Nach Zugunglück mit über 50 Toten Regierung in Griechenland räumt staatliches Versagen ein

Update | Athen · Bei einem schweren Zugunglück im Norden Griechenlands sind in der Nacht zum Mittwoch über 50 Menschen ums Leben gekommen. Nach dem Unglück gab es massive Vorwürfe gegen den staatlichen Bahnbetreiber. Was die Regierung jetzt eingestand.

Zugunglück in Griechenland: Fotos - Zwei Züge zusammengestoßen
6 Bilder

Schweres Zugunglück in Griechenland

6 Bilder
Foto: AP/Vaggelis Kousioras

Zwei Tage nach dem schweren Zugunglück in Griechenland hat die Regierung staatliches Versagen eingeräumt. Verzögerungen bei der Modernisierung des griechischen Bahnnetzes seien auf „chronische“ Probleme und „jahrzehntelanges Versagen“ in der Verwaltung zurückzuführen, sagte Regierungssprecher Giannis Economou am Donnerstag. Bei den Rettungs- und Bergungsarbeiten wurden inzwischen 57 Tote geborgen, Hoffnung auf Überlebende gibt es kaum noch. Aus Protest gegen die Regierung legten unterdessen die Eisenbahner mit einem landesweiten Streik den Zugverkehr lahm.

Auf der Strecke zwischen der Hauptstadt Athen und der Hafenstadt Thessaloniki waren am Dienstagabend kurz vor Mitternacht ein Intercity mit mehr als 350 Menschen an Bord und ein auf demselben Gleis entgegenkommender Güterzug frontal zusammengestoßen. Zwei Waggons wurden durch die Wucht des Zusammenpralls zerquetscht, der Speisewagen ging in Flammen auf, zahlreiche Menschen wurden in den entgleisten und ineinander verkeilten Wracks eingeschlossen.

Wie die Polizei am Donnerstag mitteilte, stieg die Zahl der Todesopfer inzwischen auf 57. Möglicherweise seien Passagiere in dem Zug gewesen, die noch nicht von ihren Angehörigen als vermisst gemeldet worden seien, sagte eine Polizeisprecherin. Derweil suchten Einsatzkräfte an der Unglücksstelle weiter nach Überlebenden, doch „je mehr Zeit vergeht, desto geringer sind die Chancen“ auf Erfolg, sagte eine Feuerwehrsprecherin der Nachrichtenagentur AFP.

Die schwersten Zugunglücke in Europa - eine Chronik
Infos

Die schwersten Zugunglücke in Europa

Infos
Foto: dpa/Giannis Papanikos

Wenige Stunden nach dem Unglück war der für den Streckenabschnitt zuständige Bahnhofsvorsteher, der zum Zeitpunkt des Unglücks in der nahegelegenen Stadt Larisa im Dienst gewesen war, festgenommen worden. Dem 59-Jährigen werden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung zur Last gelegt. Bei einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft. Nach Angaben seines Anwalts räumte er die Vorwürfe am Donnerstag ein. Sein Mandant habe „zugegeben, was er getan hat“, sagte der Anwalt.

Medienberichten zufolge soll der Mann wenig erfahren gewesen sein - laut dem Fernsehsender ERT hatte er den Posten erst vor gut einem Monat übernommen. Zuvor sei er im Bildungsministerium tätig gewesen, für seine neue Aufgabe habe er eine dreimonatige Ausbildung absolviert.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte schon am Mittwoch nach einem Besuch am Unglücksort von einem „tragischen menschlichen Fehler“ gesprochen. Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat zurück. Sein Nachfolger Giorgos Gerapetritis bat am Donnerstag die Familien der Opfer um Entschuldigung und kündigte eine selbstkritische Aufarbeitung des Unglücks an.

Aus Protest gegen das staatliche Versagen bei der Instandhaltung des Bahnnetzes legten Eisenbahner am Donnerstag landesweit für 24 Stunden die Arbeit nieder. Bei der Streik-Ankündigung prangerte der Gewerkschaftsverband der Eisenbahner die jahrelange Vernachlässigung des Schienennetzes durch die verschiedenen Regierungen an. „Leider wurden unsere ständigen Forderungen nach mehr unbefristetem Personal, besserer Ausbildung und vor allem der Einführung moderner Sicherheitstechnik einfach übergangen“, erklärte die Gewerkschaft.

Die U-Bahn-Mitarbeiter in Athen schlossen sich dem Streik an. Bis Mitternacht (Ortszeit) sollen einer Erklärung zufolge in der Hauptstadt die U-Bahnen still stehen. Das U-Bahn-System leide unter „ähnlichen Problemen“ wie das Eisenbahnnetz, hieß es darin. „Unsere Gewerkschaft beklagt seit Jahren massive Kürzungen bei Ausstattung und Ersatzteilen sowie enorme Personalkürzungen.“

Nach dem Unglück war in Griechenland eine heftige Diskussion über den Zustand des Bahnnetzes entbrannt. Laut der Lokführergewerkschaft OSE ist die Strecke zwischen Athen und Thessaloniki in einem sehr schlechten Zustand. Alle Signale würden manuell gesteuert, sagte Gewerkschaftschef Kostas Genidounias. In einem offenen Brief hatten Bahnmitarbeiter bereits im Februar darauf hingewiesen, dass die Sicherheitssysteme unvollständig und schlecht gewartet seien.

Nach einem Zusammenstoß zweier Züge in Griechenland steigt Rauch von Waggons auf.

Nach einem Zusammenstoß zweier Züge in Griechenland steigt Rauch von Waggons auf.

Foto: AP/Vaggelis Kousioras

Im Zuge eines umfassenden Privatisierungsprogramms infolge der Finanzkrise hatte die italienische Staatsbahn Ferrovie di Stato (FS) die griechische Bahn 2017 übernommen. Vor der Zentrale der Bahngesellschaft Hellenic Train in Athen protestierten am Donnerstag rund 700 Menschen. Der Opfer gedachten sie mit einer Gedenkminute.

(felt/albu/peng/mzu/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort