Norrie May-Welby aus Australien Dieser Mensch hat kein Geschlecht

Für Gender-Forscher, die das Geschlecht für eine reine Erfindung unserer Kultur halten, ist Norrie May-Welby ein Paradefall: Er, beziehungsweise sie, ist weder Mann noch Frau. Und das nun auch hochoffiziell: Bei Behörden in Australien trägt sie die Geschlechtsbezeichnung: "unbestimmt".

Norrie ist weder Mann noch Frau
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Norrie ist weder Mann noch Frau. "Wenn mich die Leute ansehen und wenn ich dann sage, ich sei nicht Arthur oder Martha, dann sagen sie, "ja das verstehen wir". Ich bin beides. Ich bin keins von beidem. Ich bin ich", sagt die Australier/In.

Wer Norrie anschaut, gerät unwillkürlich ins Zweifeln. Auch rein optisch lässt sie sich weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zuordnen. Die Stimme ist hell, die Haare sind oben lang und an den Seiten kurz, ihre Kleidung erinnert an einen Paradiesvogel, aber bedient keine Stereotypen. Auf Youtube ist ein langes Interview mit ihr veröffentlicht, in dem sie sich über ihr Leben äußert.

Im Reisepass steht beim Geschlecht ein "x"

Vor zwei Jahren erreichte Norrie ein für sie wichtiges Ziel. Sie wurde die erste Australierin, in deren Reisepass bei Geschlecht nur ein "X" eingetragen ist, statt dem üblichen "M" für "männlich" oder "W" für "weiblich".

Nun ist die 52 Jahre alte ehemalige Beamtin einen Schritt weiter. Nach einem dreijährigen Rechtsstreit wurde sie im Juni zum ersten Bewohner in Australien, dessen Identitätsdokument sie als weder männlich noch weiblich ausweist. Dieses Dokument hat den Rang einer Geburtsurkunde und damit konnte Norrie bei ihrem Bankkonto oder Führerschein ihre Geschlechtsbezeichnung auf "unbestimmt" ändern.

Norrie bevorzugt notgedrungen "sie"

Geschlechtslosigkeit ist in unserer Welt bislang üblicherweise nicht vorgesehen. Weder auf Formularen noch in der Sprache. Norrie mit dem Pronomen "es" zu versehen, klänge abschätzig. Ein Mensch ist kein Neutrum. Norrie aber irgendwie doch. Die australischen Medien haben sich mit einem Kunstgriff beholfen. Aus den Pronomen "He" und "She" kreierten sie eigens für Norrie "Zie". Im Deutschen drängt sich Vergleichbares nicht wirklich auf. "Ser"? "Ier"? Es bleibt in erster Linie ein Fragezeichen.

Norrie selbst bevorzugt übrigens das Pronomen "sie", weshalb auch dieser Text darauf zurückgreift. Am liebsten nennt sie sich jedoch einfach Norrie.

Norrie war nicht von Geburt an geschlechtslos. Geboren wurde sie in Schottland als Junge. Mit einem Penis. Aber ohne die charakterlichen Züge, die Jungen sonst zugesprochen werden. Kein Interesse an Autos, Kämpfen oder Kraftmeierei, sondern Puppen, Schmuck und Schönheit.

Weder als Mann noch als Frau fand sie Frieden

Nach langem Ringen unterzog sie sich einer operativen Geschlechtsumwandlung. Aus dem Penis wurde mithilfe der Ärzte eine Vagina. Aber auch das brachte Norrie keinen inneren Frieden. Vor mehr als 20 Jahren hörte sie mit der weiterführenden Behandlung auf und stoppte die Hormonzufuhr, die sie mehr zu einer Frau machen würden.

Nach dem Gerichtsentscheid wird es in Australien wohl auch zu offiziellen Änderungen kommen. "Sie sind einfach dem wahren Leben gefolgt", sagt Norrie über die Entscheidung der Richter. Sie hofft, dass man irgendwann gar keine Kästchen über das Geschlecht mehr ankreuzen muss. Früher fanden sich in Pässen Angaben wie Berufsbezeichnung oder Religion. Alles Dinge, die sich im Lauf des Lebens des Passinhabers ändern können. Wie auch das Geschlecht.

Ihre Anwältin spricht von einem Durchbruch

Die Richter hätten erkannt, dass Sexualität nicht nur eine rein biologische Dimension habe, sagt Norries Anwältin Emily Christie. "Es ist ein Durchbruch", zum ersten Mal sei anerkannt worden, das Geschlecht mehr sei, als männlich oder weiblich zu sein. "Das ist die Realität, in der wir leben."

Die Entscheidung hat Auswirkungen auf das tägliche Leben: Norrie kann nun darauf bestehen, dass ihrem Wunsch nach einer nicht-geschlechtsdefinierten Kategorie stattgegeben wird.

"Ich hab das jetzt schriftlich. Es ist nicht etwas, dass ich mir nur einbilde. Wenn man nun sagt, man müsse das eine oder andere sein, bin ich der lebende Beweis für das Gegenteil."

Ein Chef schickte sie zur Behindertentoilette

Die sexuelle Identität und das Geschlecht einer Person stimmten nicht zwingend überein, sagt Generalstaatsanwalt Mark Dreyfus. Ein Mensch unbestimmten Geschlechts sei jemand, dessen biologisches Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden könne oder jemand, der sich als weder männlich noch weiblich bezeichne.

Vor dreißig Jahren machte einmal ein Büroleiter nach Angaben Norries genaue Notizen, welche Kleidung und Frisur sie trug. Sie habe weder die Herren- noch die Damentoilette benutzen dürfen. "Ich sollte die Behindertentoilette benutzen. Das kam mir nicht richtig vor." Nach zwei Wochen hatte sie gekündigt.

Das Kästchen mit dem "X" sei eine Option für transsexuelle Menschen, und nicht verpflichtend, das habe das Gericht klar gemacht, sagt Anwältin Christie. "Das ist keine Kategorie, die Menschen wählen müssen." Norrie ist zufrieden damit, als geschlechtslos oder androgyn zu gelten. "So bin ich." Sie habe alle Geschlechter ausprobiert, und keines habe zu ihr gepasst.

(dpa)
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