Hintergründe unklar Britisches Paar mit Nowitschok vergiftet - genauso wie die Skripals

Salisbury · Ein Mann und eine Frau kollabieren in einem Haus in Südengland. Bald folgt die schockierende Ursache: Sie wurden - wie die Skripals - durch das Nervengift Nowitschok schwerstkrank. Die Anwohner stehen unter Schock

 Neil Basu, Leiter der britischen Terrorismusbekämpung, informiert über den Stand der Ermittlungen.

Neil Basu, Leiter der britischen Terrorismusbekämpung, informiert über den Stand der Ermittlungen.

Foto: dpa/John Stillwell

Vier Monate nach dem Anschlag auf die Skripals in Südengland sind dort wieder ein Mann und eine Frau durch den Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Das teilte Scotland Yard am späten Mittwochabend mit. Das britische Paar liegt lebensbedrohlich erkrankt in derselben Klinik der Stadt Salisbury wie damals der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal (67) und seine Tochter Julia (33).

Bei den Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen 45-Jährigen und eine 44-Jährige aus der Region. Zunächst sei die Frau am Samstag kollabiert, später mussten die Ärzte auch den Mann ins Krankenhaus bringen. Der Sicherheitsrat der Regierung, das sogenannte Cobra-Komitee, tritt am Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen.

Es sei unklar, ob das Paar absichtlich als Ziel ausgewählt wurde, sagte Neil Basu von Scotland Yard am Abend vor Journalisten. Wissenschaftler müssten auch klären, ob das Gift mit der Substanz identisch sei, die bei den Skripals verwendet worden war. Unter dem Begriff Nowitschok läuft eine ganze Gruppe eines bestimmten Nervengifts.

Britische Medien hatten bereits spekuliert, dass das Paar möglicherweise unabsichtlich mit dem Gift in Berührung gekommen sein könnte, das beim Anschlag auf die Skripals verwendet worden war. Laut der Nachrichtenagentur Press Association prüfen die Ermittler den Verdacht einer sogenannten Kreuzkontamination. Der vor der Attacke auf die Skripals verwendete Behälter zur Aufbewahrung des Nervengifts sei bis heute nicht gefunden worden, sagte eine ranghohe Regierungsquelle der PA. Denkbar sei deshalb, dass das Paar mit demselben Gegenstand in Berührung gekommen sei.

Das Attentat auf die Skripals löste eine schwere internationale Krise aus. Großbritannien bezichtigte Russland, als Drahtzieher hinter der Tat zu stehen. Nowitschok war in der früheren Sowjetunion hergestellt worden. Zahlreiche westliche Staaten, auch Deutschland, wiesen Dutzende russische Diplomaten aus. Moskau reagierte mit ähnlichen Maßnahmen. Die Skripals leben inzwischen an einem unbekannten Ort.

Nach dem jüngsten Vorfall wurden einige Bereiche in Salisbury und in dem Wohnort des Paares, dem rund 13 Kilometer weiter nördlich gelegenen Amesbury, vorsichtshalber abgesperrt. Bewohner des Ortes reagierten verunsichert und forderten mehr Informationen von den Behörden. „Wir dürfen den Effekt nicht unterschätzen, der von der schockierenden Nachricht eines zweiten solch schweren Vorfalls binnen derart kurzer Zeit ausgeht“, warnte der Polizeichef der Grafschaft Wiltshire, Kier Pritchard, in der Nacht zum Donnerstag. Die Gesundheitsbehörde ging zunächst aber nicht von einer „bedeutenden Gesundheitsgefährdung“ für die Öffentlichkeit aus.

Das Paar soll unter anderem eine Veranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstag erkrankte. Die Beamten waren zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise verunreinigtes Heroin oder Crack-Kokain eingenommen haben könnten und sich daher im kritischen Zustand befinden.

Das Forschungslabor für Chemiewaffen im nahe gelegenen Porton Down wurde mit den Untersuchungen befasst. Dort war auch das Nervengift Nowitschok im Fall Skripal identifiziert worden. Unabhängige Untersuchungen der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigten damals das Ergebnis.

(wer/dpa/AFP)
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