Flucht nach 450 Tagen Gefangenschaft Von Dschihadisten entführt – eine Kanadierin erzählt ihre Geschichte

Ouagadougou · 450 Tage lang wurde eine Kanadierin in Burkina Faso von islamischen Extremisten gefangen gehalten. Dann wagte sie die Flucht. Jetzt arbeitet sie das Erlebte auf – und erzählt ihre Geschichte.

 Edith Blais, die 37-jährige Kanadierin, die zusammen mit ihrem italienischen Begleiter von Dschihadisten gefangen genommen wurde.

Edith Blais, die 37-jährige Kanadierin, die zusammen mit ihrem italienischen Begleiter von Dschihadisten gefangen genommen wurde.

Foto: AP/Sara Maud

Fast eineinhalb Jahre nach ihrer Entführung durch islamische Extremisten in Burkina Faso riskierte Édith Blais ihr Leben, um zu entkommen. Andernfalls, so war sie sich sicher, würde sie nie mehr frei sein. „(Was du denkst, ist:) Entweder du bleibst dein ganzes Leben, wo du bist und stirbst dort, oder du versuchst etwas“, sagte Blais der Nachrichtenagentur AP im Vorfeld der Veröffentlichung ihres Buches „The Weight of Sand: My 450 Days Held Hostage in the Sahara“ (übersetzt etwa: „Das Gewicht von Sand: Meine 450 Tage als Geisel in der Sahara“).

Die 37-jährige Kanadierin und ihr italienischer Gefährte Luca Tacchetto waren im Dezember 2018 im Osten von Burkina Faso unterwegs und wollten über die Grenze ins benachbarte Benin, als Dschihadisten sie gefangen nahmen. Die Beiden wurden in der Wüste im nördlichen Mali festgehalten und machten sich nach 15 Monaten zu Fuß auf die Flucht in die Freiheit.

Wie Blais schildert, stopfte sie – um Zeit zu gewinnen – ihr Bett in der Form eines Körpers aus, so, als ob sie dort am Schlafen sei. Auch kam ihnen ein starker Wind zugute: Er verwischte ihre Fußabdrücke im Sand und machte es damit schwer für die Dschihadisten, sie zu verfolgen. Nach einem achtstündigen Fußmarsch erreichte das Duo eine Hauptstraße und hielt einen Lastwagen an, der sie dann zu einem Quartier der Vereinten Nationen brachte.

Frei zu sein sei unwirklich, schwer zu glauben gewesen, „es ist, als ob du noch in einem Albtraum steckst und nicht aufwachen kannst“, erzählt Blais. „Da sind so viele Emotionen, und dann hatte ich Angst um alle anderen, die zurückgeblieben waren, wir hatten Angst um die Italiener, fürchteten, dass sie für unsere Flucht bestraft werden könnten.“

Seit sechs Jahren haben Dschihadisten-Gruppen mit Verbindungen zur Terrororganisation Al-Kaida und der Terrorgruppe Islamischer Staat in der Sahelzone südlich der Sahara Geiselnahmen genutzt, um Lösegelder zu erpressen und damit ihre Operationen zu finanzieren. 25 Ausländer sind seit 2015 in dem Gebiet entführt worden und 10 von ihnen weiter gefangen, wie aus Statistiken der Organisation ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) hervorgeht. Blais und Tacchetto gelten als die einzigen westlichen Geiseln, die entkommen sind. Drei andere wurden getötet, drei von französischen und amerikanischen Kräften befreit und sieben freigelassen.

Zu den weiter Festgehaltenen zählt der französische Journalist Olivier Dubois, der im April im Norden von Mali entführt worden war. Unter den Freigelassenen sind eine 75-jährige französische humanitäre Helferin, zwei Italiener und ein prominenter malischer Politiker. Sie wurden im vergangenen Oktober im Austausch gegen fast 200 gefangene islamische Extremisten auf freien Fuß gesetzt.

In Burkina Faso hat die Gewalt durch Dschihadisten in den jüngsten Jahren stark zugenommen, Tausende Menschen kamen ums Leben und 1,4 Millionen wurden vertrieben. Zehn Auswanderer aus dem Ausland wurden entführt, und Konfliktexperten erwarten, dass die Geiselnahmen zunehmen werden, je länger die Kämpfe und die humanitäre Krise im Land andauern. Weitere Unruhen in Städten und Dörfern würden mehr internationale Aufmerksamkeit erfordern, „was wahrscheinlich zur Präsenz begehrter Entführungsopfer aus UN-Einrichtungen, Friedenstruppen und unter Journalisten führen wird“, sagt Laith Alkhouri vom Analyseunternehmen Intelonyx Intelligence Advisory.

Erhalten Entführungen von Ausländern in der Regel die größte Aufmerksamkeit, werden auch zahlreiche Einheimische von bewaffneten Islamisten gekidnappt, sei es zwecks Erpressung, Einschüchterung oder als Strafe, sagt Corinne Dufka, die bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch für Westafrika zuständig ist. Sie spricht von einem „schrecklichen Verbrechen mit aufsteigendem Trend“.

Blais sagt rückblickend, dass sie auf einer anderen Route gereist wäre, hätte sie sich im Vorfeld ihrer Tour im Osten von Burkina Faso besser über die Gefahrenlage in dem Gebiet informiert. Aber sogar als sie von den bewaffneten Dschihadisten gestellt worden sei, habe sie keine Entführung erwartet, sondern gedacht, dass sie ausgeraubt und getötet werde.

Ihre Entführer hätten sie nicht geschlagen oder gefoltert, aber die Monate in Gefangenschaft seien äußerst aufreibend gewesen – einsam in einer sengenden Wüste zu leben und zu versuchen, nicht über ihr Schicksal nachzudenken, schildert Blais. Yoga und das Schreiben von Gedichten – die sie vor den Dschihadisten versteckte – hätten ihr etwas Ruhe gebracht. Sie und Tacchetto seien während der meisten Zeit der Gefangenschaft getrennt gewesen und beide auf Geheiß der Extremisten zum Islam übergetreten. Nach ihrer Wiedervereinigung, sagt Blais, hätten sie sich zur Flucht entschlossen.

Sie vergebe den Entführern nicht, sagt die Kanadierin, aber sie sei sich dessen bewusst, dass die Männer Befehlen gefolgt seien, in der Überzeugung, dass sie das Richtige täten und ihnen ein besonderer Platz im Himmel gegeben werde. „Sie besitzen nichts, sie sind sehr arm, und sie verstehen nicht, dass es falsch ist, was sie tun. Ich möchte nicht hassen, und ich möchte nicht vergeben. Ich möchte es nur hinter mir lassen.“

(ala/dpa)
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