Reaktorunfälle in Japans Atomkraftwerken Fragen und Antworten zur atomaren Katastrophe

Düsseldorf (RPO). Die Auswirkungen des Reaktorunfalls in zwei Atomkraftwerken in Japan sind noch nicht absehbar. Die Bilder machen den Menschen Angst, erinnern an das Desaster von Tschernobyl vor 25 Jahren. Fragen gibt es viele. Wie groß ist die Gefahr? Wir geben erste Antworten.

12. März: Erste Explosion im AKW Fukushima-Daiichi
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Was ist der entscheidende Faktor?

Alle Bemühungen der Kraftwerkstechniker müssen sich darauf konzentrieren, den Reaktor zu kühlen und das Austreten von Radioaktivität zu verhindern. Falls das Gebäude keinen Schutz mehr bieten kann, wird das schwierig. Wenn die Kühlung des Reaktors nicht gelingt, kommt es zwangsweise zur Kernschmelze. Eine Kernschmelze, deren Auswirkungen innerhalb des Gebäudes bleiben, ist zwar ebenfalls ein großer Unfall, aber in seiner räumlichen Auswirkung deutlich besser. Es würde "nur" die unmittelbare Umgebung des Reaktors betroffen.

Warum wird Meerwasser zur Kühlung der Reaktoren verwendet?

Mobile Generatoren, die mit Batterien angetrieben werden, sind bei den vielen Systemausfällen nicht sehr zuverlässig. Das Meerwasser löst auch das Problem, dass die Techniker einen verlässlichen Wasserzufluss brauchen. Allerdings werden die Reaktoren danach nie wieder für Energiegewinnung genutzt werden können. Das Salz führt zu starker Korrosion.

Warum explodierte das Gebäude in Daiichi?

Als Techniker den Dampf aus dem Reaktorschutzmantel abließen, um den Druck zu reduzieren, reagierte der Wasserstoff im Dampf mit dem Sauerstoff außerhalb des Schutzmantels. Die Techniker wussten, dass es eine Explosion geben könnte, hatten aber keine andere Wahl. Wäre der Druck weiter gestiegen, hätte es zu einer Explosion im Schutzmantel kommen können, die wahrscheinlich eine Kernschmelze zur Folge gehabt hätte.

Warum wird in manchen Gebieten von Japan erhöhte Radioaktivität gemessen?

Diese Messungen bedeuten nicht, dass die Reaktoren bereits undicht sind. Die erhöhten Messwerte stammen vermutlich vom Ablassen des Drucks in den Reaktoren, die dadurch stabilisiert werden sollen. Dabei wird der Dampf zwar gefiltert, aber dennoch tritt ein Rest von Radioaktivität aus. Die bisher gemessene Strahlung zwar höher als normal, aber nicht gesundheitsgefährdend.

Kann man noch kontrollieren, was passiert?

Das wissen nur die Mitarbeiter im Kernkraftwerk. Wegen der großen Hitze und der enormen Energie lassen sich solche Prozesse nicht mehr steuern. Je heißer der Reaktor wird, desto weniger wird er beherrschbar. Durch Modellberechnungen weiß man zwar sehr genau, was bei einer Kernschmelze passieren wird, aber man kann das Geschehen nicht aufhalten.

Was ist der Unterschied zwischen GAU und Super-Gau?

Unter dem Begriff GAU - größter anzunehmender Unfall - versteht man den schwersten Störfall in einem Atomkraftwerk, für den die Sicherheitssysteme ausgelegt sind. Die Umwelt wird dabei nicht über die Grenzwerte hinaus mit Strahlen belastet. Ein Super-GAU dagegen ist es, wenn der Störfall nicht mehr beherrschbar ist, es zu einer Kernschmelze - Schmelzen des Reaktorkerns - oder einem Bersten des Reaktordruckbehälters kommt. Auch Sabotage, Erdbeben, oder Flugzeugabstürze können einen Super-GAU verursachen. Ein Super-GAU ereignete sich zum Beispiel im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl, wo es im April 1986 zu einer Kernschmelze kam. Der radioaktive Niederschlag ging damals auch in Deutschland nieder.

Lässt sich der Super-Gau verheimlichen?

Nein, das ist nicht möglich. In den Nachbarländern Japans wird sehr aufmerksam die Radioaktivität gemessen. Auch die internationalen Erdbebenhelfer in Japan haben zum Selbstschutz entsprechende Messinstrumente im Einsatz. Die Informationen aus diesen Quellen werden sich schnell verbreiten, auch wenn die japanische Regierung oder die Kraftwerksbetreiber nicht von sich aus informieren.

Ist der Unfall in Japan ein neues Tschernobyl?

Das Reaktorunglück von Tschernobyl hatte so dramatische Folgen für die Menschheit, weil es nicht gelungen ist, die Radioaktivität im Inneren des Reaktorgebäudes zu halten. Es entwickelte sich damals eine radioaktive Wolke, die über Weißrussland und Polen vor allem in Skandinavien abregnete. Derzeit lässt sich nicht absehen, ob diese Gefahr auch für den japanischen Störfall existiert, weil noch nicht genau bekannt ist, was bei der Explosion zerstört wurde. Die weiße Farbe des Rauches über der Reaktoranlage deutet aber auf einen hohen Anteil von Wasserdampf hin, das könnte damit erklärt werden, dass das Kühlwasser bereits zumindest teilweise verdampft. Messungen werden bald Auskunft darüber geben, wie stark die Radioaktivität in der Rauchwolke ist.

Wer ist gefährdet?

Wenn es zu einer radioaktiven Wolke kommt, spielen vor allem die Windrichtung und der Niederschlag eine wesentliche Rolle. Nach den Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes und amerikanischer Meteorologen wird eine radioaktive Wolke in Richtung Meer ziehen. Wenn die Wolke auf den pazifischen Ozean zieht, werden die Folgen für die Menschen deutlich geringer sein, weil sich die Radioaktivität über der großen Fläche des Pazifiks verteilt. Die Gefährlichkeit der Radioaktivität ist fast direkt mit der Dosis verbunden. Falls eine mögliche Wolke aber über Japan in Richtung des chinesischen Festlands zieht, besteht eine Bedrohung für mehrere Millionen Menschen.

Wie gefährdet ist Europa?

Die Gefährdung für Europa ist durch die große Distanz zu Japan eher gering. Die Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes zeigen, dass die Radioaktivität nicht in die höchsten Höhen der Atmosphäre ziehen wird. Dann ist eine Verteilung rund um den Globus wenig wahrscheinlich.

Wie gefährlich ist radioaktive Strahlung?

Diese einfach klingende Frage ist sehr kompliziert. Hohe Strahlung ist direkt oder binnen weniger Wochen tödlich. Für die Bewertung der Gefahr ist auch die Strahlungsquelle selbst wichtig. Die Radioaktivität stammt von verschiedenen Substanzen: Jod und Cäsium sind im Vergleich zu Plutonium oder Uran weniger gefährlich. Eine zusätzliche Gefahr besteht, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum Radioaktivität ausgesetzt sind. Besonders gefährdet sind Menschen, wenn die radioaktiven Bestandteile in den Körper gelangen, etwa weil sie durch die Nahrung aufgenommen werden.

Was kann das Ingenieurteam im Kraftwerk noch machen?

Im Kraftwerk gibt es ein Wettrennen gegen die Zeit. Ein großes Unglück lässt sich nur verhindern, wenn es gelingt die Brennstäbe zu kühlen. Die normale Infrastruktur zur Kühlung scheint aber nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Am Wochenende haben die Betreiber damit begonnen, Meerwasser im Gemisch mit Borsäure zur Kühlung einzusetzen. Schon am Freitagabend gab es Nachrichten, dass die Radioaktivität im Kraftwerksgebäude um das Tausendfache gestiegen sei. Für die Mannschaft im Kraftwerk bedeutet das eine direkte Gesundheitsgefährdung. Beim Unglück in Tschernobyl gehörten die meisten Opfer zum Rettungsteam. Von der Kraftwerksmannschaft hat niemand überlebt.

Welche Rolle spielt radioaktiver Fallout?

Radioaktiver Fallout ist sicher ein Problem, aber auch beim Tschernobyl-Gau waren die gesundheitlichen Auswirkungen für die Bevölkerung eher gering. Die Toten und Verletzen gab es überwiegend in der Nähe des Kraftwerksblocks. Falls es zu einer größeren radioaktiven Wolke kommt, wird deren Verhalten und ihr Weg genau beobachtet werden. Am leichtesten werden die radioaktiven Teilchen mit dem Regen ausgespült und auf den Boden gebracht. Nach Tschernobyl gab es weltweit Empfehlungen Gemüse und Obst nach dem Fallout nicht mehr zu verzehren. In Tschernobyl wurden große Flächen gesperrt und die Menschen von dort evakuiert, weil es gesundheitsgefährdend war, dort zu leben. Im dicht besiedelten Japan wird das schwierig werden - dort leben im Schnitt 337 Einwohner pro Quadratkilometer, mehr als 100 mehr als in Deutschland. Die Großstadt Sentai ist nicht weit vom Kraftwerk entfernt, bis nach Tokio sind es 250 Kilometer.

Was passiert mit den Reaktoren?

Die Kernkraftwerke werden nicht mehr in Betrieb gehen können. Unabhängig davon, ob es zur Kernschmelze kommt, werden die Anlagen für mehrere hundert Jahre gesichert werden müssen. Sie sind radioaktiv belastet.

Und wenn alles gut geht?

Dann können die Techniker Temperatur und Druck in den Reaktoren wieder unter Kontrolle bringen. Daraufhin müssen die Bedingungen sich wieder so weit normalisieren, dass die Techniker sich den Reaktoren nähern können, um den Schaden zu begutachten.

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