Organisierte Banden am Werk Türkei nimmt Plünderer im Erdbebengebiet fest

Istanbul · Tage nach dem heftigen Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion häufen sich die Bericht über Plünderer, die sich die chaotische Situation zu Nutze machen. Derweil müssen viele Hilfskräfte ihre Arbeiten pausieren.

 Viele Städte in der Türkei liegen in Schutt und Asche. Plünderer machen sich diese Situation zu Nutze.

Viele Städte in der Türkei liegen in Schutt und Asche. Plünderer machen sich diese Situation zu Nutze.

Foto: dpa/Boris Roessler

Eine Woche nach dem schweren Erdbeben im Südosten der Türkei machen sich Plünderer den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Teilen des Katastrophengebietes zunutze: Supermärkte und Lastwagen mit Hilfsgütern werden ausgeraubt, wie türkische Medien berichten. Fast 50 Verdächtige wurden bisher verhaftet, die Armee schickt bewaffnete Patrouillen durch die Straßen zerstörter Städte, und Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigt ein entschiedenes Vorgehen der Behörden gegen Kriminelle an. Deutsche und österreichische Helfer unterbrachen wegen Sicherheitsbedenken die Suche nach Überlebenden und handelten sich damit schwere Vorwürfe des türkischen Innenministers Süleyman Soylu ein. Er warf den Europäern eine „Verleumdung“ der Türkei vor.

Das Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisation I.S.A.R. stellten am Samstag ihre Hilfe in der besonders schwer getroffenen Provinz Hatay ein. Zur Begründung verwiesen sie auf „tumultartige Szenen“ in der Gegend. Die Trauer weiche der Wut: Im Katastrophengebiet werden kaum noch Überlebende gefunden. Zudem werden Lebensmittel und Wasser mancherorts knapp.

Der Rettungstrupp des österreichischen Bundesheeres in Hatay unterbrach seine Rettungsarbeiten wegen „zunehmenden Aggressionen“ zwischen türkischen Gruppen. Dabei sollen auch Schüsse gefallen sein. Die Österreicher setzten am Samstagnachmittag ihre Arbeit unter dem Schutz der türkischen Armee fort, wie das Wiener Verteidigungsministerium mitteilte.

Fotos vom Isar Einsatz in der Türkei nach dem Erdbeben 2023
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So hilft das Team von Isar im Erdbebengebiet

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Foto: Isar

Der türkische Innenminister Soylu kritisierte die Arbeitsunterbrechung der Europäer scharf. Es sei eine Schande, wie die Türkei hier verleumdet werde, sagte er. Die Zahl der Sicherheitskräfte im Erdbebengebiet ist nach seinen Angaben im Vergleich zu normalen Zeiten mehr als verdoppelt worden: Demnach sind derzeit 70.000 Polizisten und 60.000 Soldaten der Gendarmerie im Einsatz; die Gendarmerie ist in ländlichen Gebieten der Türkei für Polizeiaufgaben zuständig.

Seit Tagen mehren sich Berichte über Plünderungen und Diebstähle in den zerstörten Städten des Katastrophengebietes. Manche Erdbebenopfer sagten, sie hätten sich in verlassenen Läden oder Supermärkten mit Wasser und Lebensmitteln versorgt, weil es keine andere Hilfe gegeben habe.

Nach Medienberichten sind jedoch immer häufiger organisierte Banden am Werk. Die Zeitung „Hürriyet“ meldete, die Polizei habe 20 Verdächtige festgenommen, die per Lastwagen aus der Nachbarprovinz Osmaniye nach Hatay gekommen seien, um dort zerstörte Häuser auszurauben. Videos in den sozialen Medien zeigten, wie Männer in Geschäfte eindrangen und Lebensmittel, große Haushaltsgeräte und sogar Kinderwagen stahlen. Andere sollen dabei beobachtet worden sein, wie sie Trümmer eingestürzter Häuser nach Verwertbarem durchsuchten. In einigen Fällen übten Passanten oder Opfer von Diebstählen Selbstjustiz und verprügelten die Verdächtigen.

Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, gegen 48 mutmaßliche Plünderer sei Haftbefehl erlassen worden. Das türkische Verteidigungsministerium veröffentlichte Videos von Soldaten in Kampfanzügen und Schnellfeuergewehren im Anschlag, die Haustrümmer bewachen und vor Banken, in zerstören Innenstädten und verwüsteten Basaren patrouillieren.

Die Berichte über die Plünderungen erhöhen den Druck auf Erdogan, weil sie bei vielen Türken den Eindruck verfestigen könnten, dass seine Regierung die Lage nach der Erdbebenkatastrophe nicht in den Griff bekommt. Zudem verstärken die Meldungen die Feindseligkeit gegenüber den syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Schon vor dem Erdbeben forderten viele Türken, die rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge nach Hause zu schicken. Im Erdbebengebiet entlang der syrischen Grenze leben hunderttausende Syrer, die jetzt für Raubüberfälle und Gewalt verantwortlich gemacht werden.

Der Vizevorsitzende des Fußball-Erstligisten Hatayspor aus Hatay, Ethem Sunar, sagte dem Fernsehsender Tele 1: „Hier herrscht Bürgerkrieg. Die Syrer haben mit Plünderungen begonnen.“ Der rechtspopulistische Politiker Ümit Özdag, der die sofortige Rückführung aller Syrer fordert, veröffentlichte ein Gespräch mit einem Türken im Erdbebengebiet, der nach eigenen Worten von Syrern ausgeraubt worden war. „Hörst du das, Erdogan?“ fragte Özdag in die Kamera.

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