Eskalation in Israel Täter hinter zweitem Angriff in Jerusalem erst 13 Jahre alt

Update | Jerusalem · Am Tag nach einer israelischen Razzia, bei der neun Palästinenser getötet wurden, erschießt ein 21-jähriger Palästinenser in Ost-Jerusalem sieben Menschen, die aus der Synagoge kommen. Kurz darauf kommt es zu einem weiteren Schusswaffenanschlag mit Schwerverletzten – der Täter: ein 13-Jähriger.

Zweiter Schusswaffenanschlag in zwei Tagen in Jerusalem
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Zweiter Schusswaffenanschlag in zwei Tagen in Jerusalem

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Foto: dpa/Mahmoud Illean

Zwei Terroranschläge in Ost-Jerusalem, ein weiterer Angriffsversuch im Westjordanland: Die jüngsten Gewaltausbrüche im Nahost-Konflikt haben in vielen Ländern Sorgen ausgelöst. Am Samstagabend gab laut israelischem Militär ein Mann in einem Restaurant in der Nähe der Stadt Jericho im Westjordanland einen Schuss ab. Medien berichteten, er habe anschließend Probleme mit seiner Waffe gehabt. Das verhinderte womöglich weitere Schüsse - und Opfer. Es war der dritte Vorfall binnen 24 Stunden.

Aufnahmen einer Überwachungskamera sollen zeigen, dass der Angreifer mit einem Sturmgewehr bewaffnet gewesen sei. Streitkräfte fahnden derzeit nach dem Mann. Verletzt wurde demnach niemand.

Anders bei einem Angriff am Vormittag. Ein gerade mal 13-jähriger Palästinenser verletzte Vater und Sohn in einer israelischen Siedlung im Stadtteil Silwan in Ost-Jerusalem mit Schüssen. Die Polizei sprach von einem „Terror-Angriff“. Bewaffnete Passanten hätten schließlich auf den Jungen geschossen. Am Abend zuvor hatte bereits ein Anschlag auf Besucher einer Synagoge mit sieben Toten für Entsetzen gesorgt.

Nach ersten Erkenntnissen handelte es sich bei dem Attentäter vom Freitag in der israelischen Siedlung Neve Yaakov um einen 21-Jährigen aus Ost-Jerusalem. Er wurde auf der Flucht erschossen. Die Polizei nahm mindestens 42 Verdächtige - Verwandte und Nachbarn des Attentäters - fest. Was ihnen zur Last gelegt wird, war zunächst nicht bekannt.

Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600 000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.

„Wir suchen keine Eskalation, aber wir sind auf jedes Szenario vorbereitet“, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstagabend bei einer Sitzung des Sicherheitskabinetts, die sich mit der Lage nach den Terrorangriffen befassen wollte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und viele weitere internationale Politiker verurteilten den Angriff. „Deutschland steht an Israels Seite“, hieß es von Scholz. „Mein Herz bricht bei der Nachricht von den schrecklichen Terroranschlägen am Schabbat in Jerusalem“, sagte Israels Präsident Izchak Herzog.

Auch Saudi-Arabien, das mit Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhält, teilte mit, „jegliche Angriffe auf Zivilisten“ zu verurteilen. Viele Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland reagierten dagegen mit Freudenfeiern auf den Terroranschlag vom Freitag. Die palästinensische Führung ließ in einer Erklärung verlauten, Israel sei „voll verantwortlich für die gefährliche Eskalation“. In diesem Jahr seien bereits 31 Palästinenser getötet worden. Die Menschen, darunter mehrere Jugendliche, starben in Zusammenhang mit Militäreinsätzen und eigenen Anschlägen.

Erst am Donnerstag waren bei einer Razzia israelischer Soldaten im Westjordanland neun Menschen getötet worden, darunter Mitglieder der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad. Es war einer der tödlichsten Militäreinsätze seit Jahren in dem palästinensischen Autonomiegebiet.

Der Regierungschef Benjamin Netanjahu forderte seine Landsleute erneut dazu auf, das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen, sondern die Armee, die Regierung und die Sicherheitskräfte ihre Arbeit machen zu lassen. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hatte zuvor verlangt, Bürger „besser zu bewaffnen, um solche Anschläge zu vermeiden“. Ben-Gvir gilt als politischer Brandstifter und wurde bereits wegen rassistischer Hetze und Unterstützung einer jüdischen Terrororganisation verurteilt.

Gegen die neue ultrarechte Regierung und ihre geplante Reformen im Justizsystem protestierten am Samstagabend Medienberichten zufolge wieder Zehntausende Menschen im ganzen Land. Demonstranten zündeten dabei zum Gedenken an die Terror-Opfer Kerzen an. Zudem hielten sie eine Schweigeminute für die Getöteten. Einige Beobachter warnen angesichts der geplanten Reform vor einem Ende der israelischen Demokratie.

Chronologie der Eskalation

Donnerstag, 26. Januar: Razzia der israelischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin im Norden des Westjordanlands, bei der neun Palästinenser getötet wurden. Es war nach UN-Angaben die höchste Opferzahl bei einem einzigen israelischen Einsatz im Westjordanland seit dem Ende der Zweiten Intifada, dem Palästinenser-Aufstand von 2000 bis 2005.

Freitag, 27. Januar: Als Vergeltung wurden am Freitag aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel abgefeuert. Die meisten Raketen fing die israelische Armee jedoch mit ihrem Luftabwehrsystem ab. Als Reaktion auf die Raketenangriffe flog Israel seinerseits mehrere Luftangriffe gegen Stellungen der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen. Nach den Luftangriffen war bereits eine weitere Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern befürchtet worden.

Am Abend schießt ein Angreifer in einer israelischen Siedlung in Ost-Jerusalem auf Besucher einer Synagoge. Sieben Menschen sterben, mehrere werden verletzt. Es ist der tödlichste Anschlag in Jerusalem seit 2008. Der Attentäter wurde nach Angaben der Polizei auf der Flucht erschossen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, besuchten den Tatort noch am späten Freitagabend. Aus der Menge ringsum war nach Angaben von AFP-Journalisten der Ruf „Tod den Arabern“ zu hören. Nach dem Tatort-Besuch kündigte Netanjahu im Fernsehen an, dass das Sicherheitskabinett „sofortige Gegenmaßnahmen“ beschließen werde. Zugleich rief er zur Ruhe auf: Die Israelis sollten „das Recht nicht in die eigene Hand nehmen“. Verteidigungsminister Yoav Gallant brach eine private USA-Reise ab und kündigte an, „entschieden und mit aller Härte gegen den Terror“ vorzugehen.

Samstag, 28. Januar: Nach dem Anschlag vom Freitag nahm die israelische Polizei am Samstagmorgen eine Razzia im Viertel At-Tur vor, wo der mutmaßliche Täter gewohnt hatte. Sie nahm 42 Familienangehörige, Nachbarn und andere Personen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Attentäters fest. Am Vormittag kommt es zur weiteren Eskalationsstufe: Ein weiterer Schusswaffenanschlag mit zwei Schwerverletzten nahe der Jerusalemer Altstadt. Ob beide Angriffe in Zusammenhang standen, war zunächst unklar.

(kuz/felt/mzu/dpa/AFP)
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