Johannes Paul II. Der berühmteste Pole

Warschau (RP). In seinem Heimatland, das er in seiner Amtszeit neunmal besucht hat, ist Johannes Paul II. immer noch Kult. Fast jeder dritte Pole verehrt den Papst und bittet in Gebeten um seine Hilfe.

Mai 2011: Die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II.
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Mai 2011: Die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II.

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Der polnische Formel-1-Pilot Robert Kubica rast Anfang Februar 2011 bei einer Rallye in Italien gegen eine Mauer. Die Feuerwehr muss ihn aus dem Wagen schneiden. Seine rechte Hand ist zertrümmert, Amputation droht. Siebeneinhalb Stunden operieren die Ärzte im Krankenhaus von Pietra Ligure, um den Arm zu retten. Als Kubica nach der Operation wieder zu sich kommt, hat er einen Wunsch: Er bittet um ein Bild von Papst Johannes Paul II. Der gebürtige Krakauer und einmalige Grand-Prix-Sieger erhofft sich davon Kraft beim Gebet.

So wie Robert Kubica halten es viele seiner Landsleute: Eine Umfrage zeigt, dass knapp jeder dritte Pole Johannes Paul II. persönlich verehrt und seine Gebete auch an ihn richtet. Die Seligsprechung sehen viele als die überfällige formale Bestätigung dieses religiösen Empfindens. "Die Mehrheit der Polen erinnert sich hervorragend an Johannes Paul II.. Jeder von uns hat private Erlebnisse und Emotionen, die er mit ihm verbindet", sagt Jacek Palasinski, Vatikanexperte des polnischen Fernsehsenders TVN24. Deshalb werde die Seligsprechung in Polen zu einer Art nationalem Feiertag. "Das ist eher eine Gelegenheit zu patriotischen als zu religiösen Manifestationen", so Palasinki.

Schirmherr des Widerstands

Für die Polen geht es nicht nur um den berühmtesten Sohn ihres Landes, sondern auch um Nostalgie und Sehnsucht nach einer Zeit, als die Fronten noch klarer waren. Sogar für diejenigen, die der Religion keine große Bedeutung beimessen, ist der polnische Papst eine Art Schirmherr des Widerstands gegen den verhassten Kommunismus. Unvergessen bleibt seine erste Reise in die Heimat nach der Wahl zum Papst, im Juni 1979.

Damals sprach Karol Wojtyla auf dem Warschauer Pilsudski-Platz die Worte, die in Polen bis heute jeder kennt: "Möge Dein Geist herabsteigen und das Antlitz der Erde erneuern — dieser Erde." Der Zusatz wurde von allen als politisches Statement verstanden: Es müsste gelingen, das kommunistische Regime abzuschütteln. Allein der Andrang beim Papst-Besuch war für die Machthaber damals ein Alptraum. Zehn Millionen Polen sahen Johannes Paul II.. In Krakau versuchte der verzweifelte Geheimdienst mit 480 Agenten gegenzuhalten. Das Papst-Wort vom Pilsudski-Platz gilt vielen als die geistige Geburtsstunde der "Solidarnosc"-Bewegung. Die schaffte später, 1989, die politische Wende in Polen.

"Er hat den Kommunismus beendet"

Fragt man heute die Menschen nach der Bedeutung des Papstes, dann beziehen sie sich meist auf diese Rolle. "Was Johannes Paul II. für Polen getan hat? Alles!", sagt Monika Tyc (42), Sekretärin aus Warschau. "Er hat den Kommunismus beendet, den Schrecken des Kriegszustands in Polen abgeschwächt. Ihm haben wir es zu verdanken, dass die kommunistischen Herrscher das Volk nicht mehr so leicht drangsalieren konnten."

Der Papst habe seine Heimat damals ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gebracht, glaubt der 37-jährige Unternehmer Maciej Balaz: "Die Welt erfuhr durch ihn, wer wir sind, wo dieses Land überhaupt liegt, und was es für eine Kultur hat." In Polen würden bis heute viele Menschen versuchen, sich nach seinen Lehren zu richten, sagt Balaz: "Meine Schwester lebt als Nonne in einem Karmeliterinnen-Kloster. Für sie ist die Seligsprechung ganz besonders wichtig."

Der Museums-Mitarbeiter Piotr Gorajec, der sich selbst als "nicht gläubig" bezeichnet, betont vor allem die politische Rolle des Papstes: "Er hat in den Menschen die Hoffnung auf die Unabhängigkeit erhalten, zur Demontage des kommunistischen Regimes beigetragen." Was den Warschauer heute stört: "Jetzt ist Johannes Paul II. ein Fetisch, der immer weniger verstanden wird. Verschiedene Gruppen benutzen ihn und seine Worte für ihre eigenen Ziele, begreifen aber seine Lehren nicht."

Statuen und kleine Gipsfiguren

In Polen sind 95 Prozent der Bevölkerung katholisch, 54 Prozent geben an, den Glauben auch zu praktizieren. Gelegentlich kippt die Kombination aus nationalen und religiösen Überzeugungen hier um in schwer erträglichen Kitsch. Der Ort Swiebodzin, 70 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder, brüstet sich seit Ende vergangenen Jahres mit der höchsten Christus-Statue der Welt: 36 Meter hoch, 25 Tonnen schwer, die ausgebreiteten Arme messen von Daumen zu Daumen imposante 24 Meter.

Auch vor Johannes Paul II. macht der Kitsch nicht halt. Immer mehr Gemeinden stellen Papst-Statuen auf, Insider schätzen ihre Zahl mittlerweile auf 400. Als Renner für den Hausgebrauch erwiesen sich kleine Gipsfiguren, hergestellt in einer Fabrik für Gartenzwerge in Nowa Sol, direkt an der Grenze zu Deutschland.

Schon mahnte Polens Primas Erzbischof Jozef Kowalczyk, keine weiteren Denkmäler mehr für Johannes Paul II. aufzustellen. Einen solchen Kult habe der Papst nie gewollt. "Unsere konkreten Handlungen sollten ihm ein Denkmal sein." Auch müsse die Ansicht revidiert werden, dass Karol Wojtyla "ein mythischer Mensch war, der in den Wolken lief". Kritiker fürchten, dass gerade diese verklärende Tendenz mit der Seligsprechung nun zunehmen wird. Der Publizist Artur Domoslawski bemerkt in einem in Polen viel diskutierten Artikel, die Seligsprechung und Kanonisierung "entmenschliche" den verstorbenen Papst. Künftig werde es nicht mehr möglich sein, sich wirklich kritisch mit den durchaus auch angreifbaren Positionen von Papst Johannes Paul II. auseinanderzusetzen, ohne ein Heiligtum zu verletzen.

Hunderttausende feierten in Polen

Bei aller Nachdenklichkeit: Die Seligsprechung ist in Polen ein nationales Event. Im Heimatland von Johannes Paul II. feierten Hunderttausende die Seligsprechung. In zahlreichen polnischen Städten verfolgten sie auf Großleinwänden die Direktübertragung der Zeremonie aus dem Vatikan.

In seiner Predigt betonte Benedikt XVI., der Papst aus Polen habe Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft für Christus geöffnet. Mit der "Kraft eines Riesen" habe er gegen eine scheinbar unumkehrbare Tendenz den Christen wieder Mut gemacht, sich zu Christus und zur Kirche zu bekennen. Johannes Paul II. habe die Kirche ins dritte Jahrtausend geführt und ihr eine neue Orientierung auf die Zukunft hin gegeben. Zudem habe er mit Erfolg die Auseinandersetzung mit dem Marxismus geführt.

(RP)
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