USA "Einer der schlimmsten Pädophilen, die wir je gesehen haben"
Los Angeles · Erste Hinweise gab es schon 1969: Ein Lehrer an internationalen Schulen konnte Hunderte Jungen missbrauchen, weil die Kontrollen versagten.

Wie entdeckt man, ob ein Kind missbraucht wird?
Er war einer der beliebtesten Lehrer in der Welt der internationalen Schulen, unterrichtete die Kinder von Diplomaten, wohlhabenden Amerikanern und örtlichen Eliten. Er war engagiert, begleitete Klassenreisen an exotische Orte und brachte seinen Schülern vor dem Schlafen Milch und Kekse.
Aber das war nur die öffentliche Seite von William Vahey. Seine dunkle Seite kam ans Licht, nachdem eine Haushaltshilfe ihm einen USB-Stick gestohlen hatte. Darauf gespeichert: Beweise für wahrscheinlich hundertfachen Missbrauch in seiner 45 Jahre andauernden Karriere als Lehrer.
"Die Zahlen wachsen immer weiter"
"Er ist einer der schlimmsten Pädophilen, die wir je gesehen haben, wenn man allein die Zahlen betrachtet", erklärte die FBI-Agentin Shauna Dunlap. "Die Zahlen wachsen immer weiter. Es melden sich immer noch Menschen bei uns."
Die Entdeckung löste eine Krise an den betroffenen Schulen an. Eltern wurde mitgeteilt, dass ihre Kinder vielleicht zum Opfer wurden, während die Verwaltungen fieberhaft versuchen zu ermitteln, warum Vaheys Taten so lange unentdeckt blieben.
Aber offenbar wussten nicht einmal die Opfer, dass sie missbraucht wurden. In den Keksen, die ihr Lehrer ihnen brachte, waren Schlaftabletten versteckt. Die Jungen waren ohnmächtig, während Vahey sie berührte und Nacktfotos von ihnen machte.
Nach dem Verlust seines USB-Sticks versuchte Vahey in Nicaragua, sich das Leben zu nehmen. Er überlebte und unternahm einen zweiten Versuch. Im Alter von 64 Jahren starb der Lehrer schließlich an den Schnittwunden, die er sich selbst beibrachte. Zurück bleiben Hunderte ehemalige Schüler, die sich fragen, ob sie von dem Mann missbraucht wurden, dem sie vertrauten.
Es gab viele Gelegenheiten
In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele Gelegenheiten, Vahey als Pädophilen zu enttarnen. Einen ersten Hinweise lieferte eine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs in Kalifornien 1969.
Die betroffenen Jungen damals waren zwischen sieben und neun Jahre alt.
Vahey, damals 20, sagte der Polizei, er habe schon mit 14 angefangen, Jungen unsittlich zu berühren. Vahey wurde zu 90 Tagen Gefängnis und fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Er durfte aber schon im Januar 1972 das Land verlassen.
Eigentlich hätte Vahey als verurteilter Sexualstraftäter bei jedem Umzug seine neue Adresse bei den Behörden angeben müssen. Das tat er nicht, und die Polizei verfolgte die Sache nicht weiter.
Seine internationale Lehrtätigkeit begann an der Amerikanischen Schule in Teheran. Es war der erste in einer ganzen Reihe von Aufenthalten im Nahen Osten und Europa. Vahey unterrichtete Geschichte, Sozialkunde und verwandte Fächer im Libanon, in Spanien, dem Iran, Griechenland, Indonesien und Saudi-Arabien, meistens in den Klassenstufen sechs bis acht. Er war außerdem Basketball-Trainer und organisierte Klassenreisen nach Bahrain, in die Türkei und nach Afrika. Er heiratete und bekam zwei Söhne.
Fehlfunktion der Klimaanlage
Bei einem späteren Lehrauftrag in Venezuela kam es zu einem Zwischenfall: Während einer Klassenfahrt unter Vaheys Aufsicht mussten zwei Jungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sie waren in ihrem Hotelzimmer bewusstlos geworden, wie Eltern erklärten. Die Ursache dafür konnte nicht ermittelt werden, schließlich wurde vermutet, dass eine Fehlfunktion der Klimaanlage schuld sein könnte.
Sieben Jahre später lehrte Vahey an der Londoner Southbank International School mit ihren 350 Schülern aus 70 Ländern. Die Polizei hat erklärt, mindestens 60 bis 90 der Aufnahmen, die auf dem USB-Stick gefunden wurden, zeigten Schüler dieser Schule.
Der Vorsitzende der Schulverwaltung, Chris Woodhead, sagte der britischen Nachrichtenagentur PA, es habe eine Beschwerde gegen Vahey gegeben. Die Eltern des betroffenen Jungen hätten die Sache jedoch nicht weiter verfolgen wollen, weil sie davon ausgegangen seien, dass nichts Schlimmes passiert sei.
Die Haushaltshilfe, die den USB-Stick an sich genommen hatte, reichte ihn Anfang März an die Direktorin der Amerikanischen Schule in Nicaragua weiter, Gloria Doll. Sie fand darauf Fotos von bewusstlosen Jungen, viele im Alter zwischen zwölf und 14, die teilweise von Vahey berührt wurden.
"Darum mache ich das"
Doll stellte Vahey zur Rede, der laut FBI daraufhin erklärte, er habe den Jungen Schlaftabletten gegeben. "Ich bin als Junge missbraucht worden, darum mache ich das", sagte er. "Ich mache das schon mein ganzes Leben lang."
Vahey sagte außerdem, nachdem er den Verlust seines USB-Sticks bemerkt habe, habe er im November 100 Schlaftabletten genommen. Doll informierte einen Tag später die US-Botschaft in Managua, die wiederum die örtliche Polizei einschaltete. Die Beamten kamen jedoch zu spät, Vahey hatte das Land bereits verlassen.
Er ging nach Minnesota, wo Verwandte von ihm lebten. Er nahm sich ein Hotelzimmer und stach sich mit einem Messer in die Brust. In einem Abschiedsbrief entschuldigte er sich bei seiner Familie.
Schulbetreiber in der ganzen Welt überprüften nach der Entdeckung von Vaheys Taten ihre Personalpolitik und ihre Sicherheitsvorkehrungen.
Die Exekutivdirektorin des Rats der Internationalen Schulen, Jane Larsson, erklärte, man bemühe sich um strengere Vorschriften, damit Pädophile nicht ohne Kontrolle von Land zu Land ziehen könnten. "Wenn so etwas passiert, ist das für alle ein Schock und bewegt zum Handeln."
Vaheys Fall hat für einen der Männer, der damals als Neunjähriger in Kalifornien von ihm missbraucht wurde, schmerzhafte Erinnerungen wieder aufgewühlt. "Es beunruhigt mich, dass eine solche Person 45 Jahre lang ohne Kontrolle weitermachen konnte", sagte der Mann. "Ich denke, die Frage ist: Wie kann das System das zulassen?"