Düsseldorferin in Saudi-Arabien "Zum Einkaufen muss ich einen Fahrer bestellen"

Düsseldorf · Saudi-Arabien will Frauen erlauben, sich ans Steuer eines Autos zu setzen. Wir haben eine Düsseldorferin gefragt, was das für ihr Leben bedeutet - sie wohnt seit zwei Jahren in dem muslimischen Land.

Ihren echten Namen möchte Karla Spicker nicht nennen, er ist unserer Redaktion bekannt. Verraten kann die 46-Jährige nur so viel: Aufgewachsen und studiert in Düsseldorf, seit zwei Jahren mit Mann und Kindern in Saudi-Arabien.

Jenem Land also, in dem es Frauen bislang bei Strafe verboten ist, ein Auto zu steuern — in keinem anderen Land der Welt gibt es eine solche Regelung. Demnächst soll das archaische Verbot wegfallen. Ein entsprechendes Dekret hat König Salman erlassen.

Wie reagieren Ihre saudischen Kollegen darauf, dass ihre Frauen bald Auto fahren dürfen?

Spicker Wir arbeiten mit einer saudischen Firma zusammen. Ein Mitarbeiter kam heute freudestrahlend herein. Der konnte es gar nicht fassen, dass seine Frau bald fahren darf.

Er ist dafür?

Spicker Sie müssen sich eine typische saudische Familie vorstellen: ein Mann, eine Frau und mindestens vier Kinder. Das eine Kind muss morgens zur Schule gebracht werden, das andere in den Kindergarten, die anderen beiden in die Universität. Die Frau möchte einkaufen gehen, während der Mann ins Büro muss — und nur er darf fahren. Am Nachmittag hat die Frau einen Arzttermin, die Kinder wollen zum Sport, vielleicht ist die Tochter auf einem Kindergeburtstag eingeladen — als Familienoberhaupt sind Sie dafür verantwortlich, dass die Frau und die Kinder überall hingebracht werden. Das ist eine logistische Herausforderung.

 Frau beim Einsteigen in ein Taxi (in der saudischen Hauptstadt Riad, Archiv).

Frau beim Einsteigen in ein Taxi (in der saudischen Hauptstadt Riad, Archiv).

Foto: afp

Was ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln?

Spicker Die gibt es nicht. Nur Taxis. Es gibt deshalb Saudis, die zwischendurch ihre Arbeitsstelle verlassen, um die Angehörigen irgendwohin zu bringen. Wenn Sie das nicht wollen, brauchen Sie Fahrer — mehrere Fahrer, wenn Sie eine größere Familie haben. Viele Familien haben Fahrer angestellt. Sie können es sich leisten. Es geht den Saudis ja auch gut. Aber es kostet sie viel Zeit und Geld, das alltägliche Leben zu organisieren. Das wird allen langsam bewusst. Haben Sie Kinder?

Ja, habe ich.

Spicker Dann können sie ungefähr erahnen, wie groß jetzt die Freude bei vielen saudischen Männern ist. Das sagen vielleicht nur wenige, vor allem die ganz frommen Männer nicht, für die es nicht in ihr Weltbild passt, dass die Frau selbstständig ist. Aber ich glaube, dass sich die Mehrheit der Saudis über die Entscheidung freut, dass Frauen bald Auto fahren dürfen. Erst recht diejenigen, die im Ausland gearbeitet oder studiert und das Leben dort kennengelernt haben.

Sie sind Deutsche. Gilt das Fahrverbot auch für Sie?

Spicker Ja, es gilt für alle Frauen, auch für ausländische. Grundsätzlich dürfen nur Männer in Saudi-Arabien ein Auto fahren.

Wie organisieren Sie Ihren Alltag?

Spicker Ich muss alles mit einem Fahrer erledigen, der zu unserem Stadtviertel für Ausländer aus dem Westen gehört. Den kann ich bestellen und ihm sagen, wann ich wohin gebracht und wieder abgeholt werden möchte. Allerdings erfordert das natürlich etwas Planung, also mindestens 45 Minuten Vorlauf. Natürlich kann ich ein ganz normales Taxi nehmen, aber das wird westlichen Frauen nicht unbedingt empfohlen, da die Fahrer meist kein Englisch sprechen. Ich vermisse somit jegliche Spontanität.

Was meinen Sie damit?

Spicker Mal eben einkaufen — das kann ich nicht. Ich muss meinen Mann fragen oder einen Fahrer bestellen. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich hier wirklich Auto fahren möchte.

Wieso?

Spicker Wenn Sie wüssten, wie der Verkehr in Saudi-Arabien abläuft, in einer Millionenmetropole, wo nur Männer hinterm Steuer sitzen! Es ist nicht die Geschwindigkeit. Es ist die Missachtung jeglicher Regeln. Es wird rechts überholt, es wird links überholt, es wird gehupt, es wird geschnitten, und wenn Stau ist, fährt man links daran vorbei, obwohl dort niemand fahren darf. Es herrscht Anarchie auf den Straßen. Der Verkehr ist gewöhnungsbedürftig.

Können Sie sich vorstellen, wie die Fahrerlaubnis für Frauen im nächsten Jahr umgesetzt wird?

Spicker Wir Ausländer werden sicherlich die ersten Frauen sein, die fahren können. Wir haben schon einen internationalen Führerschein, wir haben auch Fahrerfahrung — wir setzen uns in ein Auto und fahren los. Aber die Saudis? Die jüngere Generation, die im Ausland studiert hat, die hat vielleicht dort schon einen Führerschein gemacht. Die ältere Generation jedoch nicht, und ich bin mir nicht sicher, ob alle den Führerschein machen werden.

Welche Einschränkungen erleben Sie als Frau in Saudi-Arabien sonst noch im Alltag?

Spicker Die größte Einschränkung ist, dass ich immer eine Abaya anziehen muss, wenn ich das Wohnviertel verlasse. Das ist ein bodenlanges, dunkles Überkleid. Und ich darf kein Bankkonto eröffnen. Mein Mann schon. Aber grundsätzlich erlebe ich persönlich kaum Einschränkungen. Jedoch habe ich einen deutschen Ehemann, und wir führen eine Beziehung, wie sie in der westlichen Welt normal ist. Das ist in saudischen Familien sicherlich anders. Saudische Frauen haben es sicherlich schwerer.

Was, glauben Sie, steckt hinter der Entscheidung, dass Frauen Auto fahren dürfen?

Spicker Es gib sehr viel moderne Saudis. Sie sind als junge Menschen fürs Studium ins Ausland gegangen, zum Beispiel nach Amerika. Dort sind sie unverschleiert herumgelaufen und Auto gefahren. Mittlerweile sind sie zurückgekommen und sitzen in hohen Positionen. Für sie ist es selbstverständlich, dass Frauen Auto fahren dürfen. Und die Männer unter ihnen gestehen ihren Frauen sicherlich auch mehr Rechte zu.

Aber ist das die Mehrheit der Saudis?

Spicker Das weiß ich nicht. Als Ausländerin habe ich vor allem mit aufgeschlossenen Saudis zu tun. Der fromme Saudi unterhält sich generell nicht mit einer Frau, außer seiner eigenen, aber schon gar nicht mit einer westlichen, die kein Kopftuch trägt, und die Mehrheit der Saudis ist wahrscheinlich noch sehr konservativ. Aber das Land befindet sich in einem Wandel. Saudi-Arabien verändert sich. Nicht von heute auf morgen, sondern sehr langsam. Sie dürfen jedoch nicht vergessen, dass wir in Deutschland auch Jahrzehnte gebraucht haben, um bei den Frauenrechten dort zu sein, wo wir heute stehen. Man muss den Saudis Zeit geben.

(wer)
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