Wiederbelebung des Tourismus Wie Touristen von Soldaten durch den Niger eskortiert werden
Niger · Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, hofft auf die Wiederbelebung des Tourismus. Nach über 15 Jahren können sich nun wieder Besucher quer durch das Land bewegen – eskortiert von schwerbewaffneten Soldaten. Unsere Autorin war bei der Pionierreise mit dabei.
Die legendäre Ténéré-Wüste, das landschaftlich wunderschöne Aïr-Gebirge, die Salzkarawanen, das Nomadenleben der Tuareg, die historische Stadt Agadez mit ihrer Lehm-Moschee: All dies konnten Reisende zuletzt vor 15 bis 20 Jahren noch mit eigenen Augen erleben. Erst jetzt konnte sich eine Pioniergruppe mit 26 deutschen und zwei Touristen aus der Schweiz erstmals wieder durch den Niger bewegen. Die von Desert-Reisen Frankfurt organisierte Pilottour wurde allerdings von 52 Soldaten, bewaffnet mit Kalaschnikows und Maschinengewehren, begleitet. Darauf hatte die Regierung des Niger bestanden, denn es gibt immer noch Überfälle von islamistischen und kriminellen Banden. Der Niger gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Er verfügt zwar über beachtliche Uranvorkommen, die aber größtenteils von Frankreich ausgebeutet werden. Nach den Besuchen von Außenministerin Annalena Baerbock und von Bundeskanzler Olaf Scholz im Niger und den anschließenden Zusagen für weitere Hilfsgelder aus Deutschland hofft der Niger nun auch auf das Wiedererwachen des Tourismus.
Abdelkader Touhami, der vor 25 Jahren Desert-Reisen gegründet hat, begleitete die Pionierreise durch den Niger. Auf den Bericht des gebürtigen südalgerischen Tuareg wartete indes die Reisebranche in Deutschland und den Nachbarländern. Bis auf sehr kleine Einzelgruppen aus Frankreich war bislang noch niemand wieder durch das gesamte Land gereist. Durch die Auflage, im Konvoi mit dem Militär zu fahren, zog sich nun ein Bandwurm durch den Niger mit insgesamt fast 100 Menschen und annähernd 20 Fahrzeugen. Touhami plant allerdings nur noch kleinere Gruppen für seine nächsten beiden, bereits fast ausgebuchten Niger-Reisen, um die vorgeschriebene Militärbegleitung minimieren zu können.
Äußerste Wachsamkeit zeigten die nigrischen Berufssoldaten vor allem in den Nächten unter freiem Wüstenhimmel, allerdings auch die nötige Diskretion. Schließlich schliefen einige Wüstenfans auch wieder im Freien auf Matten, andere bauten Zelte auf. Zu den Widrigkeiten der Reise gehörte auch der Ausfall der geplanten Flüge aus der Hauptstadt Niamey nach Agadez und zurück. Denn die einzige Maschine auf dieser Strecke, eine uralte Fokker, ist von der Nationalen Agentur für Zivilluftfahrt stillgelegt worden.
So muss nach Agadez als Ausgangs- und Zielort für den Rundkurs durch die Ténéré und das Aïr-Gebirge jeweils eine zweitägige Busfahrt mit einer Zwischenübernachtung eingeplant werden. Der Vorteil: Es gibt unterwegs viel zu sehen, kleine Städte, Märkte, Dörfer mit Häusern und Hirsespeichern aus Lehm. Die meisten Menschen reagieren erstaunt, aber auch freundlich auf die Reisenden, winken ihnen zu, lassen sich fotografieren und zücken ihrerseits die oft sehr modernen Handys, um die Fremden abzulichten. Der Fortschritt, der im Niger noch in weiter Ferne scheint, macht sich markant nur an den Mobiltelefonen, dem entsprechenden Netz und an den stinkenden, knatternden Mopeds fest. Statt auf Kamelen oder Eseln zu reiten, geben viele Jünglinge im Niger ihre spärlichen Einnahmen lieber für ein Krad aus.
Dennoch ist der Flüchtlingsstrom groß. Bei der Rast an einem Brunnen stößt die deutsche Reisegruppe auch auf einen Lkw mit Flüchtlingen, eng gedrängt oben auf der Ladung sitzend. Viele von ihnen werden höchstwahrscheinlich nur bis Agadez kommen und dort stranden, wie etliche Flüchtlinge zuvor. Andere erreichen möglicherweise noch das Mittelmeer und riskieren zu ertrinken. Deshalb soll die finanzielle Unterstützung durch Deutschland auch dazu beitragen, die Lebensbedingungen im Niger so zu verbessern, dass viele junge Menschen nicht mehr die Flucht als einzige, zudem sehr fragwürdige Zukunft sehen.
Die jahrzehntelange Isolation wegen der politisch mehr als instabilen Lage hat im Niger aber auch dazu beigetragen, dass der Reisende anders als in benachbarten Wüstenländern noch das ursprüngliche Nomaden- und Dorfleben vorfindet. Ziegen- und Schafherden, gut gepflegte Kamele, Esel und Rinder sind entlang der Strecke im Sahelbereich und teils in der Wüste anzutreffen. Tatsächlich gibt es auch noch Salzkarawanen, hauptsächlich aus dem legendären Bilma. Dort wird immer noch mit der Hacke das Salz aus den Salinen in mühevoller Arbeit abgeschlagen, zu Zylindern und Tellern geformt, am Lagerplatz von den Karawanen aufgenommen.
Die Nomaden bieten den Reisenden Käse aus der Milch ihrer Ziegen, ein Schaf und eine Ziege an. So fährt ein Zicklein einen ganzen Tag mit auf einem Pick-up der Soldaten, bis es geschlachtet und verspeist wird. Aber auch „Fleischverächter“ werden auf dieser Reise bestens versorgt mit frischem Salat, Gemüse und Obst aus den Oasen. Kurz nach der Regenzeit, die im Oktober geendet hat, sind sogar Orangen, Mandarinen und Pampelmusen in Oasengärten erntereif: Ein Genuss nach all dem Sand und Staub, den der lange Konvoi bei seiner Reise durchs Land aufgewirbelt hat. Für die einheimischen Tuareg hingegen sind Gemüse und Salat nur „Ziegenfutter“.
Niger ist auch das Land, in dem in der Vergangenheit der beste und ursprünglichste Tuareg-Silberschmuck gearbeitet und in die Nachbarländer exportiert wurde. Und es gibt ihn noch, wie die Reisegruppe feststellt. Fein gearbeitete Silberschmuckstücke und Lederarbeiten haben die Zeit überdauert und werden mittlerweile auch wieder neu angefertigt. Dazu haben sich Kooperativen gegründet, die ihre Schmuckverkäufer nach Europa zu Afrikafesten schicken und so das Ausbleiben des Tourismus im eigenen Land kompensiert haben.
Eine regelrechte Legende ist die Ténéré unter den Wüstenliebhabern. Und sie ist nicht nur flach – das Vorurteil wird schnell widerlegt. Der sogenannte L‘arbre de Ténéré (Baum der Wüste) ist zwar nur noch ein hässliches Metallgerüst, nachdem der echte Baum angeblich überfahren worden sein soll. Aber er ist eine ebensolche Reiselegende, die man einmal im Leben gesehen haben will, wie etwa die sagenhafte Goldstadt Timbuktu.
Die Ténéré ist vielmehr auch eine ganz besondere Dünenlandschaft, sicherlich mit dem Höhepunkt eines Nachtlagers an der Arakao („Krabbenschere“) mit Sonnenunter- und aufgang. In einen krabbenscheren-förmigen Vulkan hat sich der Sand in eine Ebene eingebettet und dazu Dünen aufgeworfen, die in ihren ungewöhnlichen Formen einzigartig sind. Die Schönheit und Vielfältigkeit der Landschaft, die urtümliche Lebensweise der Menschen rechtfertigen letztlich die Widrigkeiten einer militärbegleiteten Reise. Denn der Niger ist und war für Wüstenliebhaber immer noch das absolute Traumziel.