Nahost-Konflikt Der neue alte Krieg

Jerusalem · Israel bombardiert nach den Angriffen der Hamas deren „Metro“ genannten Tunnelsysteme. In israelischen Städten eskaliert die Gewalt.

 Ein israelischer Panzer im Süden des Landes, an der Grenze zum Gazastreifen.

Ein israelischer Panzer im Süden des Landes, an der Grenze zum Gazastreifen.

Foto: AFP/MENAHEM KAHANA

Die Gewalt nimmt kein Ende. Die meisten Experten hatten erwartet, dass die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen nur kurz anhalten würde. Doch sie setzte sich auch am fünften Tag nach dem Ausbruch fort. Am Freitag lehnte Israel erneut ein Angebot Ägyptens zur Vermittlung einer Feuerpause im Gaza-Konflikt ab.

Etwa 160 Flugzeuge gleichzeitig bombardierten in der Nacht auf Freitag die sogenannte Metro der Hamas, das Tunnelsystem, das von der Terrorgruppe im Norden des Gazastreifens gegraben worden ist. Laut dem israelischen Militär war dies der größte israelische Angriff seit dem Ausbruch der Kämpfe am Montag, nachdem die Hamas bei Ablauf eines Ultimatums den Raketenbeschuss auf israelisches Gebiet begonnen hatte.

Die am Donnerstag verbreitete Meldung, dass Bodentruppen in Gaza einmarschieren, stellte sich kurz danach als falsch heraus. Eine Aussage des Armeesprechers war offensichtlich bei einer Pressekonferenz missverstanden worden.

Laut Medienberichten soll die Anzahl der bei den israelischen Angriffen Getöteten bei 119 liegen, unter ihnen viele führende Köpfe der Hamas und des Islamischen Dschihad, jedoch auch zahlreiche Zivilisten, unter ihnen auch Kinder. Auch der Beschuss von israelischem Gebiet mit Raketen setzte sich fort. Einige davon fielen wieder auf das zentrale Israel, doch vor allem die an Gaza angrenzenden Städte wurden heftig beschossen. Die Beerdigung eines bei den Raketenangriffen getöteten Jungen wurde durch weiteren Beschuss unterbrochen. Die Zahl der Todesopfer auf israelischer Seite lag zuletzt bei sieben.

Ein neues Phänomen, das Israel zusätzlich erschüttert, ist der Eintritt der jungen Generation frustrierter palästinensischer Israelis in den Konflikt. Bei vergangenen Gewaltausbrüchen zwischen Israel auf der einen und den Palästinensern auf der anderen Seite hatten diese sich eher zurückgehalten. Nun quellen die Live-Nachrichten über von Gewaltakten, die vor allem in den jüdisch-arabisch gemischten Städten in Israel verübt werden – sowohl von palästinensischen, zumeist jungen Männern auf der einen Seite und jüdischen Gruppierungen wie der organisierten Siedlerjugend, der ultrarechten Organisation Lehava und der rechtsextremen Hooligangruppe La Familia.

Die Vorfälle der vergangenen Tage und Nächte lassen sich nur beispielhaft behandeln. Am Donnerstag wurde eine jüdisch-israelische Familie mit kleinen Kindern in der arabischen Stadt Umm el Fahm von einem Mob palästinensischer Israelis angegriffen. Anwohner verhalfen ihnen zur Flucht zu einem Krankenwagen. Ebenfalls am Donnerstag griff ein rechter Mob junger jüdischer Männer einen Journalisten im Süden Tel Avivs an.

Per Live-Schaltung war der Fernsehsender Channel 11 am Mittwochabend dabei, als in Bat Jam, einem Vorort von Tel Aviv, ein Mob von ultrarechten jüdischen Hooligans, offenbar Mitglieder der Jerusalemer Fußball-Gruppe La Familia, einen 33-jährigen Araber aus seinem Auto zerrte und auf ihn einschlug, bis er sich nicht mehr bewegte. Im von sozialen Problemen geprägten Lod gingen in der gleichen Nacht drei Synagogen in Flammen auf. Im Gegenzug wurde ein muslimischer Friedhof geschändet.

In der Nacht zuvor war dort ein palästinensischer Israeli von einem jüdischen Anwohner erschossen worden. Der Getötete hatte offenbar zuvor gemeinsam mit einer Gruppe anderer junger palästinensischer Israelis Steine geworfen und Mülltonnen angezündet. Der Minister für innere Sicherheit, Amir Ohana von der Likudpartei, solidarisierte sich mit dem jüdischen Anwohner. „Gesetzestreue Bürger, die Waffen tragen, verdoppeln die Kraft der Behörden, Bedrohung und Gefahr sofort zu neutralisieren“, sagte Ohana. Die Juden hätten in einem Akt der Selbstverteidigung gehandelt, twitterte er.

Ursprünglich hatten die Proteste der palästinensischen Israelis als eine Reaktion auf eine Entscheidung der israelischen Polizei begonnen. Diese hatte zum muslimischen Fastenmonat Ramadan die Stufen vor dem Damaskustor in Ostjerusalem abgesperrt und damit den jungen Muslimen Ostjerusalems ihren traditionellen abendlichen Treffpunkt genommen. Befeuert wurde die Wut durch die Absage der Wahlen im palästinensischen Autonomiegebiet, für die viele Palästinenser Israel verantwortlich machen. Im nur etwa einen Kilometer von der Altstadt entfernten Scheich Dscharrah drohen palästinensischen Familien außerdem Zwangsräumungen.

Die Hamas witterte ihre Chance, auf die neue Protestbewegung aufzuspringen, und befeuerte die Proteste in den sozialen Medien – bis sie schließlich, kurz nachdem die israelische Polizei am Montag den Tempelberg gestürmt hatte, am Montagabend die ersten Raketen abschoss.

Der Gazastreifen (l.) umfasst mehrere ­Städte und ist Teil  der Palästi­nensischen Autonomie­gebiete.

Der Gazastreifen (l.) umfasst mehrere ­Städte und ist Teil der Palästi­nensischen Autonomie­gebiete.

Foto: grafik

Auch innenpolitisch hat die jetzige Runde der Gewalt weitreichende Auswirkungen. Die Regierungskoalition, in der unter dem bisherigen Oppositionsführer Jair Lapid mit seiner Zukunftspartei der ganz große Spagat zwischen den rechten Siedlern und der islamisch-konservativen Partei Ra’am geschlagen werden sollte, war laut Medienberichten quasi schon in trockenen Tüchern. Angesichts der Beteiligung einer arabischen Partei ließ das Hoffnung auf einen politischen Wandel aufkommen. Doch am Donnerstagabend schwenkte Naftali Bennett von der Siedlerpartei Jamina um und erteilte einer Einheitsregierung unter seiner Beteiligung angesichts der jüngsten Ereignisse eine Absage. Auch dieser Plan wurde, zumindest bis zur wahrscheinlichen Neuwahl, von der derzeitigen Eskalation zunichte gemacht.

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