Geschichte Die dunklen Dämonen des Marquis de Sade

Paris · Vor 200 Jahren starb in einer Irrenanstalt der legendäre französische Aristokrat, Autor, Theaterfreak, Psychopath und Sodomit: Marquis de Sade.

Zu Lebzeiten galt er als fies und gefährlich, später wurden seine Ideen bei Intellektuellen chic - und heutzutage beginnt es chic zu werden, ihn wieder fies und furchterregend zu finden. An Marquis de Sade scheiden sich nicht nur die Geister, sie wandeln sich auch. Und so ist es selbst zu seinem 200. Todestag noch schwer genug zu sagen, was der französische Adelige eigentlich ist - nur ein Schriftsteller und Theaterfreak? Ein kaltblütiger Menschenforscher? Oder doch ein Psychopath, Mädchenschänder, Sodomit und unheilbarer Wüstling? Es gibt viele Etiketten für den Fürsten dunkler und perverser Obsessionen. Die Krone setzte ihm aber der Schriftsteller Guilleaume Apollinaire auf, der de Sade als "göttlichen Marquis" verehrte.

Verschweigen kann man einen der verstörendsten Männer des 18. Jahrhunderts darum nicht. Der seine sexuelle Brutalität in Romanen wie "Justine", "Juliette" und "Die 120 Tage von Sodom" nicht nur literarisch beschwor, sondern sie auch auslebte. Fast scheint es, als wollte de Sade mit seinem Leben auch sein Werk beglaubigen und Wirklichkeit werden lassen - und das in aller Besessenheit und mit vollem Risiko. 1772 wird er erstmals zum Tode verurteilt, nachdem Prostituierte ihn verklagt haben, von ihm mit Aphrodisiaka beinahe vergiftet und zum Gruppensex gefügig gemacht worden zu sein. De Sade haut ab, reist unter anderem nach Italien, vertreibt sich die Zeit in Venedig. Doch seine Schwiegermutter will sich damit nicht abfinden und erwirkt einen königlichen Haftbefehl. 1777, als er zum Begräbnis seiner Mutter nach Paris kommt, wird er geschnappt und in Ketten gelegt.

Die Zeit ist auf seiner Seite, genauer: die Revolution. Als das Volk 1789 die Bastille erstürmt, gelangt der Marquis wieder in die Freiheit. Zuvor hatte er noch die aufgebrachten Revolutionäre vom Dach des Pariser Stadtgefängnisses munter angefeuert. Dafür nutzte er ein Toilettenrohr als eine Art Megaphon. Es bleiben ihm noch ein paar Jahre in Freiheit als inzwischen mittelloser Skandalautor und Skandalbürger. Bis er 1803 unter der Regentschaft und wohl auch auf Betreiben Napoleons erneut verhaftet wird und bis zu seinem Lebensende 1814 der Öffentlichkeit entzogen bleibt. Was seine Familie noch für ihn tun kann, ist, das Leben hinter Mauern etwas erträglicher zu gestalten. Das war damals die Verlegung nach Charenton, die Irrenanstalt.

Dort wird er weiter schreiben und praktisch zum eigenen Vergnügen neue zynische Menschenstudien betreiben: indem er mit den Insassen Theaterstücke in Szene setzt. Auch dieses letzte Schauspiel hatte das Zeug zu einem weiteren Schauspiel. Peter Weiss schrieb Anfang der 1960er Jahre ein Drama über die Ermordung des Revolutionsführers Marat, dargestellt von den Irren aus Charenton "unter Anleitung des Herrn de Sade".

Sicher, mit dem wahnhaften Marquis lässt sich auch inspiriert umgehen. Sigmund Freud untersuchte den Sadismus für seine Theorien zum Lust- und Todestrieb; die Surrealisten griffen sein obskures Denken spielerisch auf und feierten ihn als "heiliges Monster". Als philosophischer Stichwortgeber diente er auch im Kontext des aufkommenden Feminismus Simone de Beauvoir und Susan Sontag, Albert Camus und Roland Barthes.

Es ist heute wieder etwas stiller um ihn geworden, vor allem kritischer: als eine Figur der Anti-Ethik, die fortwährend alle gesellschaftlichen Konventionen lustvoll und mitleidlos übersteigt. Mit den sexuellen Gewaltexzessen ist Marquis de Sade eine fortwährende Provokation geblieben. Ihn aber als Monster im wahren Sinne des Wortes zu verteufeln, hieße, ihn zu verharmlosen. Denn der Ästhet des Bösen war auch ein Kind seiner Zeiten - des frivolen Ancien Régime wie auch später der Aufklärung. Weil seine ethischen Grenzverletzungen Laborversuchen mit Menschen ähneln, ausgeführt mit aller Kühle und demütigender Skrupellosigkeit. Diese Haltung kennt Nachfolger: Marquis de Sade wird auch als ein Prophet des Grauens von Auschwitz gesehen.

Dazu gehört sein aggressiver Atheismus, seine Lust an der Blasphemie etwa durch die Schändung von Hostien. Seine Welt war eine durch und durch nihilistische, in der sich der Mensch selbst zum Schöpfer erkoren hatte.

(RP)
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