Aufatmen in Italiens Norden Warum sich Menschen am Gardasee über Regen freuen
Rom · In diesem Winter und im Frühjahr waren die Wasserstände etlicher Seen und Flüsse in Italien außergewöhnlich niedrig. Obwohl es in den vergangenen Tagen regnete, befürchten Experten einen erneut wasserarmen Sommer. Ein Besuch vor Ort.
Es regnet am Gardasee. Wo man auch anrief am Dienstag, in Peschiera, Torri del Benaco oder Torbole: Niederschläge gingen über dem größten italienischen See herunter. Und man hätte es vor einiger Zeit noch kaum glauben können: Die Menschen am See freuen sich über den Regen. Carmine Piccolo zum Beispiel, ein Umweltaktivist aus Ghedi in der Provinz Brescia, sagt: „Zum Glück regnet es. In den vergangenen beiden Wochen gab es viele Niederschläge, das tut dem See gut, den Flüssen und den Feldern.“
Und den Menschen, möchte man hinzufügen. Maura Salaorni zum Beispiel ist voller guten Mutes. Ihre Eltern führen die Baia Stanca Beach Bar in Torri del Benaco, ein kleines Idyll mit spektakulärem Blick auf das Westufer. „Wir sind heute geschlossen, weil es regnet“, sagt die 37-Jährige am Telefon. Aber schlechte Laune macht ihr der Regen nicht. „Nach einem Monat Regen ist die Trockenheit vorbei“, jubelt Salaorni. „Wir haben das Wasser wirklich gebraucht!“

Das sind die schönsten Seen Italiens
Am See sei alles unter Kontrolle, die Natur grün, der Wasserstand gut. Die Behörden meldeten am Montag einen Pegel von 71,4 Zentimetern, vor einer Woche hatte er noch 56,9 Zentimeter betragen. Der historische Mittelwert für die Jahreszeit beträgt gleichwohl 107 Zentimeter. Gestern habe die Sonne geschienen, berichtet Salaorni. 20 Grad, T-Shirt-Wetter. Kaum ein Tag sei vergangen, an dem nicht die besorgten Stammgäste aus Deutschland oder Österreich angerufen hätten. „Sie waren besorgt wegen der Nachrichten, aber wir haben sie beruhigt und freuen uns auf den Sommer.“

Extreme Dürre in Spanien, Italien und Frankreich
Laut Salaorni wurde die Trockenheit in Norditalien von der Presse übertrieben wiedergegeben. Viele in der Tourismusbranche teilen diese Meinung, von einer „Kampagne“, „Alarmismus“ und einem schweren Imageschaden für das Geschäft am Gardasee war die Rede. Doch Fakt war auch: Im April sank der Wasserstand am See auf einen historischen Tiefstand. Monatelang hatte es nicht mehr geregnet, die Schneeschmelze fiel aus, weil kein Schnee gefallen war. Auch die italienische Regierung schritt ein, gab 100 Millionen Euro Soforthilfe wegen der Trockenheit im Norden frei. Ein Sonderkommissar wurde für den Wassernotstand berufen. Vom Wasserstand im Gardasee hängt auch ein Teil der Landwirtschaft in der Po-Ebene ab.
Was den ohnehin schon gehörigen Ansturm am See betrifft, machte die Dürre es teilweise noch schlimmer. Karawanen von Touristen pilgerten bei Malerba auf die Isola die Conigli, weil diese Insel wegen des Niedrigwassers nun zu Fuß erreichbar war und zum Symbol der Dürre wurde. Seit vergangener Woche ist das wegen der Regenfälle nun nicht mehr möglich, wer die Insel zu Fuß erreichen will, wird bis zur Hüfte nass. „Dem See geht es gut“, sagt Franco Lanfredi, ein Fotograf, der zuletzt am Freitag in Malerba war. „Panikmache hilft doch gar nichts, die Natur kümmert sich um den See.“
Die Aktivistinnen der Klimaschutz-Organisation Extinction Rebellion sehen das freilich anders. Im Februar protestierten Sara und Alice mit selbst geschriebenen Schildern auf dem Weg zur Insel. „Hast du dich schon einmal gefragt, warum du im Februar zu Fuß auf die Isola die Conigli laufen kannst?“, stand da geschrieben. Wegen des Klimawandels, lautet die Antwort der Aktivistinnen. „Leider ist der Ort zur Attraktion geworden und kaum jemand sorgt sich um die Ursachen“, sagte Sara dem Corriere della Sera. Anfang Mai inszenierte Extinction Rebellion auf dem Pfad zur Insel eine „Beerdigung des Gardasees“. Der Trauerzug sollte auf den Wassermangel und seine Ursachen aufmerksam machen.
Was den See entlastet, ist insbesondere der Zufluss, beispielsweise aus dem Fluss Sarca im Norden, der wiederum von anderen Zuflüssen aus den Dolomiten gespeist wird. Die Wasseraufsichtsbehörde AIFP meldete diese Woche einen Zufluss von 82,7 Kubikmetern pro Sekunde, der historische Mittelwert für diese Jahreszeit beträgt 62,9 Kubikmeter. „Der Sarco hat mehr Wasser als im vergangenen Jahr“, beobachtet Juan De Aro vom Kayak- und Canyoning-Veranstalter Lago di Garda in Torbole am Nordufer. Auch bei ihm drängt sich der Eindruck auf: So sehr hat man sich am Gardasee schon lange nicht mehr über Regen gefreut. Im Süden dasselbe Bild. Wasser-Taxifahrer Marcello Mattioli aus Peschiera sagt: „Die Lage verbessert sich täglich, es regnet viel dieser Tage.“ Manche Stellen darf Mattioli wegen des Niedrigpegels jedoch weiterhin nicht anfahren. Dazu zählen unter anderem die Burg von Sirmione sowie die kleinen Häfen Pacengo und Cappuccini bei Peschiera. Mattioli hat dieses Jahr einen leichten Rückgang des Tourismus festgestellt. „Ich glaube nicht, dass das mit der Dürre und der Berichterstattung zu tun hat“, sagt er. „Das vergangene Jahr war einfach besonders gut.“
Doch auf mittlere und lange Sicht scheint das Problem des Wasserstands am Gardasee nicht gelöst. Dank der Regenfälle stieg der Pegel zuletzt täglich um rund zwei Zentimeter an. Was aber, wenn im Lauf eines erneuten niederschlagsarmen Sommers die Landwirtschaft in der Po-Ebene auf das Wasser aus dem Gardasee zur Bewässerung ihrer Felder angewiesen ist? Derzeit erlauben die Behörden, dass am Stauwehr von Salionze südlich des Sees nur eine geringe Menge Wasser für die Landwirtschaft abgezweigt wird. Umweltaktivist Carmine Piccolo: „Der Gardasee muss dieser Tage soviel Wasser wie möglich bekommen, weil der Pegel im Sommer wegen des enormen Wasserbedarfs für die Landwirtschaft in der Po-Ebene unweigerlich wieder fallen wird.“