Indien ringt mit dem Vergewaltigungsfall Das Ticket in den Tod

Neu Delhi · Sie musste sterben, weil sie ihr eine "Lektion erteilen” wollten. Am Montag standen die Peiniger der vergewaltigten 23-jährigen Inderin erstmals vor Gericht, doch die Öffentlichkeit blieb ausgeschlossen. Alle wollen einen Blick auf sie erhaschen. Auf jene Männer, die die Medien auch "die Bestien” nennen. So gerammelt voll ist der Gerichtssaal 207 an diesem Wintermontag, dass man in der Menge kaum atmen kann. Mehr als 150 Menschen drängen in den holzgetäfelten Raum, der gerade für 30 gedacht ist. Bis weit vor die Tür stauen sich die Menschen. Journalisten, Anwälte in schwarzen Anzügen, Neugierige, sogar ein Sadhu, ein heiliger Mann in orangefarbener Robe, ist gekommen.

Indien: Die Angeklagten im Vergewaltigungsfall
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Indien: Die Angeklagten im Vergewaltigungsfall

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Foto: afp, PRAKASH SINGH

Sie musste sterben, weil sie ihr eine "Lektion erteilen” wollten. Am Montag standen die Peiniger der vergewaltigten 23-jährigen Inderin erstmals vor Gericht, doch die Öffentlichkeit blieb ausgeschlossen.

Alle wollen einen Blick auf sie erhaschen. Auf jene Männer, die die Medien auch "die Bestien” nennen. So gerammelt voll ist der Gerichtssaal 207 an diesem Wintermontag, dass man in der Menge kaum atmen kann. Mehr als 150 Menschen drängen in den holzgetäfelten Raum, der gerade für 30 gedacht ist. Bis weit vor die Tür stauen sich die Menschen. Journalisten, Anwälte in schwarzen Anzügen, Neugierige, sogar ein Sadhu, ein heiliger Mann in orangefarbener Robe, ist gekommen.

"So einen Auflauf habe ich in all meinen Jahren noch nicht gesehen”, sagt ein indischer Reporter. Dabei war es absehbar: Es ist der Auftakt zu einem Prozess, den ganz Indien gebannt verfolgt. Erstmals sollen jene fünf Männer vor Gericht erscheinen, deren bestialische Gewalttat an einer 23-jährigen Studentin das Land bis ins Mark erschütterte. Doch das Warten ist vergeblich. Richterin Namrita Aggarwal lässt den überfüllten Saal räumen. Die Anhörung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Der Schauplatz hat etwas schmerzlich Berührendes. Das Bezirksgericht liegt in Saket, einem Wohn- und Einkaufsgebiet im unteren Süden Delhis. Gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite, sieht man das Multiplex-Kino, in dem die 23-jährige Inderin mit ihrem 28-jährigen Freund am 16. Dezember den Film "Schiffbruch mit Tiger” sah, bevor die Täter das Paar in ihren Bus lockten. An der Straße ruft ein riesiges Plakat dazu auf, Frauen wertzuschätzen. "Lasst sie uns respektieren”, sagt es.

Den Tätern droht die Todestrafe

So zügig kam wohl noch keine Vergewaltigung, kein Mord in Indien vor Gericht — gerade rund drei Wochen ist die Tat her. Schon in wenigen Tagen soll der offizielle Prozess beginnen. Den Angeklagten wird ein Pflichtverteidiger gestellt, sollten sie nicht selbst einen Anwalt finden. Den fünf Männer droht die Todesstrafe. Sie sind der Vergewaltigung und des Mordes angeklagt. Ein sechster Täter kommt gesondert vor ein Jugendgericht, weil er erst 17 Jahre alt ist.

Viele Inder wollen die Peiniger der jungen Studentin am Galgen sehen. Auch ihr Vater. "Das sind keine Menschen, nicht mal Tiere”, sagt der 53-jährige. Die junge Frau ist zum Symbol für das Leid unzähliger Frauen in Indien geworden. Verstört fragt sich das Land: Wie konnten diese Männer zu so etwas fähig sein? Wie konnten sie eine junge Frau, als sei es ein Spaß, vergewaltigen, mit Eisenstangen halbtot quälen, und sie dann nackt, in Blut schwimmend auf die Straße werfen?

Noch verstörender ist die Antwort: Es sind Männer, wie sie einem jeden Tag über den Weg laufen könnten - im Bus, im Fitnesscenter, auf der Straße. Wie Millionen anderer Inder schlagen sich die sechs Täter mit verschiedenen Jobs in der 16-Millioen-Stadt durch. Ram Singh, 33, der als Rädelsführer bei der Gewalttat gilt, ist Fahrer eines Schulbusses, fährt jeden Tag Kinder zur Schule und zurück. Auch sein Bruder Mukesh, 26, hilft als Fahrer oder Reiniger. Vinay Sharma ist Aushilfe in einem Fitness-Studio, Pawan Gupta, 19, ist Obstverkäufer und Akshay Thakur, 28, jobbt als Fahrer oder Hilfsarbeiter.

Täter aus der Mittelschicht

Sie sind, was man Freunde nennt. Vier von ihnen wohnen im Viertel Ravi Das. Dort leben zwar nicht die Ärmsten der Armen, aber viele Zuwanderer vom Lande, die auf der Suche nach einem besseren Leben in die große Stadt kamen. Ram Singh hat einen schlechten Ruf im Viertel. Er gilt als Trunkenbold und aggressiv. Die Nachbarn gehen ihm aus dem Weg. Er ist zwar in Delhi geboren, aber seine Familie stammt aus Karauli, einer Gegend in Rajasthan, die als Gangsterregion verschrien ist.

An diesem Sonntagabend kocht Ram Singh Hühnchen zuhause, man bechert kräftig Alkohol. Angetrunken beschließen die Männer, mit dem Bus eine Spritztour, eine "Spaßfahrt” zu machen. Weil das öffentliche Verkehrssystem nicht ausreicht, nutzen viele Fahrer privater Busse diese am Wochenende, um Passagiere zu befördern und so ein paar Rupien dazuzuverdienen.
Doch Ram Singh und seine Freunde scheinen anderes im Sinn zu haben. Gegen 9.30 Uhr, erblicken sie die Studentin und ihren Freund an der Bushaltestelle in Munirka, einem Viertel im Süden Delhis, in dem viele Studenten wohnen. Ein Rikschafahrer hatte die beiden dort abgesetzt, weil ihm der Weg zum Stadtteil Dwarka, dem Zuhause des Mädchens, zu weit war.

Das Ticket in den Tod

Die Männer gaukeln dem ahnungslosen Paar vor, dass sie nach Dwarka fahren. Kaltblütig kassieren sie sogar noch Geld für die Tickets ab. Für die 23-jährige Studentin wird es das Ticket in den Tod. Kaum schließen die Bustüren, beginnen die angetrunkenen Männer das Mädchen anzupöbeln. Als ihr Freund sich das verbittet, schlagen sie ihn mit Eisenstangen zusammen. Das Mädchen versucht ihm zu helfen, beißt Ram Singh in die Hand. Die Männer beschließen, ihr "eine Lektion zu erteilen”, weil sie Ram Singhs Männerehre verletzt habe. Es wird zu einer Orgie der Gewalt.

(felt)
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