Massenausbruch in Kandahar Die Taliban feiern ihren Coup

Kabul (RPO). Für die Verantwortlichen ist es ein Schlag ins Gesicht. Nicht weniger als 475 Häftlinge sind aus einem Gefängnis im südafghanischen Kandahar entkommen, darunter etliche Führungsfiguren der Taliban. Monatelang hatten deren Helfer einen Tunnel gegraben. Niemand hat etwas bemerkt. Die Regierung Karsai reagiert entsetzt. Die Taliban hingegen erzählen bereitwillig, wie der Coup gelingen konnte.

2011: Massenausbruch in Kandahar
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Foto: AP

Die Fakten vom Montag lassen kein gutes Licht auf die Behörden und die Verlässlichkeit der afghanischen Institutionen fallen. Bei der spektakulären Massenflucht sind rund 475 Häftlinge aus einem Gefängnis der südafghanischen Stadt Kandahar entkommen, darunter viele Taliban-Kämpfer. Sie flohen durch einen 320 Meter langen Tunnel, der von außen zu ihren Zellen gegraben worden sei, sagte Taliban-Sprecher Sabjullah Mudschahid am Montag. Ein Sprecher von Präsident Hamid Karsai, Wahid Omar, reagierte fassungslos: "Das ist ein Schlag."

"Ein Gefängnisausbruch dieser Größenordnung zeigt immer auf eine Schwachstelle", fügte Omar hinzu. In die Details wollte er mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht gehen.

100 Taliban-Kommandeure auf freiem Fuß

Nach einer gewaltsamen Befreiungsaktion der Taliban vor drei Jahren - damals entkamen 900 Gefangene - wurden die Sicherheitsvorkehrungen für das auf 1200 Häftlinge ausgelegte Gefängnis Sarpossa erhöht. Allerdings nur äußerlich, wie aus Kabuler Regierungskreisen verlautete. Im Inneren habe es diese Fortschritte nicht gegeben.

Nach Mudschahids Angaben entkamen am Sonntagabend mehr als 500 Häftlinge, rund 100 davon Taliban-Kommandeure. Ein anderer Taliban-Sprecher, Kari Jussef Ahmadi, sagte, bei vier der Entkommenen handele es sich um Führer der Aufständischen auf Provinzebene. Fünf Monate hätten Taliban an dem Tunnel gearbeitet, Kontrollpunkte und Hauptstraßen seien gemieden worden.

Der Gouverneur der Provinz Kandahar, Turjalai Wessa, sprach von mindestens 475 geflohenen Häftlingen. Eine Großfahndung sei eingeleitet "und einige der Gefangenen sind bereits wieder festgenommen worden", sagte er. Auf die Frage, wie ein 320 Meter langer Tunnel von außen zu den Gefängniszellen gegraben werden konnte, ohne das etwas bemerkt wurde, sagte er nur, die Ermittlungen liefen. Omar sagte, bis Mittag seien 13 Häftlinge wieder eingefangen worden.

Nur wenige Eingeweihte

Die Taliban-Sprecher gaben bereitwillig Auskunft über den Coup. Weniger als eine Handvoll Gefangener sei vorab von der Befreiungsaktion informiert worden, sagte Mudschahid. Diese hätten die anderen in den Tunnel geleitet. Ein Mann, der nach Angaben der Taliban-Sprecher zu den Eingeweihten gehörte, sagte, dieser kleine Kreis habe auch nachgemachte Schlüssel für die Gefängniszellen erhalten. "Vier oder fünf von uns wussten, dass unsere Freunde einen Tunnel von draußen graben", sagte der Mann namens Mohammed Abdullah. "Einige unserer Freunde halfen uns, indem sie uns Schlüsselkopien beschafften. Als die Zeit in der Nacht gekommen war, konnten wir die Türen für unsere Freunde in den Zellen öffnen."

Die Gefangenen seien dann in Gruppen von vier bis fünf Mann nach und nach in den Tunnel geschickt worden. Dreieinhalb Stunden habe es gedauert, bis der letzte unbemerkt entkommen sei. Die Häftlinge seien draußen von Taliban empfangen und in einer Art Shuttle-Dienst an sichere Orte gebracht worden.

Die Taliban änderten die Taktik

Vor drei Jahren hatten die Taliban eine andere Taktik gewählt: Dutzende Angreifer auf Motorrädern und zwei Selbstmordattentäter griffen das Gefängnis an. Einer der Selbstmordattentäter sprengte sich mit einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen am Gefängnistor in die Luft und ein zweiter sprengte einen Fluchtweg durch eine Mauer frei. Unter den 900 entkommenen Häftlingen waren 400 Taliban-Kämpfer.

Mindestens sieben Menschen wurden am Samstag und Sonntag bei Anschlägen und Kämpfen im Süden Afghanistans getötet worden. Darunter befanden sich drei NATO-Soldaten, ein führendes Mitglied des Friedensrats der Provinz Helmand und drei Führer einer Rebellengruppe, wie NATO und afghanische Behörden am Sonntag mitteilten.

(apd/pst)
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