Erdbeben in Syrien und der Türkei Das Baby aus dem Schutt von Dschandairis – Aja vorerst in Obhut ihres Arztes

Update | Dschandairis · Nach schweren Erdbeben in Syrien und der Türkei können Tausende Opfer nur tot geborgen werden. Doch im Nordwesten Syriens erlebten Angehörige einer umgekommenen Familie ein kleines Wunder.

 Das neugeborene Baby wird am 7. Februar 2023 in einer Klinik im syrischen Afrin medizinisch versorgt.

Das neugeborene Baby wird am 7. Februar 2023 in einer Klinik im syrischen Afrin medizinisch versorgt.

Foto: AFP/RAMI AL SAYED

Das Baby, das nach den verheerenden Erdbeben in Syrien unter Trümmern zur Welt gekommen ist, ist vorerst in der Obhut seines Arztes. „Meine Frau stillt die kleine Aja“, sagte der behandelnde Mediziner und Krankenhausleiter Attija Chalid der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. „Meine Priorität ist erstmal, dass sie gesund wird.“ Bislang sei unklar, wer das Kind später aufnehmen werde. Es habe Anfragen von entfernten Verwandten gegeben, konkret sei aber noch nichts. Die Entscheidung liege bei den Behörden. Den Großteil seiner engen Verwandtschaft hat das Mädchen laut dem Arzt, der selbst eine vier Monate alte Tochter und einen drei Jahre alten Sohn hat, verloren.

Es ist ein schrecklicher Start ins Leben und zugleich ein Wunder: Die kleine Aja ist aus den Trümmern eines Hauses gerettet worden und war durch die Nabelschnur noch mit ihrer durch die Katastrophe umgekommenen Mutter verbunden. Das neugeborene Mädchen ist die einzige Überlebende ihrer Familie. Auch ihr Vater, ihre drei Schwestern, ihr Bruder und ihre Tante konnten nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden.

Das vierstöckige Wohnhaus der Familie im Ort Dschandairis in der Region Afrin stürzte wegen des heftigen Erdbebens am Montag ein. Angehörige suchten daraufhin nach der verschütteten Familie. „Dann haben wir ein Geräusch gehört und wir gruben“, erzählt einer von ihnen, Chalil Sawadi, am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. „Wir haben Trümmer weggeräumt und diese Kleine gefunden, gelobt sei Gott.“

Erdbeben Türkei/Syrien: Die Bergungsarbeiten am Tag danach
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Schweres Erdbeben in der Türkei – Bergungsarbeiten und Hilfsgüter

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Foto: dpa/Anas Alkharboutli

Das Neugeborene war noch durch die Nabelschnur mit seiner Mutter verbunden, die es nun niemals kennenlernen wird. „Wir haben die Nabelschnur durchtrennt und mein Cousin hat das Baby ins Krankenhaus gebracht“, schildert Sawadi die wunderbare Rettung.

In Online-Netzwerken verbreitete sich ein Video, in dem ein Mann inmitten von Trümmern ein nacktes, mit Staub bedecktes Baby in die Höhe hält, an dessen Bauch noch der Rest seiner Nabelschnur hängt. Angesichts von Temperaturen um den Gefrierpunkt bringt jemand eine Decke, um das Neugeborene darin einzuwickeln. Das Baby wurde in ein Krankenhaus in der nahegelegenen Stadt Afrin gebracht.

Dort kam die Kleine in einen Inkubator und erhielt Infusionen mit Vitaminen. „Sie wurde mit vor Kälte starren Gliedern eingeliefert, ihr Blutdruck war gefallen“, sagt ihr Arzt Hani Maaruf AFP. „Wir haben erste Hilfe geleistet und ihr Infusionen gegeben, weil sie lange keine Milch bekommen hatte.“

Das Baby hat zwar Prellungen erlitten, aber der Zustand des 3175 Gramm schweren Neugeborenen sei stabil, sagt der Arzt. Nach seiner Einschätzung ist das Baby etwa sieben Stunden nach dem Erdbeben zur Welt gekommen.

Die Bergung der übrigen Familienmitglieder dauerte Stunden. Ihre Leichen wurden vor einem Nachbarhaus aneinandergereiht und mit Tüchern in unterschiedlichen Farben abgedeckt. Sawadi zählt die Namen der Verstorbenen auf und berichtet vom ohnehin schweren Schicksal der Familie, die aus ihrer Heimatregion fliehen musste.

Sie hatten wegen des Bürgerkriegs die instabile Region Deir Essor weiter im Osten in der Hoffnung verlassen, in Dschandairis, einem von türkischer Armee und pro-türkischen Rebellen kontrollierten Ort, in Sicherheit zu sein. Für viele Menschen wurde Dschandairis nun aber zur Todesfalle. Etwa 50 Gebäude stürzten dort ein.

Erdbeben Türkei/Syrien: Trauer, Leid und Zerstörung - bewegende Fotos
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Trauer, Leid und Zerstörung in türkisch-syrischem Grenzgebiet

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Foto: dpa/Khalil Hamra

Das Erdbeben der Stärke 7,8 hatte das türkisch-syrische Grenzgebiet am frühen Montagmorgen getroffen. In den beiden Ländern wurden bereits tausende Todesopfer geborgen.

Die Lage der Überlebenden in Syrien ist verzweifelt. Das Land ist ohnehin schon durch den 2011 begonnenen Bürgerkrieg gezeichnet und in Gebiete, die von der Regierung in Damaskus kontrolliert werden, und in von Rebellen beherrschte Territorien gespalten. Internationale Hilfe für die Erdbebenopfer auf der syrischen Seite der Grenze läuft daher sehr zögerlich an.

Die an den Bergungsarbeiten beteiligten Weißhelme mahnten am Dienstag dringende humanitäre Hilfe aus dem Ausland an. „Die Zeit drängt“, erklärte die Nichtregierungsorganisation. „Hunderte Menschen sind immer noch unter den Trümmern verschüttet.“

(mzu/AFP)
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