Vater des erschossenen Austausschülers "Mich erwartet das Schlimmste"

Missoula · Wie übersteht man eine Reise, bei der man die Leiche des eigenen Kindes in Empfang nehmen muss? Der Vater des in den USA getöteten Austauschschülers Diren hat die emotionale Achterbahnfahrt nur mit viel Hilfe gemeistert. Seine Familie steht noch immer unter Schock.

 Freunde und Mannschaftskollegen sind mit ihren Gedanken bei Diren.

Freunde und Mannschaftskollegen sind mit ihren Gedanken bei Diren.

Foto: dpa, bom fdt

Nach dem tragischen Tod seines Sohnes Diren und einer schwierigen Reise in die USA bereitet sich dessen Vater auf weitere bewegende Tage in Hamburg und im türkischen Bodrum vor. In beiden Städten sollen Angehörige, Freunde und Bekannte bei muslimischen Trauerfeiern von dem beliebten Jugendlichen Abschied nehmen können, wie der 46-Jährige dpa sagte. Im Interview spricht er über Direns Lebensträume, seine Zeit in Montana und die trügerische Idylle Amerikas.

Sie sind aus Hamburg in die USA gereist, um ihren toten Sohn Diren nach Hause zu holen. Wie steht man so etwas überhaupt durch?

Es war keine einfache Reise. Aber ein guter Kollege aus Hamburg begleitet mich und steht mir bei. Hätte ich gewusst, dass es dort eine muslimische Gemeinde gibt, in der auch Frauen dabei sind, hätte ich meine Frau und Töchter mitgenommen. Wegen der Gefahr eines Schocks oder Herzinfarkts wollte ich, dass sie lieber in Hamburg bleiben. Das deutsche Konsulat und die Austauschorganisation CIEE waren wirklich sehr hilfreich. Ich kann ein bisschen gebrochen Englisch - ohne solche Hilfe wäre es für uns sehr hart gewesen.

In Hamburg stehen Ihnen nun auch keine leichten Tage bevor.

Da erwartet mich das Schlimmste. Die Mutter und die Schwestern werden sich tot schreien. Meine Mutter wurde schon ins Krankenhaus eingewiesen, weil ihr Blutdruck zu hoch war. Und es waren Krankenwagen und Ärzte bei uns zu Hause, um meiner Frau Beruhigungstabletten zu geben. Verwandte, Nachbarn, Kollegen - alle sind im Schock. So einem Jungen durfte so etwas nicht passieren.

Wie geht es nach Ihrer Ankunft weiter?

Meine Frau möchte ihren Sohn sehen. Die ganzen Freunde, Bekanntschaft, Kollegen erwarten uns. An der Moschee am Nobistor wird es ein Gebet geben, eine Zeremonie. Danach wird er in die Türkei geflogen, da wird das gleiche noch einmal stattfinden.

Diren soll in Bodrum bestattet werden...

Ja, im schönsten Teil der Türkei. Wir haben ein Haus in Bodrum und waren dort jedes Jahr sechs Wochen oder zwei Monate im Urlaub. Es war seine Lieblingsgegend. Er liebte das Haus. Wir haben uns vorgestellt, später dort zu leben, weil wir auch Freunde und Bekannte dort haben. Der Friedhof ist nicht weit vom Haus.

Planen Sie dort eine große Trauerfeier?

50 oder 100 Leute werden mitreisen, schätze ich mal. Wir haben im Flieger schon Plätze reserviert. Jeder ist eingeladen, jeder wird dort mit offenem Herzen als Gast empfangen. Alle Nachbarn haben sich schon bereiterklärt, Leute unterzubringen.

Was war Ihr Sohn für ein Mensch?

Er war der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich glaube, jeder Vater wäre glücklich, wenn er so einen Sohn hätte. Er war ein Vorzeigekind: Respektvoll, lebhaft, menschenlieb. Er hat sich mit jedem verstanden und war immer hilfsbereit. "Großer Bruder", sagten sie immer in der Nachbarschaft.

Und er war ein begeisterter Fußballer.

Er war schon mit fünf oder sechs Jahren in der Kindermannschaft vom FC St. Pauli, danach ist er zum SC Teutonia gewechselt. Er war immer sportlich. Ich bin auch begeisterter Sportler: Wassersport, Kanu, Kajak, Surfen, Fußball, Fahrrad - was Sie sich vorstellen können. Aber er war besser als ich.

Was erhoffte Diren sich von der Zeit in den USA?

Sein Wunsch war, die Sprache zu lernen und ein Abenteuer zu erleben, etwas zu leisten, das andere nicht gemacht haben. Dieses Bedürfnis konnten wir ihm nicht abschlagen. Amerika-Fan war er nicht, und Fußball ist in den USA ja eher ein Mädchensport. Aber Amerika war für ihn das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Er wollte internationales Management studieren und etwas Großes werden.

Wie haben Sie seine Zeit in Übersee aus Hamburg miterlebt?

Es war die schönste Zeit seines Lebens. Besonders eine Woche, die er in Hawaii war. Er hat mir oft geschrieben und war sehr dankbar und stolz. Er hat gesagt: Papa, in dieser Gegend kann man sich vorstellen, für immer zu bleiben. Wir leben seit 40 Jahren in Hamburg, da gibt es keine Berge, nur Flachland, Regen, schlechtes Wetter, schlechte Laune. Hier scheint die Sonne, und es ist blauer Himmel.

Was suchte Diren Ihrer Meinung nach mitten in der Nacht in einer fremden Garage, bevor er erschossen wurde?

Er hat telefoniert, vielleicht wollte er nur nicht in der Kälte stehen und in Ruhe sprechen. Aber dass er etwas klauen wollte, glaube ich nicht. Ich arbeite fast jeden Tag 14, 15 Stunden als Taxifahrer, um meinen Kindern alles zu geben. Das hatte er nicht nötig. Er hatte von allem das Beste - das beste Handy, die besten Klamotten. Vielleicht war das auch nur ein dummer Streich.

Welches Bild haben Sie nun von den USA?

Dort sieht alles sehr idyllisch aus, sehr freundlich. Da können keine Mörder wohnen. Aber Amerika bleibt gefährlich, jeder kann losgehen und sich eine Waffe kaufen. Ich bin als Taxifahrer seit 20 Jahren nachts aktiv in Sankt Pauli, und bei mir im Haus wurde auch eingebrochen. Aber ich habe mir doch deswegen nicht gleich eine Waffe zugelegt! Was dort so idyllisch aussieht, da versteckt sich etwas anderes dahinter. Und Amerika sagt, sie wollen Gerechtigkeit über die Erde bringen. Aber das ist doch keine Gerechtigkeit.

Zur Person: Der Vater des getöteten Diren wurde in der türkischen Hauptstadt Ankara geboren und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern (19, 22) in Hamburg. Der 46-Jährige arbeitet als Taxifahrer. Sein 17 Jahre alter Sohn war vergangenen August als Gastschüler nach Missoula im US-Staat Montana gekommen und dort auf einem fremden Privatgrundstück am frühen Sonntagmorgen erschossen worden.

(dpa)
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