Prozessauftakt gegen „El Chapo“ Anwalt macht Drogenboss zum Sündenbock

New York · Mindestens 33 Morde soll Joaquín "El Chapo" Guzmán in Auftrag gegeben oder selbst begangen haben. Sein Verteidiger zeichnet ein komplett anderes Bild. Und sorgt für Erstaunen im Gerichtssaal.

 Verteidiger Jeffrey Lichtman vor dem Justizgebäude in New York.

Verteidiger Jeffrey Lichtman vor dem Justizgebäude in New York.

Foto: dpa/Mary Altaffer

Mit einem Paukenschlag hat der US-Prozess gegen den mexikanischen Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán begonnen. In seinem Eröffnungsplädoyer erklärte der Anwalt des Angeklagten am Dienstag, Guzmáns Sinaloa-Kartell habe den scheidenden mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto und dessen Vorgänger Felipe Calderón bestochen. Verantwortlich dafür sei aber der flüchtige "wahre Boss" der Drogenbande, Ismael "El Mayo" Zambada. Die Staatsanwaltschaft wies die Angaben des Anwalts zurück, Guzmán habe nur eine kleine Rolle gespielt.

Zambada habe das Kartell kontrolliert und zahlreiche Menschen bestochen - darunter die "Spitze, den derzeitigen Präsidenten Mexikos und den vorherigen", sagte Strafverteidiger Jeffrey Lichtman vor dem Gericht in New York. "Mayo kann dafür sorgen, dass Menschen verhaftet werden und dass die mexikanische Armee und Polizei töten, wen er will."

Guzmán habe in Wirklichkeit keine Macht im Sinaloa-Kartell gehabt und "nichts kontrolliert", sagte Lichtman weiter. Sein Mandant sei lediglich der "Sündenbock". "Warum braucht die mexikanische Regierung einen Sündenbock? Weil sie zu viel Geld bekommt, indem sie von den Chefs der Drogenkartelle bestochen wird," sagte der Anwalt.

Ein Sprecher des scheidenden Präsidenten Peña Nieto wies die Bestechungsvorwürfe umgehend als "komplett falsch" zurück. Ebenso äußerte sich Ex-Präsident Calderón: Die Äußerungen des Anwalts seien "absolut falsch", schrieb der Präsident der Jahre 2006 bis 2012 im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Der 61-jährige Guzmán muss sich in New York unter anderem wegen Drogenschmuggels, Waffenhandels und Geldwäsche verantworten. Laut Anklage soll das mexikanische Sinaloa-Kartell unter seiner Führung zwischen 1989 und 2014 fast 155 Tonnen Kokain und große Mengen andere Drogen in die USA geschmuggelt haben.

"Geld, Drogen, Morde; eine gewaltige Drogenschmuggelorganisation. Darum geht es in diesem Prozess", sagte Staatsanwalt Adam Fels in seinem Eröffnungsplädoyer. Er werde nachweisen, dass "El Chapo" das Kartell über Jahrzehnte aufgebaut und geleitet hat. Der 61-Jährige habe eine "Privatarmee" mit hunderten Bewaffneten unterhalten. Mindestens 33 Morde soll er demnach in Auftrag gegeben oder selbst begangen haben.

Anhand von SMS, Aufzeichnungen und Briefen sollten die Geschworenen im Laufe des Prozesses erfahren, wie Guzmán "sein Drogenimperium" selbst beschrieb, kündigte Staatsanwalt Fels an.

Die US-Ankläger haben in jahrelanger Arbeit 300.000 Seiten Dokumente und mindestens 117.000 Audioaufnahmen zusammengetragen. Mexiko hatte Guzmán im Januar 2017 an die USA ausgeliefert, ihm droht lebenslange Haft.

Der auf rund vier Monate angesetzte Prozess findet unter extremen Sicherheitsvorkehrungen statt. Mehr als ein Dutzend Zeugen wurden ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen oder in besonders geschützten Haftanstalten untergebracht.

Die Eröffnungsplädoyers verzögerten sich, weil in letzter Minute zwei Geschworene ausgetauscht werden mussten. Eine "ängstliche und aufgewühlte" Geschworene legte ein ärztliches Attest vor, ein Mann machte finanzielle Probleme wegen des langen Verfahrens geltend.

Die zwölf Geschworenen in "El Chapos" Prozess waren am Mittwoch vergangener Woche nach tagelangen Beratungen bestimmt worden. Mehrere Kandidaten wurden von der Pflicht entbunden, weil sie um ihr Leben fürchteten. Ein Kandidat erlitt eine Panikattacke. Die Namen aller Geschworenen bleiben anonym. Die Geschworenen werden teilweise von der Außenwelt isoliert und jeden Verhandlungstag von bewaffneten Bundespolizisten zum Gericht begleitet.

(lukra/AFP)
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