Ebola stürzt Westafrika ins Chaos Menschenjagd, Hunger, Anarchie

Nairobi · Die von Ebola heimgesuchten Länder in Westafrika stehen vor dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. In Sierra Leone liegen die Toten auf der Straße. In Liberia attackiert eine panische Menge einen Kranken. Die Behörden sind hoffnungslos überfordert.

Helfer schützen sich mit Skibrillen gegen Ebola
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Helfer schützen sich mit Skibrillen gegen Ebola

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Die afrikanischen Länder stehen im Kampf gegen Ebola mit dem Rücken zur Wand. Heute tagt die afrikanische Union in Nairobi. Die Länder wollen versuchen, eine Strategie gegen die Ausbreitung des tödlichen Virus zu finden. Weil die Menschen vielerorts aus Angst vor der Ansteckung nicht mehr auf die Felder zur Arbeit gehen, droht eine Versorgungskrise, schon ist von einer Hungersnot die Rede.

Wir groß die Verzweiflung ist, verdeutlichte am Wochenende eine Ankündigung der Regierung von Sierra Leone. Sie will eine dreitägige Ausgangssperre verhängen. In dem westafrikanischen Land sterben die Menschen auf der Straße, offenkundig weil viele Einwohner versuchten, die Krankheit zu verbergen.

"Drastische Mittel"

Die wichtigsten Fakten zu Ebola
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Foto: AP/Frederick Murphy

Die Ausgangssperre soll den Behörden ermöglichen, durch Kontrollen von Haus zu Haus die Fälle zu finden, die "von Angehörigen versteckt" worden seien, wie ein Regierungssprecher vermutet. Der Staat ergreift drastische Mittel, wie sie sonst nur in einer Diktatur vorstellbar sind. Niemand außer den Befugten soll sich mit Fahrzeugen oder zu Fuß auf der Straße fortbewegen dürfen.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert das Vorhaben scharf: Es mangele an erfahrenen Helfern für ein solches Screening, aber auch an Ebola-Zentren im Land, in denen aufgespürte Verdachtsfälle untersucht werden könnten.

Ein Landeskenner warnt vor Unruhen. "Viele Menschen leben von einem Tag zum anderen. Sie müssen aus dem Haus kommen, um sich ihr tägliches Brot zu verdienen", sagt Ordensbruder Lothar Wagner, der ein Familienzentrum in Freetown leitet.

Ähnlich alptraumhaft die Szenen, die ein Korrespondent der ARD aus Monrovia schildert, der Hauptstadt Liberias: Ein vermutlich infizierter Mann irrt über einen bevölkerten Marktplatz, schnell spricht sich herum, dass mitten unter ihnen jemand ist, der das Virus übertragen könnte, weil er sich übergeben muss oder anderweitig Körperflüssigkeiten verliert. Angst und Panik schlagen in Wut um, die Menge verfolgt den kranken Mann und umzingelt ihn. Erst als die Männer in Schutzanzügen anrücken und den Kranken wegschaffen, entspannt sich die Lage.

Aufnahmelager für Ebola-Kranke

Dass alles illustriert, wie sehr die Behörden die Kontrolle über die Kette der Ereignisse schon verloren haben. Teils fliehen Kranke aus Behandlungszentren, in diesem Fall soll der Infizierte sogar abgewiesen sein. Die Aufnahmelager für Ebola-Kranke — wegen Überfüllung geschlossen. Nur mit einfachsten Mitteln und hoffnungslos unterbesetzt setzen sich die Ärzte und Helfer vor Ort zur Wehr. Auf Bildern ist zu sehen, dass sie sich mit Skibrillen und Gartenhandschuhen gegen die Ansteckungsgefahr schützen.

Ebola-Patient in Hamburg gelandet
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Experten haben die Hoffnung, dass Westafrika aus eigener Kraft die Seuche in den Griff bekommen kann, schon aufgegeben. René Gottschalk etwa, Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes und Fachmann für Epidemien, fordert zur Bekämpfung von Ebola die Lieferung kompletter Krankenhäuser nach Westafrika. "Man muss ganze Hospitäler dort hinschaffen oder ein Hospitalschiff vor der Küste vor Anker gehen lassen", zitiert ihn die "Frankfurter Rundschau".

Jedes mobile Krankenhaus, das Europa habe, sei "1000 Mal besser als die afrikanischen Hospitäler. Wir müssten natürlich Personal mit runter schicken und Labore", sagte Gottschalk. "Mit unserer Schutzausrüstung hätte dieses Personal auch nichts zu fürchten. Dann könnte man das hinkriegen."

"Unglaubliche Anstrengung"

Eine "unglaubliche Anstrengung" sei erforderlich, sagte der Experte. "Diesen Ländern ist nur noch von außen zu helfen. Von selbst können sie das nicht." Die Weltgesundheitsorganisation habe zuletzt 20.000 Fälle prognostiziert, was bei einer Mortalitätsrate von 50 Prozent zu 10.000 Toten führen könne. "Ich glaube, dass es viel mehr sein werden", so Gottschalk.

US-Präsident Barack Obama hatte am Sonntag angekündigt, US-Soldaten als Ebola-Helfer in die betroffenen Länder zu entsenden. Die US-Streitkräfte würden unter anderem mit Quarantäne-Einheiten und Ausrüstung helfen, sagte Obama dem Sender NBC.

(pst)
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