Untersuchung sät Zweifel an Selbstmord-Theorie Das Rätsel um Hitlers Schädel

Washington (RP). Die Überreste eines angeblichen Totenschädels von Adolf Hitler stammen laut US-Wissenschaftlern von einer Frau. Historiker sehen darin dennoch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass der Diktator sich 1945 erschossen hat.

15 Zentimeter, ungefähr, ist das Schädelfragment lang. Gut erkennbar ein Einschussloch. Es soll von einer Kugel stammen, die sich Adolf Hitler in die Schläfe jagte, am 30. April 1945. Bisher galt der Knochen als Beweis dafür, dass sich der Diktator erschoss. Jetzt glauben amerikanische Wissenschaftler, dass der Knochen von einer Frau stammt.

Folgt man Nick Bellantoni, einem Archäologen aus dem Ostküstenstaat Connecticut, kann das Bruchstück jedenfalls kaum von einem Männerschädel stammen. "Der Knochen ist sehr dünn, männliche Knochen sind in der Regel robuster", sagt er und stellt seine eigene Theorie auf. Es handele sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Schädel einer Frau. Die könnte 20 oder 40 Jahre alt gewesen sein, als sie starb, schätzt Bellantoni. Aber nicht älter. Ob es sich um Eva Braun handelt, Hitlers Lebensgefährtin, will der Forscher weder bestätigen noch dementieren. "Es gibt keine Berichte darüber, dass sie sich erschossen hat oder erschossen wurde. Viele Menschen kommen in Frage."

Wie auch immer, ein Kapitel, das abgeschlossen schien, bekommt eine neue Wendung. Zumindest dürfte Bellantonis Analyse Wasser auf die Mühlen all derer treiben, die bezweifeln, dass Hitler überhaupt Hand an sich legte. Alte Verschwörungstheorien erhalten neue Nahrung, etwa die Variante, wonach der Tyrann in einem U-Boot nach Argentinien geflohen sein soll.

Ein kompliziertes Mosaik

Dabei ist das Schädelteil auch nur ein Bruchstück, ein Steinchen eines komplizierten Mosaiks. Sowjetische Forensik-Experten wollen es 1946 in den Trümmern Berlins ausgebuddelt und nach Moskau verfrachtet haben. Vor neun Jahren, als das russische Staatsarchiv die letzten Tage der Nazi-Führung dokumentierte, bekam es die Öffentlichkeit erstmals zu Gesicht. Hundertprozentig sei der Knochen authentisch, hieß es. Man habe ihn in einer Grube gefunden, in der Hitlers Leiche verscharrt worden war.

Bellantoni beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Nach eigenen Angaben durfte er eine Stunde in dem Moskauer Archiv verweilen, Zeit genug, um DNA-Proben des Schädels zu nehmen. Die überließ er dem Labor der University of Connecticut zur Prüfung. Nach drei Tagen war sich die Genetikerin Linda Strausbaugh absolut sicher. "Es ist ein weiblicher Schädel."

"Ein DNA-Phantom"

Amerikanische Historiker bewerten die vermeintliche Sensation skeptisch — beispielsweise Christopher Browning, der an der Universität North Carolina die Geschichte des Holocaust erforscht. Man stütze sich ja nicht nur auf das, was an Beweisen in russischen Sammlungen liege, so Browning. Ebenso wichtig seien Zeugenaussagen, etwa eine Dokumentation, die der britische Geheimdienst nach dem Krieg zusammenstellte, als er überlebende Mitarbeiter der Machtzentrale befragte.

Außerdem ist da noch der Kieferknochen des Despoten. Sowjetische Gerichtsmediziner sollen ihn gefunden haben — schon 1945, als sie das Gelände zum ersten Mal absuchten. Zahnarzthelfer sollen bestätigt haben, dass es sich um Hitlers Kiefer handelte.

Der deutsche Kriminalbiologe Mark Benecke, der die Knochenfragmente 2002 untersuchte, glaubt weiter, dass er Hitlers Schädel in Händen hielt. Jedenfalls seien die Untersuchungen Bellantonis wenig aussagekräftig, "weil der Schädel von jedem, den ich im Staatsarchiv gesehen habe, mit bloßen Händen angefasst wurde. Das Ergebnis: ein ,DNA-Phantom'."

(RP)
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