Flüchtlingscamp Moria Flucht aus der Feuerhölle

Moria · Die griechische Regierung ruft nach dem Brand in dem Flüchtlingscamp Moria den Notstand aus. Wohin mit den mehr als 12.000 Bewohnern?

Bilderstrecke: Flüchtlingslager Moria brennt - Tausende fliehen
13 Bilder

Flüchtlingscamp Moria brennt - Lager evakuiert

13 Bilder
Foto: dpa/Panagiotis Balaskas

Das größte und zugleich verwahrloseste Flüchtlingscamp Europas liegt in Schutt und Asche. Moria gibt es nicht mehr. Der Pressefotograf Giorgos Moutafis, der als einer der ersten Reporter am Mittwochmorgen das Camp erreichte, berichtete telefonisch im Sender Mega TV: „Alles ist vernichtet. Hier sieht es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen“.

Die Zeitbombe tickte seit Langem. „Jetzt ist die Situation regelrecht explodiert“, sagt Stratos Kytelis, der Bürgermeister von Mytilini auf Lesbos. Moria liegt zwölf Kilometer von der Inselhauptstadt entfernt. Die „Hölle“ nannten Bewohner das fünffach überbelegte Camp. Mit dem Feuersturm, der in der Nacht zu Mittwoch das Lager verwüstete, bekommt dieses Wort eine neue, schreckliche Bedeutung.

Augenzeugen berichten, dass kurz vor Mitternacht im Umkreis des Lagers Flammen aufloderten. Es soll sich um etwa ein Dutzend kleiner Brandherde gehandelt haben. Starke Nordwinde fachten die Brände an. Schnell griffen die Flammen auf die Zelte und Wohncontainer über. Die Lagerbewohner, darunter viele Familien mit Kindern, flohen in die umliegenden Wälder. Die Feuerwehr setzte zehn Löschfahrzeuge und einen Löschhubschrauber ein. Erst am Morgen gelang es, den Brand zu löschen.

Alles deutet auf Brandstiftung hin. Anders ist nicht zu erklären, dass an so vielen Stellen gleichzeitig Feuer ausbrachen. Wer dahinter steckt, ist noch unklar. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas sagte, Lagerbewohner selbst hätten die Brände gelegt. Schon bei früheren Protesten hatten Migranten Wohncontainer in Brand gesteckt. Für diese Version spricht auch, dass die Feuerwehrleute bei den Löscharbeiten von Migranten massiv mit Steinwürfen behindert wurden. Manche riefen triumphierend „Bye, bye Moria!“

Dem Brand waren am Dienstagabend Unruhen im Lager vorausgegangen. Auslöser war die Corona-Epidemie. Vor einer Woche wurde erstmals ein Lagerbewohner positiv auf das Virus getestet. Die Regierung verhängte daraufhin eine Quarantäne über das Lager und begann mit Tests. Am Dienstag wurde bekannt, dass sich weitere 35 Migranten mit dem Virus infiziert hatten. Sie, ihre Familien und Kontaktpersonen sollten in eine Isolierstation außerhalb des Lagers gebracht werden. Dagegen regte sich Widerstand. Derweil versuchten andere Lagerbewohner, das Camp zu verlassen, aus Angst, sie könnten sich dort anstecken. Es kam zu heftigen Streits, die offenbar später zu den Brandstiftungen führten.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl machte die Bundesregierung und die EU für die Katastrophe in Moria verantwortlich. Sie sei „eine Folge der skandalösen und menschenverachtenden deutschen und europäischen Politik“, sagte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. In den Lagern seien Tausende Menschen „psychisch zermürbt“ worden. Anstatt für faire Asylverfahren zu sorgen, hätten alle EU-Staaten zugeschaut.

Seinen Namen hat das Lager Moria von dem nahegelegenen gleichnamigen Dorf. Lesbos ist ein Hauptziel der Migranten, die von der etwa 15 Kilometer entfernten türkischen Küste ins EU-Land Griechenland zu gelangen versuchen. Moria war konzipiert als eines von fünf Erstaufnahmelagern. Weitere gibt es auf Chios, Leros, Kos und Samos. In „Hotspots“ werden die Geflüchteten registriert und warten auf ihre Asylbescheide. Abgelehnte Asylbewerber sollten in die Türkei zurückgeschickt werden. Die Behörden wurden jedoch schnell von dem großen Ansturm überfordert. Die Asylverfahren zogen sich immer weiter in die Länge, auch wegen vieler Einsprüche. Deswegen funktionieren auch die im Flüchtlingspakt vorgesehenen Rückführungen in die Türkei nicht. Moria hat Unterkünfte für 2757 Personen, zeitweilig lebten dort aber über 15.000 Menschen. Aktuell sind es nach offiziellen Angaben 12.589, darunter etwa 4000 Kinder.

Die Zustände im Lager waren katastrophal. Menschenrechtsorganisationen nannten Moria „die Schande Europas“. Weil es in den Wohncontainern des eigentlichen Lagers längst keine freien Schlafplätze mehr gab, hausten die meisten Menschen in Zelten und Unterschlägen, die sie sich aus Latten, Pappe und Plastikplanen in den umliegenden Olivenhainen gezimmert hatten.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis beriet mit den zuständigen Ministern und dem Chef der Zivilschutzbehörde am Mittwoch in einer Krisensitzung über die Lage in Moria. Mitsotakis erklärte nach der Sitzung: „In Moria kann es nicht so weitergehen wie bisher. Das ist eine Frage der öffentlichen Gesundheit, der Humanität und der nationalen Sicherheit.“ Offen war allerdings zunächst, was nun aus den obdachlosen Lagerbewohnern werden soll. Sie campierten am Mittwoch auf den umliegenden Feldern und warteten auf den Straßen. Die Flüchtlingsagentur UNHCR der Vereinten Nationen teilte in Genf mit, eine vorübergehende Lösung zur Unterbringung der betroffenen Menschen sei in Arbeit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort