnte die Zahl noch deutlich steigen. "Wir befürchten, dass die Zahl der Toten noch steigen wird", sagte Taner Yildiz. Viele der Geborgenen seien erstickt.

Unter den Toten ist möglicherweise auch ein erst 15-jähriger Junge. Die Zeitung "Hürriyet" zeigte am Mittwoch in ihrer Online-Ausgabe ein Video, auf dem ein Mann beklagt, er habe seinen 15 Jahre alten Neffen bei dem Unglück in der Zeche Soma verloren. Energieminister Taner Yildiz sagte dagegen laut "Hürriyet", es könne nicht sein, dass ein 15-Jähriger in einem Bergwerk arbeite. Auch sei niemand mit dem von dem Mann genannten Namen und in dem Alter unter den Toten.

Die Rettungskräfte vor Ort tun alles, um die Verschütteten doch noch lebend bergen zu können. Sauerstoff wird in die Grube gepumpt, da die Luftzufuhr ausgefallen ist angesichts der Explosion und des damit einhergehenden Stromausfalls. Auch das Feuer in der Mine soll noch nicht unter Kontrolle sein. Völlig verzweifelt versuchen denn auch Angehörige der Verschütterten, Neuigkeiten über ihre Verwandten zu erfahren.

Dutzende von ihnen haben sich vor der Mine oder vor dem völlig überfüllten Krankenhaus eingefunden. Vielen steht das Entsetzen deutlich ins Gesicht geschrieben. Einige weinen, andere schreien ihre Furcht laut heraus. Und wieder andere sitzen einfach nur schweigend da und warten, dass sie endlich eine Nachricht erhalten, ob ihre Verwandten gerettet werden konnten.

Kritik an Sicherheitsvorkehrungen

"Seit dem frühen Nachmittag warte ich nun schon", sagte Sena Isbiler, die Mutter eines Bergarbeiters, der Nachrichtenagentur AFP. "Bisher habe ich noch nichts gehört." Wie ihr geht es vielen der Mütter und Väter, die seit Stunden und die ganze Nacht vor der Mine oder der Klinik ausharrten. Sicherheitskräfte riegelten den Eingang der Mine ab, damit die Rettungskräfte nicht durch die verzweifelten Menschen an ihrer Arbeit gehindert werden.

Und während sie noch nach den Verschütteten suchen, wächst auch schon die Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen in dieser, aber auch in anderen Minen. "Es gibt hier keine Sicherheit", zitiert die Nachrichtenagentur AFP den Arbeiter Oktay Berrin in Soma. "Die Gewerkschaften sind nur Marionetten, und die Geschäftsleitung denkt nur ans Geld." Kani Beko, Vorsitzender des linken Gewerkschaftsbund DISK wiederum bezeichnete das Unglück als Massaker, wie AFP schreibt. In Gruben wie Soma seien ganze Ketten von Subunternehmern am Werk, die nicht vernünftig kontrolliert würden. Sicherheitsvorschriften würden außer Acht gelassen, "es geht nur um den Gewinn".

Ob sich daran in Zukunft etwas ändert, ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht absehbar. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat zumindest angekündigt, selbst zum Unglücksort zu kommen. Eine für diesen Mittwoch geplante Auslandsreise sagte er ab.

Merkel und Gauck bieten Hilfe an

Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben sich erschüttert über das schwere Bergwerksunglück gezeigt. "Mit Trauer und Bestürzung habe ich von dem tragischen Grubenunglück erfahren", schrieb Gauck am Mittwoch in einem Kondolenztelegramm an den türkischen Präsidenten Abdullah Gül. Er wolle ihm seine "tief empfundene Anteilnahme" aussprechen. Kanzlerin Merkel schrieb an den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan, sie habe "mit Erschütterung" die Nachrichten von dem schweren Unglück verfolgt. Sie wolle ihm und seinen Landsleuten ihr "tief empfundenes Mitgefühl" ausdrücken. "Deutschland steht in diesen schweren Stunden eng an der Seite Ihres Landes und ist gern zur Hilfe bereit", schrieb die Kanzlerin in ihrem Kondolenztelegramm.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich ebenfalls "erschüttert über das furchtbare Unglück". Deutschland stehe bereit zu helfen, wenn die Türkei dies wünsche, erklärte der Außenminister. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), erinnerte am Rande der Bundeskonferenz der Integrationsbeauftragten in Hamburg daran, dass viele Menschen in Deutschland türkische Wurzeln hätten und die Geschehnisse besonders verfolgten

(das)
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